Dmitrij Kapitelman: "Eine Formalie in Kiew" Von "Katzastan" in Leipzig nach Kiew - Wie man Deutscher wird
"Die Ukraine ist schon ein unglückseliges Land, jetzt wird sie auch noch in ihre Einzelteile zerrissen", eine prophetische Äußerung des Autors angesichts des aktuellen russischen Drohszenarios an der ukrainische Grenze. In dem neuen Roman von Dmitrij Kapitelman geht es um die Frage „Wo gehöre ich hin?", um das Leben in Deutschland mit ukrainischem Pass, um eine Familiengeschichte und wie Migration Eltern und Kinder einander entfremden kann. Mit leichter Hand, voll Ironie und Sarkasmus, im typischen Kapitelman-Sound beschreibt der preisgekrönte Autor den Weg durch den Bürokratie-Dschungel.
"Deutsch eingeschult, sozialisiert, steuerpünktlich, verfassungspatriotisch"
Und trotzdem fehlt Dima, dem Alter Ego des Autors ukrainischer Herkunft der Stempel: ein deutscher Pass.
"Vor einer Weile beschloss ich also, endlich die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. Auf einer von sibirischen Katzen vollgepissten Treppe hockend. In die Märzsonne blinzelnd, existenzielles Mittelfeld, etwas verlassen vielleicht. An jenem Tag auf der Treppe eröffnete ich mir selbst, dass es nun so weit sei. Zeit, den offiziellen deutschen Stempel zu holen, den mir die Jahre längst aufgedrückt hatten. Wie kompliziert konnte das schon sein, bei meinem Werdegang? 1994 im Alter von acht Jahren immigriert, deutsch eingeschult, sozialisiert, studiert. Berufstätig, steuerpünktlich, verfassungspatriotisch."
aus: 'Eine Formalie in Kiew' von Dimitrij Kapitelman, erschienen bei Hanser
Und natürlich wird es kompliziert, denn "hauptsächlich geht es bei einem Einbürgerungsantrag darum zu belegen, dass man Geld hat. Armut ist das absolute Ausschlusskriterium, der Staat holt sich keine strukturelle Schwäche in den Volkskörper", schreibt Dimitrij Kapitelman in seinem autobiographisch grundierten, satirischen Roman. Und zu alledem verlangt Frau Kunze von der Ausländerbehörde in Leipzig eine beglaubigte Geburtsurkunde, für deren Beschaffung er nach Kiew reisen muss: "Üm den Ümgang mid den ukrainisch'n Behörd'n beneide ich Sie ooch nisch," erklärt die Sächsin vom Amt.
Die Reise wird zu einer Schicksalsreise. Der Vater erkrankt lebensbedrohlich, Rettung tut Not, seelische Wunden brechen auf, zerrissene Familienbande werden neu gesucht. Erzählt wird all das, was es bedeutet, wenn eine Familie aus- und einwandert. Cornelia Zetzsche sieht das Buch "als eine Geschichte der Entfremdung: vom Land, von den Eltern, von der Sprache, den Eltern."
Dimitrij Kapitelman: "Ja, wobei die Entfremdung, mit der das Buch beginnt, nämlich dass die deutschen Behörden nach 25 Jahren alles dafür tun, damit ich nicht den deutschen Pass kriege, das ist ja eine Zwangsentfremdung. Also, eigentlich fühle ich mich schon längst hier eingewachsen und angekommen und möchte nur noch zu Ende bringen, was sowieso schon geschehen ist. Ich möchte nur formalisieren, bitte gib mir den deutschen Pass, ich bin doch sowieso schon ein Deutscher. Dass dann aber die Türen zugehen und alles von irgendwelchen Versicherungen abhängig gemacht wird, egal ob man 25 Jahre hier gelebt hat, das ist ja keine Entfremdung, das ist ein aktives Ausstoßen, und darauf will ich schon hinweisen."
Cornelia Zetzsche: "Und Frau Kunze ist repräsentativ für diese absurde, diese grausame Einwanderungspolitik Deutschlands. Andererseits habe ich gedacht, verlangt wird nichts als ein Papier. Als hier Geborene muss ich in solchen Angelegenheiten auch eine Geburtsurkunde oder ähnliches abliefern."
Dimitrij Kapitelman: "Für mich ist das eine interessante Sichtweise, denn es wird ja nicht ein Papier verlangt, sondern es werden erstmal über zwei Jahre sehr viele Papiere verlangt, die eigentlich alle nur mit Geld zu tun haben, auf die eine oder andere Weise. Und dann wird man noch in ein Land geschickt, das man nicht kennt, um eine neue Geburtsurkunde zu kriegen - nach 25 Jahren -, und um diese Geburtsurkunde noch mal vom Justizministerium stempeln zu lassen für die Apostille. Ich glaube, da ist Ihnen nicht ganz klar, wieviel strukturelle Abwehr das ist. Und dass das auch nicht alle Menschen können, dass nicht alle Menschen in das Land, aus dem sie geflohen sind, zurückfliegen können. Und vielleicht gibt es die Dokumente nicht, vielleicht droht einem Lebensgefahr. Also, das ist für mich eine ganz, ganz problematische politische Praxis."
"Eine Formalie in Kiew" - Lesung und Gespräch
Am Sonntag, dem 18. April, liest Schauspieler Shenja Lacher Auszüge aus dem vergnüglichen und zugleich melancholischen Roman "Eine Formalie in Kiew". Und Cornelia Zetzsche unterhält sich mit dem Schriftsteller Dimitrij Kapitelman.
radioTexte - Das offene Buch, jeden Sonntag um 12.30 Uhr auf Bayern 2
Redaktion und Moderation: Cornelia Zetzsche
Dimitrij Kapitelman wurde 1986 in Kiew geboren und kam mit acht Jahren in ein Asylbewerberheim ins sächsische Meerane. Er ging dort als erster von den Flüchtlingskindern zur Schule, fühlte sich wie sein Vater auch nicht gerade willkommen. Dann zog er mit seiner Familie nach Grünau, jener in den 80er Jahren erbauten berühmt berüchtigten Plattenbausiedlung. Aber Neonazis konnte man damals in den 90ern wenigstens noch an den Glatzen erkennen, erinnert sich der Autor. Er studierte an der Universität in Leipzig Politikwissenschaft und Soziologie und absolvierte die Journalistenschule in München. Heute lebt Dimitrij Kapitelman in Berlin-Neukölln und schreibt seit zehn Jahren als freier Journalist für die Wochenzeitung "Die Zeit" und die "taz". Großen Erfolg feiert er auch als Hip-Hop-Musiker und Produzent. Sein Album "Querulantenkram EP" erschien im Januar 2016. Im selben Jahr wurde er für seine autobiographische Vater-Sohn-Geschichte "Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters" mit dem Kühne-Preis für das beste Debüt 2016 ausgezeichnet.