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Goethes Grand Tour Die Reise, mit der unsere Italiensehnsucht begann

Seine Reiseeindrücke aus "Arkadien" waren keineswegs die ersten dieser Art. Doch die zweibändige "Italienische Reise", die erst dreißig Jahre (1816/1817) nach der eigentlichen Expedition erschien, löste eine wahre Flut von Reisebeschreibungen aus: unter Künstlern, Dichtern und dem Bildungs-Adel wurde Italien en vogue - allerdings nicht so sehr als das "echte" Italien mit lebendigen Einwohnern, sondern als Landschaft mit heroischer Geschichte. Lesung in vier Teilen mit Gert Westphal

Von: Kirsten Böttcher

Stand: 02.08.2019 | Archiv

Goethe in Venedig, ca. 1786: Gemälde, 1921, Öl auf Leinwand, 135 x 98 cm, von Ernst Pickardt (1876-1931). Privatsammlung.  | Bild: picture-alliance/dpa/akg

"Den 3. September 1786. Früh drei Uhr stahl ich mich aus Karlsbad, weil man mich sonst nicht fortgelassen hätte. (...) Ich warf mich ganz allein, nur einen Mantelsack und Dachsranzen aufpackend, in eine Postchaise und gelangte halb acht Uhr nach Zwota, an einem schönen stillen Nebelmorgen."

(Italienische Reise, erster Eintrag)

Der Mann, der allein und mit wenig Gepäck die Kutsche bestieg, hieß "Möller". Sein Ziel: Arkadien, "wo sich schöne Natur paart mit antiker Kultur", wie der damals gerade 37 Jahre alt gewordene Dichter schrieb.

Ein Beamter verschwindet

Goethe war unter besagtem Pseudonym quasi über Nacht aus Karlsbad geflohen - eine Flucht vor allem vor seiner zeitintensiven Beamtentätigkeit unter Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach, die nur mäßig von Erfolg gekrönt war und gar keinen Raum ließ für Kreatives, für sein Schreiben. Die Reise, die eigentlich nur wenige Monate dauern sollte, genoss der schon damals zum internationalen "Popstar" der Literatur avancierte und seit kurzem in den Adelsstand erhobene Johann Wolfgang von Goethe ganze zwei Jahre lang.

"Auch ich in Arkadien"

Dr. Maria Gazzetti (Casa di Goethe, Rom) kommentiert die Italienische Reise Goethes.

Italien war schon seit seiner Kindheit ein Mythos, ein Ort, den bereits sein Vater bereist und beschrieben hatte. Auch aus dem Untertitel - "Auch ich in Arkadien" - seiner erst dreißig Jahre später publizierten zweibändigen Rekonstruktion seiner Fahrt spricht schon die Art der Imagination des Südens, die der "Werther"-Autor seit der Kindheit nährte. Die "arkadischen" Landschaften fand er nicht erst in Griechenland, sondern bereits in Sizilien: Denn die römische Antike sah er in harmonischer Einheit mit ihren hellenistischen Ursprüngen. Und auf Sizilien war der Bestsellerautor, der auf seiner Reise sein Talent als Maler auf die Probe stellen wollte und um die 800 Zeichnungen anfertigte, immerhin in der "Magna Graecia" - in der früheren griechischen Kolonie - angekommen! Seine Eindrücke zeichnen also ein ästhetisiertes Italien, eine Landschaft mit antiken Ruinen und Zitronenbäumen. Kein Wunder, das seine Reiseaufzeichnungen das Ideal der modernen Bildungsreise festschrieben: Der Aufbruch zu neuen Ufern sollte nicht nur der Entdeckung historischer und künstlerischer Sehenswürdigkeiten dienen, sondern vor allem der Persönlichkeitsbildung.

Rom, "Hauptstadt der Welt"

Sein eigentliches Ziel war Rom, dem unvergleichlichen Ort, in der Antike, Mittelalter, Renaissance und Barock zugleich ihre Spuren hinterlassen haben. Nachdem Goethe über den Brenner, den Gardasee, Verona, Venedig, Ferrara und die Toskana gereist war, rief er am 1. November 1786 in der "ewigen Stadt" angekommen, aus: "Ja, ich bin endlich in dieser Hauptstadt der Welt angelangt!".

Doch auch Neapel, wo er neben anderen die berühmte Lady Hamilton traf, wird ihm als schönste Stadt erscheinen, ebenso faszinierte ihn Sizilien. Dort begab er sich zu Wasser auf abenteuerliche Schifffahrten, begab sich zu Lande als Naturforscher auf die Suche nach der "Urpflanze" und fand endlich wieder Inspiration und Muße zum Schreiben.

Taormina (Sizilien)

"...Und indem ich in jenem schönen öffentlichen Garten zwischen blühenden Hecken von Oleander, durch Lauben von fruchttragenden Orangen- und Zitronenbäumen wandelte und zwischen andern Bäumen und Sträuchen, die mir unbekannt waren, verweilte, fühlte ich den fremden Einfluß auf das allerangenehmste. Ich hatte mir, überzeugt, daß es für mich keinen bessern Kommentar zur 'Odyssee' geben könne als eben gerade diese lebendige Umgebung, ein Exemplar verschafft und laws es nach meiner Art mit unglaublichem Anteil. Doch wurde ich gar bald zu eigner Produktion angeregt, die, so seltsam sie auch im ersten Augenblicke schien, mir doch immer lieber ward und mich endlich ganz beschäftigte. Ich ergriff nämlich den Gedanken, den Gegenstand der Nausikaa als Tragödie zu behandeln."

(Unter Taormina, am Meer, Dienstag, den 8. Mai 1787)

Die knapp zweijährige Reise sollte ihn für immer verändern: In Briefen beschrieb Goethe diese Ära wiederholt als die glücklichste Zeit seines Lebens, mitunter auch als "Wiedergeburt". In diese zwei Zeit fallen die Fertigstellung von "Iphigenie auf Tauris", "Torquato Tasso", "Egmont" und "Faust". Sein erster Gedichtzyklus, die "Römischen Elegien" (1788/90), inspiriert von der römischen Liebeselegie, ist ebenfalls Zeugnis der wiedergewonnenen Schaffenskraft und persönlicher Befreiung dem Korsett seines nordisch kühlen Alltags.

Johann Wolfgang Goethe: "Auch ich in Arkadien!“

Lesung in vier Folgen mit dem "Vorleser der Nation" Gert Westphal in den radioTexten vom 6. bis 27. August, immer dienstags, kurz nach 21 Uhr auf Bayern2

Mit Kommentaren von Dr. Maria Gazzetti (Casa di Goethe, Rom)

Moderation und Redaktion: Antonio Pellegrino

Zur italienischen Reise von Goethe gibt es unzählige Buchveröffentlichungen mittlerweile, doch ein besonderes Buch möchten wir doch empfehlen: "Johann Wolfgang von Goethe - Italienische Reise". Ein fotografisches Abenteuer von Helmut Schlaiß mit einem Nachwort von Denis Scheck, erschienen im Manesse Verlag.

Unsere Lesungen können Sie immer und überall nachhören: auf dieser Seite im Stream, als Download im Podcast-Center des Bayerischen Rundfunks und überall, wo es Podcasts gibt.


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