Lesung mit Axel Milberg Samuel Pepys im Dienste Seiner Majestät
Vom Schneidersohn zum Staatssekretär: Der Aufstieg des Samuel Pepys (1633-1703) kann sich sehen lassen - und hören: In den radioTexten am Dienstag liest Axel Milberg in drei Folgen aus den Tagebüchern des Londoner Lebemanns zwischen Whitehall, Werftarbeiten und erotischen Wallungen. Ein famoses Lebensprotokoll und plastische Chronik einer der spannendsten Epochen der englischen Geschichte
In den Aufzeichnungen des Ersten Sekretärs des britischen Flottenamts unter King Charles II. und King James II. fallen zwei formelartig wiederkehrende Sätze auf, die Samuel Pepys - nennen Sie ihn "Pieps" - schon treffend charakterisieren könnten. Sein Leben zwischen 1633 und 1703 pendelte zwischen Arbeitseifer -"Früh aufgestanden und ins Amt" - und Genießertum auf allen Ebenen, wofür er sich abends dann kurzzeitig schuldig fühlte: "Möge Gott mir meine Lasterhaftigkeit verzeihen wie auch meine Torheit".
Mr. Pepys schreibt und genießt
Die Tagebücher von Samuel Pepys offenbaren auch die Diskrepanz zwischen seinen anfänglich puritanischen Werten und der barocken Ära Charles II.
Am 1. Januar 1660 begann der studierte Schneidersohn mit seinen Tagebucheinträgen, die er bis Mai 1669 fortführen sollte: Kein Tag ohne Eintrag, in einer stenografischen Schrift, die schwer zu entziffern war und die ihm erlaubte, unverblümt seinem Mitteilungsbedürfnis freien Lauf zu lassen. Dennoch hielt er die Bücher zeitlebens unter Verschluss. Pepys war kein Literat, und doch gelang ihm mit seinen täglichen Notizen ein Stück Weltliteratur - bis heute gehört er zu den meistzitierten Autoren in England. Als Protegé seines Vetters Edward Montagu, dem späteren Lord Sandwich, trieb er ehrgeizig seinen Aufstieg beim Flottenamt der Royal Navy voran, war Abgeordneter des englischen Unterhauses sowie jahrelang Präsident der Royal Society. Der Privatmensch Pepys musizierte, war ebenso regelmäßiger Kirch- wie Theatergänger (und übrigens kein Shakespeare-Fan!), ein Bücher-, Gemälde- und Stichesammler, ein aufmerksamer und ziemlich untreuer Gatte. Dass ihm auch mehrere Sprachen geläufig waren, beweist Mr. Pepys vor allem in seinen Berichten von außerehelichen Vergnügungen.
"Nutzte die Gelegenheit, im Dunkeln zu Mrs. Bagwell zu fahren und dort nudo in lecto con ella alles zu tun, wozu ich Lust hatte. Obwohl ich zuerst vorhatte, para aver demorado con ella toda Nacht, war mir sowohl ella als auch la cosa verleidet, nachdem ich mit ihr angestellt hatte, ce que je voudrais. Außerdem bestand die gefahr von su maridos Rückkehr esta noche, so dass ich es vorzog, mich levar."
(aus Samuel Pepys Tagebüchern)
Weltgeschichte als privates Erlebnisprotokoll
Die zehn Jahre umspannende, 3100 Seiten starke Chronik ist nicht nur ein Informationsschatz über die Alltagsabenteuer eines nicht ganz so typischen Beamten des 17. Jahrhunderts - man erfährt von rauschenden Partys, Dinnergesellschaften mit Schwan und Garnelen, von Verdauungsproblemen und "Stein-Operationen", Rasierroutinen und Eifersuchtsattacken. Pepys Amtsgänge und die daraus resultierenden Einträge in die Tagebücher erstellen auch ein detailreiches historisches Panorama von einer der aufregendsten Epochen der englischen Geschichte.
Tipp für London-Reisende
Falls Sie im März in der britischen Hauptstadt sein sollten, hätten Sie im National Maritime Museum in Greenwich die Gelegenheit, mehr über den berühmten Diaristen und sein Heimatmetropole zu erfahren: Die Ausstellung "Samuel Pepys: Plague, Fire, Revolution exhibition" läuft noch bis zum 28. März 2016. Diesen Ausstellungstrailer gibt es noch dazu.
Als junger Mann hatte Pepys die Enthauptung Charles I. mitangesehen, war erst Puritaner, dann ein Anhänger Cromwells und schließlich Monarchist - er selbst war es, der in seinem Amt als Sekretär König Charles II. aus dem Exil zurück nach England holte. Pepys schildert den Ausbruch der Pest in London 1665, der 100.000 Menschen zum Opfer fielen, die große Brandkatastrophe im Jahr darauf, die die meisten mittelalterlichen Bauten der Metropole zerstörten, sowie den zweiten englisch-holländischen Seekrieg.
Sensationsfund im 19. Jahrhundert
Nach seinem Tod 1703 wurde Samuel Pepys vergessen. Doch trotz Geheimschrift und Geheimhaltung zu Lebzeiten muss der fleißige Tagebuchschreiber offenbar den Wunsch gehabt haben, sein Werk der Nachwelt zu überlassen. Gemäß seiner testamentarischen Verfügung wurde seine Bibliothek - inklusive der ihr einverleibten Tagebücher - der Universität Cambridge vermacht. Pepys ließ postum Zeit und Zufall für sich arbeiten, wann ein Bücherwurm in der "Bibliotheca Pepysiana" auf sein Lebensprotokoll stoßen würde. Erst im Jahr 1818 war es tatsächlich soweit, und es sollte noch einmal sieben Jahre dauern, bis ein Theologiestudent die mysteriöse Kurzschrift entziffern konnte. In Deutschland liegt erst seit 2010 eine Gesamtausgabe in neun Bänden vor - das größte Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Haffmans Verlags.
Axel Milberg, der "Pepysianer"
Eine Auswahl aus dem Tagebuch des Beamten im Dienste Seiner Majestät liegt auch als Hörbuch vor, gelesen von Axel Milberg. Der vielseitige Schauspieler, neben zahlreichen anderen Rollen uns wohlbekannt als Kieler Tatort-Kommissar Borowski, wurde 1998 zum "Pepysianer": Theaterlegende Peter Zadek hatte ihm, als er Shakespeares Richard III. spielen sollte, Pepys Aufzeichnungen empfohlen - dann wisse man, wie es in London und rund um das Globe Theatre zugegangen sei.
Samuel Pepys: "Aufgestanden und ins Amt"
Lesung mit Axel Milberg in drei Folgen: vom 1. bis 15. März, immer dienstags, immer um kurz nach 21.00 Uhr auf Bayern2
Moderation: Antonio Pellegrino
Samuel Pepys „Sämtliche Tagebücher 1660-1669“, übersetzt von Georg Deggerich, Michael Haupt, Arnd Kösling, Hans-Christian Oeser, Martin Richter und Marcus Weigelt, herausgegeben von Gerd Haffmans und Heiko Arntz, sind in 9 Bänden bei Haffmanns und Tolkemitt erschienen.
Die Höhepunkte aus der großen Haffmans-Edition gibt es auch als Hörbuch auf 3 CDs beim selben Verlag und koproduziert von Bayern2: "Axel Milberg liest aus Samuel Pepys".
Die Sendungen stehen jeweils nach Ausstrahlung sieben Tage lang als Stream zum Nachhören für Sie hier bereit.