Thomas Holtzmann liest Edgar Allan Poe: "Das Faß Amontillado"
„Niemand reizt mich ungestraft!“ - Vom Sinn und Unsinn sinistrer Rachefantasien weiß der Meister des Gothic Horror zu erzählen. Zwei morbide Short Stories mit Thomas Holtzmann.
„Nemo me impune lacessit“ - Niemand reizt mich ungestraft!“
Das lateinische Motto der royalen Stuart-Dynastie Schottlands deckt sich nicht zufällig mit dem der Hauptfigur in Edgar Allan Poe’s Kurzgeschichte: Rache ist zentrales Motiv in „Das Fass Amontillado“, erstmals erschienen im November 1846 in einem amerikanischen Frauenmagazin. Während der Karnevalszeit will sich Ich-Erzähler Montrésor an einem Freund rächen, der ihn angeblich immer wieder gekränkt habe. Fortunato, so der Name des falschen Freundes, versteht sich als Weinkenner, der alles für einen lange gereiften, spanischen Edel-Sherry tun würde! Darum soll ein Fass Amontillado dem rachelüsternen Montrésor als Köder dienen, um Fortunato ins düstere Palazzo-Gewölbe zu locken, um seinen grausigen Plan umzusetzen. Dass Poe sich mit den europäischen Trauben nicht so ganz auskannte und den Amontillado nach Italien umpflanzt, wird dem amerikanischen Autor bis heute verziehen.
Auge um Auge – und die ganze Welt wird erblinden.“ (Mahatma Gandhi)
Verschiedene Quellen berichten, dass Edgar Allen Poe (1809-1849) mit „Das Fass Amontillado“ seine realen Rachegelüste mittels seiner schwarzen Feder auslebte. Im Jahr 1846 hatte der schreibende Politiker Thomas Dunn English in seinem Roman „1844“ Poe parodiert mittels der wenig schmeichelhaften Figur Marmaduke Hammerhead, der viel bechert, sich durchs Leben lügt und Ausdrücke wie „nevermore“ benutzt - eindeutig ein Bezug auf „The Raven“, das legendäre Gedicht Poes, das ein Jahr zuvor erschienen war. Poes fiktionale Erwiderung folgte prompt mit „Das Fass Amontillado“, einer Short Story aus der Perspektive des Mörders.
Anders ist es in „Der Froschhüpfer“ (im Original: "Hop-Frog; Or, the Eight Chained Ourang-Outangs"), einer weiteren Rache-Erzählung, die 1949 publiziert wurde. Hier berichtet ein Erzähler über den finsteren Racheakt eines kleingewachsenen Hofnarren aus einer „wilden Gegend“, der den Spitznamen „Froschhüpfer“ trägt.
Edgar Allan Poe wurde 1809 in Boston geboren, seine junge Mutter starb zwei Jahre später, der Vater hatte sie vor Edgars Geburt verlassen. Der Junge wuchs im Hause des schottischen Geschäftsmanns John Allan auf, wurde allerdings nie adoptiert. Seine Jugend verbrachte Edgar in Richmond, Schottland und England. Nach seiner Entlassung aus der amerikanischen Militärakademie West Point wegen „Dienstvernachlässigung und Ungehorsam“ schlug er sich als freier Schriftsteller und Journalist durch, verfiel der Trunksucht und starb 1849 verarmt in Baltimore unter ungeklärten Umständen in einem Straßengraben. Poe war einer der prägendsten Autoren des 19. Jahrhunderts für die Moderne, gilt als Vater der Short Story und der Detektivgeschichte mit seiner Figur des Auguste Dupin. In seiner Kurzprosa und seinen Gedichten tritt das Grotesk-Unheimliche und Visionäre besonders hervor; zugleich gilt er als Vorläufer des Symbolismus. Poe war der erste bedeutende Literaturkritiker Amerikas und entwickelte eine eigene Literaturtheorie ("The philosophy of composition",1846).
Edgar Allan Poe: "Das Faß Amontillado" und "Der Froschhüpfer"
Schmeckt Rache süß? Zwei Short Stories aus der Feder des Meisters des Gothic Horror, gelesen von Thomas Holtzmann.
Regie: Horst Raspe
Moderation: Kirsten Böttcher
Die Geschichten beruhen auf der Übersetzung von M. Bretschneider, erschienen bei Artemis und Winkler.
Diese Sendung ist auch im BR Podcast „Lesungen“ zu finden.