Werkstattbericht Podcast 50 STATES On the road mit Dirk Rohrbach
Alle 50 US-Bundesstaaten bereisen - für seinen Podcast hat sich Dirk Rohrbach viel vorgenommen. 50 STATES ist erst zur Hälfte fertig und wurde schon mit dem Columbus-Radiopreis ausgezeichnet. Hier erzählt Dirk, wie er das Mammutprojekt stemmt - immer "on the road” mit Truck und Wohnwagen.
Der Wind rüttelt seit Stunden unablässig an Conway. Mein kleiner Trailer scheppert, quietscht und knarzt bei jeder Böe. 50 Meilen haben sie vorausgesagt, fast Orkanstärke. Vor dem Fenster tanzen die wenigen, dürren Bäume mit ihren ausladenden Zweigen wild zwischen den anderen Wohnwagen. Auf der anderen Seite rasen die Trucks und SUVs auf Highway 68 nach Kingman oder Laughlin.
Bevor es losgeht läßt Dirk dort jedes Jahr Truck und Trailer auf Herz und Nieren prüfen und reparieren
Ich bin im Golden Valley, Arizona. Der Name klingt verheißungsvoller als die Realität. Hunderte, meist einfache Häuser und heruntergekommene Mobile Homes verteilen sich in der kargen Weite um mich herum. Es gibt drei Tankstellen, ein Post Office, einen Dollar General und zwei Restaurants. Vor der Great American Pizzeria haben sie einen LKW-Container in patriotischem red, white and blue bemalt und in großen Lettern: TRUMP.
Auf sechs Quadratmetern in der Wüste
Kurz-Biografie Dirk Rohrbach
Dirk Rohrbach hat eine ungewöhnliche Vita. Anfang der 2000er moderierte der promovierte Mediziner die Bayern3 Radioshow. Dann ist er ausgestiegen. Seit 2010 pendelt Dirk ohne festen Wohnsitz zwischen Amerika und Deutschland, schreibt Bücher, tourt mit aufwendigen Live-Reportagen durch ganz Deutschland und produziert für Bayern 2 den Podcast 50 STATES.
Als Dauernomade wird der Miniwohnwagen zum Zuhause unterwegs. Und zur Arbeitsstätte. Einen Monat habe ich mich hier in der Wüste einquartiert, für 425 Dollar, inklusive Strom und Wasser. Mein Trailer ist in dieser Zeit Küche, Schlaf- und Wohnzimmer, Büro und Sound-Booth. Sechs Quadratmeter. Damit die Decke mir nicht auf den Kopf fällt, steige ich fast jeden Tag aufs Rad und drehe am Nachmittag meine Runden, auf dem Highway und den wenigen anderen asphaltierten Straßen im Golden Valley. Heute, bei dem Sturm wird das wohl nichts. Stattdessen will ich in die Stadt, Kingman, zum Einkaufen. Proviant für eine Woche. Dann geht’s zurück an die Arbeit. Erst ein Feature über die Amish, später die Folgen der vierten Staffel 50 STATES.
Meinen Laptop habe ich an einen billigen Monitor angeschlossen. Aus dem Satelliten-Radio schrammelt Outlaw Country, mein Lieblingssender. Der läuft auch regelmäßig in Loretta, wenn ich mit Conway im Schlepptau auf den endlosen Highways durch Amerika cruise. Ach so, die Namen. Loretta ist mein 74er Ford F-100 Pick Up-Truck, den ich mir vor mehr als zehn Jahren schon gekauft habe.
Loretta heißt sie wegen Loretta Lynn, die in den 70ern sowas wie die Queen der Country Music war. Nicht so schrill wie Dolly Parton, aber genauso erfolgreich und trendsetzend. Später hat Loretta Lynn viele Hits mit Conway Twitty aufgenommen, dem lange Zeit erfolgreichsten Country-Sänger. Klar, dass der Name für meinen Mini-Wohnwagen schon feststand, bevor ich den 75er Serro Scotty Sportsman 2019 gefunden und gekauft habe.
Das Fortbewegungsmittel als Türöffner
Wer ungewöhnlich reist, kommt schnell ins Gespräch und zu guten Geschichten. Und wenn ich mal nicht mit meinem Traumpaar in den USA unterwegs bin, steige ich aufs Rad oder ins Kajak. Denn ich will Amerika auf möglichst ungewöhnliche Weise erkunden. Entschleunigt, nah dran, aus unterschiedlichsten Perspektiven.
