Bayern 2 - radioTexte


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Lesung und Gespräch mit Sven Hanuschek Erich Kästner: Fabian oder Der Gang vor die Hunde

„Kästners Werk ist lebendig wie kaum eines seiner Generation“, schreibt Kästner-Experte Sven Hanuschek in seiner Biografie. Lesung aus „Fabian“ und Gespräch mit dem Germanisten zum Kästner-Jahr 2024 (125. Geburtstag und 50. Todestag).

Stand: 15.02.2024 | Archiv

Lesung und Gespräch mit Sven Hanuschek: Erich Kästner: Fabian oder Der Gang vor die Hunde

Das Phänomen Erich Kästner – seine Bücher finden ein immer neues, begeistertes Publikum, sind in über 50 Sprachen übersetzt, über 40 Verfilmungen lassen sich entdecken! Dass er heute nicht nur als Jugendbuchautor, sondern auch als ernsthafter Romancier wahrgenommen wird, ist auch Sven Hanuschek zu verdanken. Zum 100. Geburtstag veröffentlichte er seine wegweisende Biografie „Keiner blickt dir hinter das Gesicht“ (Hanser) und vervollständigte seither das Bild von Erich Kästner durch überraschende Erst- und Neuausgaben: „Der Gang vor die Hunde“, die Urfassung des „Fabian“, wurde zum Besteller genauso wie das „Blaue Buch“ mit den geheimen Tagebuchaufzeichnungen der Jahre 1941 bis 1945. Den von uns produzierten unzensierten „Fabian“ (oder „Der Gang vor die Hunde“) gibt’s in der ARD Audiothek als Hörbuch-Podcast mit Nico Holonics.

"Er wünschte jedem Menschen pro Tag zehn Hühner in den Topf, er wünschte jedem ein Wasserklosett mit Lautsprecher, er wünschte jedem sieben Automobile, für jeden Tag der Woche eines. Aber was war damit erreicht, wenn damit nichts anderes erreicht wurde? Wollte man ihm etwa weismachen, der Mensch würde gut, wenn es ihm gut ginge? Dann mussten ja die Beherrscher der Ölfelder und der Kohlengruben wahre Engel sein! Hatte er nicht zu Labude gesagt: Noch in dem Paradies, das du erträumst, werden sich die Menschen gegenseitig die Fresse vollhauen?"

(Erich Kästner, Fabian)

Berlin, 1930: Jakob Fabian, arbeitsloser Germanist mit Nebenberuf „Leben“, will nicht mitschwimmen auf der Erfolgswelle extremer Parteien, während Gewalt und Exzess, Inflation und Armut die Weimarer Republik schwächen. Der Skeptiker wartet auf den „Sieg der Anständigkeit“, allerdings wie ein „Ungläubiger auf Wunder“. Prekäre Zeiten, nicht nur für die Liebe.

"Die Vernunft ging ins Exil. Der verworrene Zustand und der ratlose Mensch blieben übrig."

(Aus Kästners Nachwort für die Kunstrichter, 238)

Dekadenz, politische Radikalisierung, Vertrauensverlust der Regierung, prekäre Arbeitsverhältnisse, Fantasien vom Untergang Europas: Momentan zieht man gern Parallelen zwischen der Weimarer Republik und unserer Gegenwart. Und doch herrschten ganz andere gesellschaftliche Missstände, als Kästners wichtigster Roman „Fabian. Die Geschichte eines Moralisten“ 1931 erschien, insbesondere nach dem Börsencrash 1929. In diesen Jahren segelte der Dresdner Autor allerdings auf einer Erfolgswelle, war berühmter Kinderbuchautor (Emil und die Detektive, 1929), anerkannter Lyriker (Herz auf Taille, 1928), schrieb für die neuen Medien Rundfunk und Film, für Zeitungen, Zeitschriften und die Bühne: Bis 1933 waren es Tausende publizistische Arbeiten. Mit dem Regimewechsel war Kästner ein verbotener, verbrannter Autor. „Fabian“ war wegen seiner angeblichen „Dekadenz und Sittenverfall“ auf dem Berliner Opernplatz in Flammen aufgegangen. Und das war die zensierte Fassung gewesen, die der damalige Verlag publiziert hatte. Erst 2013 hat Kästner-Experte Sven Hanuschek den „Fabian“ so herausgegeben, wie ihn der Dresdner Schriftsteller (1899-1974) geplant hatte, unter dem ursprünglich vorgesehen Titel „Der Gang vor die Hunde“: mehr Sex, ja, aber vor allem ist diese Urfassung die politisch schärfere Satire, eine Warnung vor Bürgerkrieg und Gleichgültigkeit und ein Aufruf zur Vernunft – auch Letzteres ein wunder Punkt, der seine Aktualität auch 50 Jahre nach Kästners Tod nicht verloren hat.

„Fabian“ in der ARD-Audiothek und in den radioTexten ab 13. Februar

Erich Kästner: „Fabian“
Unzensierte Urfassung
Herausgegeben von Sven Hanuschek unter dem Titel: „Der Gang vor die Hunde“ erschienen im Atrium Verlag

Gelesen von Nico Holonics und Wolfgang Pregler
Ton und Technik: Fabian Zweck und Susanne Harasim
Regie: Antonio Pellegrino
Produktion: Bayerischer Rundfunk 2014
Redaktion: Kirsten Böttcher

Sven Hanuscheks aktualisierte Biografie „Keiner blickt dir hinter das Gesicht. Das Leben Erich Kästners“ ist bei Hanser erschienen.


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