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Öst-westliche Verwirrnisse Christine Wunnicke "Die Dame mit der bemalten Hand"

Missverständnisse, Verwirrnisse und Sprachunkenntnisse treiben zwei ambitionierte Forscher aus zwei Kulturkreisen, Okzident und Orient, in abstruse Situationen. Noch dazu auf einer Insel, auf die Beide gar nicht wollten, mit "Gestein, Gestrüpp, Ziegen, Vögel, Affen, Fledermäuse, Nasses, Weiches, Hartes, Borstiges, Glitschiges". In Christine Wunnickes herrlich komischem Roman prallen zwei Welten aufeinander, zwei Sterndeuter aus zwei Kulturen. Wo der eine Kassiopeia erkennt, sieht der andere "Die Dame mit der bemalten Hand". Der Roman wurde jetzt mit dem Wilhelm-Raabe-Preis ausgezeichnet.

Stand: 27.11.2020

Christine Wunnicke | Bild: BR-Bild

Mathematicus und Kartograph Carsten Niebuhr aus Göttingen

Bombay, 1764. Indien stand eigentlich nicht auf dem Reiseplan des Göttinger Kartographen und Mathematikers Carsten Niebuhr und die Insel Elephanta vor der indischen Hafenstadt, dieses struppige Eiland voller Schlangen, Ziegen und Höhlen mit seltsamen hinduistischen Heiligenfiguren, schon gar nicht. Doch als Forschungsreisender in Sachen philologischer, naturkundlicher und geographischer Erforschung Arabiens im Allgemeinen und die Verifizierung von Bibelgeschichten im Besonderen, beides im Geiste der Aufklärung, zieht es einen eben an die merkwürdigsten Orte.

Die aus dem Fels herausgehauenen Shiva-Skulpturen im Inneren der Höhlen sind seit 1987 von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt.

Diesen realen Gelehrten konfrontiert Christine Wunnicke mit einer fiktiven Figur, mit Ustad Musa ibn Zayn ad-Din Qasim ibn Qasim ibn Lutfullah al-Munaggim al-Lahuri, Karl May lässt grüßen. Meister Musa, ein persischer Astrolabienbauer aus dem indischen Jaipur, wollte eigentlich in Mekka sein und strandet wegen einer Flaute auch auf dieser Insel, die für ihn Gharapuri heißt, eine Insel mit seltsamen, in Stein gehauenen Göttern, auf die sich Christ und Moslem keinen Reim machen können. "Sie bedecken die Flächen mit Chaos, damit man die Geometrie ihres Bauwerks nicht sieht", denkt Musa al-Lahuri.

Eingang zu den Höhlen auf der Insel Elephanta

"Der Mond stand im Löwen. Die Nacht und der Tag und der Tag und die Nacht … Meister Musa kam ein Grauen an, das er nicht erforschen wollte. Er straffte die Schultern und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Der Europäer saß neben dem Feuer und blickte hinunter aufs Meer. Die runde Kuppe des Berges, aus dem Gharapuri bestand, sah hier schroff und steil aus, als säße Niebuhr auf einer Klippe, gefährlich nahe an ihrem Rand. Meister Musa stellte sich Göttingen vor, klamm wie ein Keller, mit schmutzigen, krummen Straßen, und ebendort eine Kirche oder Academia voller naseweiser Christen. Dort war der Bursche aus Sietland gelandet, als seine Familie verarmte. Darauf hatten sie ihn zum Soldaten gemacht und nach Arabien geschickt, auf dass er die heiligen Städte heimlich, bücherlesend umkreiste und weiß Gott was dort suchte. Die Vermessenheit. Musa hatte sich alle Wörter gemerkt, die er von Niebuhr gelernt hatte, Göttingen, Sietland, Babagah und bremische Elle, und er würde sie sich auf immer merken, ob er wollte oder nicht."

aus: Christine Wunnicke 'Die Dame mit der bemalten Hand', Behrenberg

"Der eine Held meines Buches", erzählt Christine Wunnicke im Gespräch mit Cornelia Zetzsche, "Carsten Niebuhr, war dort wirklich, sogar mehrmals. In Reisebeschreibung nach Arabien und andern umliegenden Ländern hat er darüber auch geschrieben, hat alle die Tempelanlagen abgezeichnet, alles ausgemessen, und nicht verstanden, was das soll. Er fand das sehr interessant, hat sich sehr gewünscht, dass jemand käme und das religionswissenschaftlich erforschen würde, aber hat's dann irgendwie nicht gemacht ist. Die Vorlage ist also wirklich der Besuch von Niebuhr auf Elephanta. Der andere Held aus Jaipur, der hat nicht gelebt, zumindest soweit ich weiß, und da ist die Geschichte der Astronomie von Jaipur dazu gekommen. Es haben sich irgendwie zwei historische Stränge ineinander verwoben."

Autorinnen-Gespräch und Lesung mit Wolfgang Pregler

Schauspieler Wolfgang Pregler

Der Schauspieler Wolfgang Pregler macht sich mit den beiden ungleichen Helden des Romans auf in die für beide fremde Welt. Er "beglotzt" mit beiden den Himmel, das Sternbild der Kassiopeia etwa und beide sehen natürlich etwas ganz anderes: "Zeig mir alle Sterne, aus denen Kassiopeia besteht." "Ich sehe nicht alle Sterne der Kassiopeia mit meinem nackten Auge!" "Zeig mir, wie du Kassiopeia siehst. Wo fängt sie an und wo ist sie zu Ende?" Fünfundvierzig der Rocksaum, Siebenunddreißig das Knie, Achtzehn und Elf die Schultern." "So klein", seufzte Musa. "Ihr seht das ganze Weibsbild in den paar Sternen. Wir sehen dort nur ihre bemalte Hand."

radioTexte - Das offene Buch, jeden Sonntag um 12.30 Uhr auf Bayern 2

"Die Dame mit der bemalten Hand"

Teil 1 am 29. November 2020
Teil 2 am 6. Dezember 2020

Redaktion und Moderation: Cornelia Zetzsche


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