Seit mehr als dreißig Jahren reise ich immer wieder hierher. Woher meine Liebe kommt, kann ich nur erahnen. Sicher spielt meine Kindheit eine Rolle. Aufgewachsen bin ich in Hanau, umgeben von amerikanischer Kultur. Amerikanische Soldaten aus den Kasernen am Rand der Stadt, amerikanische Mitspieler und Coaches beim Basketball. Fernsehserien, Filme, Bücher und die Musik aus Amerika haben mich schon früh geprägt und meine Sehnsucht wachsen lassen. Nach dem ersten Trip an die Westküste hatte ich mein Traumland gefunden.
Die Geschichten aus Amerika teilt er auch in aufwändig produzierten Live-Reportagen in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Es sind nicht nur die grandiosen, exotischen Landschaften, die Weite, sondern auch die herzlichen, gastfreundlichen Menschen, die mich seitdem begeistern. Bald habe ich begonnen, ihre Geschichten zu sammeln und zu erzählen. In Dia-Shows, Radiobeiträgen und später auch Büchern. Den Westen, Alaska und Nashville habe ich unzählige Male bereist. Aber da gibt es ja noch so viel mehr zu entdecken. Die Idee zu 50 STATES war geboren.
In Alabama In Staffel 2 geht es auch um Politik und Geschichte wie die der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung.
Alle Staaten bereisen, fotografieren, Interviews sammeln. Für einen großen Bildband, eine neue Live-Reportage und den Podcast. Der läuft seit 2019 in den Bayern 2 radioReisen und überall wo es Podcasts gibt. Ein Staat pro Episode, vier bis fünf Geschichten pro Staat. Sie sollen am Ende ein Porträt ergeben, damit die Hörer sich ein Bild verschaffen können, auch wenn er oder sie noch nie da gewesen sind. Über eine halbe Million Mal wurden die Podcast-Folgen bereits runtergeladen und angehört.
Ein Monat, eine Folge
Von der Recherche bis zur fertigen Produktion einer Folge braucht es im Schnitt einen Monat. Im Vorfeld suchen mein Redakteur Till Ottlitz von der Redaktion "Hörspiel, Dokumentation, Medienkunst" und ich uns ein Oberthema für die Staffel. In der ersten ging es um meine Kajakreise auf Missouri und Mississippi und sieben Staaten, durch die ich gepaddelt bin. In Staffel zwei folgte der Southern Border von Kalifornien bis Alabama. Und in Staffel drei bin ich mit Loretta und Conway durchs Heartland gezogen und habe dort, in den sogenannten Fly-Over-States, nach spannenden Geschichten gesucht und dabei viele Gründe gefunden, eben doch mal hinzufahren und nicht nur drüber wegzufliegen.
Steht das Thema fest, sammeln wir Ideen zu Protagonisten und Geschichten, die für die Region stehen, am liebsten abseits der Hauptrouten und auch weit weg von den großen Metropolen. Dann ziehe ich los, mit Loretta und Conway. Tausende von Meilen lege ich so jedes Jahr zurück, übernachte auf Campgrounds, schneide, texte und produziere unterwegs. Die angelegten ProTools-Sessions veredelt dann Christoph Brandner von der Sounddesign-Arbeitsgruppe im Münchner Studio. Gut einen Monat brauche ich für eine rund 20-minütige Folge, von der Recherche über die Reise bis zur sendefertigen Episode.
Die erste Reise für das Projekt habe ich 2016 nach Alaska gemacht, bin unter anderem zur nördlichsten Stadt Amerikas am Arktischen Ozean gereist. Mit dem Flieger, nicht mit Loretta, denn dorthin führt keine Straße. Davon werde ich in Staffel vier erzählen, die im Herbst 2022 online gehen soll. Und dann sind es voraussichtlich noch drei weitere Staffeln, bis das Projekt vollendet ist, rechtzeitig zum 250. Geburtstag der Vereinigten Staaten am 4. Juli 2026.
Columbus Radiopreis für 50 STATES
Dirk Rohrbachs Podcast wurde vor kurzem als "Hörstück des Jahres 2021" mit dem Goldenen Columbus Radiopreis der Vereinigung Deutscher Reisejournalisten ausgezeichnet. Die Jury schreibt dazu:
"Es ist eine Faszination, die sich beim Hören einstellt, die hineinzieht in Geschichten, bekannt macht mit Menschen, vertraut macht mit Landschaften und Kopfschütteln erzeugt über manche Begegnung. Perfekt produziert gibt es Storys in diesem Bayern 2 Podcast-Projekt. Wohltuend, dass der Autor allen Zuhörenden die Freiheit lässt, was sie denn nun davon halten wollen. Sein Projekt ist gerade mal zur Hälfte realisiert. Die Geschichten ziehen einen schon jetzt in den Bann.”