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Jan Philipp Reemtsma liest Arno Schmidt Versuch eines Lebens in der Fremde – in bitterster Armut

In „Brand’s Haide“ erzählt Arno Schmidt von Geflüchteten, die sich nach Krieg und Gefangenschaft ein neues Leben aufbauen müssen, in prekären Umständen. Jan Philipp Reemtsma liest aus dem frühen Prosawerk des genialen Wortmagiers.

Stand: 05.06.2024

Jan Philipp Reemtsma liest Arno Schmidt: Versuch eines Lebens in der Fremde – in bitterster Armut

"Ich räumte meine Kiste aus: 3 Zeltbahnen (aus Luthe; würde sich apart auf den Knöpfen schlafen, Prinzessin auf der Erbse, morgen trenn ich sie ab), eine ganze Decke, ein winkliger rötlicher Rest. Dann richtete ich sie als Speisekammer ein: in eine Ecke das Brot, pedantisch daneben die Käse, die Margarine, auf die andere Seite der Brotbeutel am Strick, den Aluminiumlöffel darauf: fermez la porte; wenn ich auf dem 'Bett' saß, war sie, auf den Schemel gestellt, ein Tisch."

(Arno Schmidt)

Viel mehr als eine Kiste und drei „Buchruinen“ hat er nicht: der Schriftsteller, von dem Arno Schmidt in seinem frühen Prosatext „Brand’s Haide“ erzählt. Der Krieg ist vorbei, der Schriftsteller aus der Gefangenschaft entlassen worden. Nun versucht er (er trägt den Namen Schmidt), sich in einem Dorf in der Lüneburger Heide neu zu orientieren. Das ihm überlassene Quartier ist ein Loch, ein alter Stall: „2,50 mal 3,00 Meter“, nicht beheizbar und voller Gerümpel. Kann es gelingen, hier, in all dem Elend, Fuß zu fassen und irgendwie ein neues Leben aufzubauen oder überhaupt zu überleben? Diese Frage treibt den Schriftsteller Schmidt um – und mit ihm andere Geflüchtete, die im Norden Deutschlands, in der britischen Besatzungszone, gestrandet sind. Ein Dasein als beständiges Provisorium. 

„Brand’s Haide“ – Kurzroman und ebenso lange Erzählung – erschien 1951. Der Text entstand in einer Zeit, in der sich Arno Schmidt dazu entschieden hatte, als freier Schriftsteller zu leben. Wie viele andere Texte im Frühwerk dieses genialen Erzählers ist auch „Brand’s Haide“ aufregend geschrieben und komponiert, unter anderem voller Wortspiele und Wort-Anspielungen, mit Fremdsprachen-Einschüben Dialekt-Sätzen und Traumsequenzen. Und wie seine Hauptfigur lebte auch Arno Schmidt, zusammen mit seiner Frau Alice, in prekären Umständen in der Lüneburger Heide. Beide – sie aus dem schlesischen Lauban vertrieben, er aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt – hatten kaum etwas zum Leben. Ihr bisheriger Besitz, darunter die für den Schriftsteller wichtige Bibliothek, ist durch Krieg und Vertreibung verloren gegangen.

Die schwierige Lebenssituation der Zeit lässt sich unter anderem daran illustrieren, dass der Schriftsteller Schmidt in „Brand’s Haide“ (wie auch der Schriftsteller Arno Schmidt) eingefärbte britische Militärhosen tragen musste. Das – und vieles andere – zeigt derzeit auch eine Ausstellung im „tim“, im Textil- und Industriemuseum Augsburg. Sie widmet sich dem textilen Nachlass von Alice und Arno Schmidt und wurde von der Arno-Schmidt-Stiftung im niedersächsischen Bargfeld und dem Bomann-Museum in Celle erarbeitet. Am Beispiel der Kleidung lässt sich einerseits die Lebenssituation des Paares in verschiedenen biographischen Stationen anschaulich machen – eine berührende Idee. Andererseits wird thematisiert, welche Rolle einzelne Kleidungsstücke in den Prosatexten von Arno Schmidt spielen, darunter eben auch die gefärbte Militärkleidung.

Im Rahmen des Begleitprogramms der Ausstellung ist der Sozialwissenschaftler und Historiker Jan Philipp Reemtsma zu Gast im „tim“ und liest aus „Brand’s Haide“. Reemtsma ist seit Jahrzehnten ein begeisterter Arno-Schmidt-Leser und engagiert sich ebenso lange für die Vermittlung eines besonderen und in der deutschen Nachkriegsliteratur singulären Prosawerkes. Zusammen mit Alice Schmidt hat er die Arno-Schmidt-Stiftung gegründet. Im Gespräch erzählt Jan Philipp Reemtsma zudem von eigenen Lektüren und über die Ausstellung zum textilen Nachtrag von Alice und Arno Schmidt. Mit freundlicher Genehmigung der Arno-Schmidt-Stiftung und des „tim“ sind Lesung und Gespräch zu finden im Bayern 2 Podcast „Buchgefühl – reden und lesen“. Redaktion und Moderation: Niels Beintker.


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