Bayern 2 - radioTexte


1

Helga Roloff liest Irmgard Keun: Kind aller Länder

„Zuerst werde ich in den Hotels immer behandelt wie das Lieblingshündchen einer reichen Dame.“ Ein Roman über die Nöte einer Familie auf der Flucht. Und ein eindrucksvolles Zeugnis der deutschen Exilliteratur. Lesung mit Helga Roloff.

Published at: 16-11-2023

Irmgard Keun: Kind aller Länder | Bild: picture alliance

"Wir waren im Sommer 1936 in Ostende, ich habe viele schöne Muscheln gesucht, Seesterne und kleine Taschenkrebse, von denen ich mir ein Aquarium angelegt habe. Das durfte ich aber nicht mit nach Brüssel nehmen, weil ich schon ständig mit einer sehr großen Puppenküche und einem kleineren Kaufmannsladen reise und mit zwei Schildkröten."

(Irmgard Keun, Kind aller Länder) 

Irmgard Keun – geboren 1905 in Berlin, gestorben 1982 in Köln – gehört zu den bedeutendsten deutschsprachigen Erzählerinnen des 20. Jahrhunderts. Gleich mit ihrem Debüt – mit dem Roman „Gilgi – eine von uns“, 1931 erschienen – eroberte sie sich ein großes, begeistertes Publikum. Das ist einerseits der Geschichte zu verdanken – der Geschichte einer selbstbewussten jungen Frau in der Weimarer Republik. Ebenso aber auch der Art, in der Irmgard Keun erzählte, unkonventionell, frech, voller Verve, voller Tempo.

Wie für andere Schriftstellerinnen und Schriftsteller der Weimarer Republik war das Jahr 1933 – die Machtübernahme der Nationalsozialisten – auch für Irmgard Keun mit einer tiefen, existentiellen Zäsur verbunden. Sie erhielt Publikationsverbot in Deutschland und ging 1936 ins Exil. Im Amsterdamer Querido-Verlag – dieser bedeutenden Institution für die Exilliteratur – veröffentlichte sie weitere Romane, darunter „Kind aller Länder“, eine Geschichte über das herausfordernde Leben im Exil. Nach der deutschen Besetzung der Niederlande ging Irmgard Keun 1940 – mit illegalen Papieren – zurück in die Heimat. In der jungen Bundesrepublik geriet sie immer mehr in Vergessenheit und lebte in prekären Umständen in Köln.

Erst in den späten 70er Jahren wurde ihr Werk – und mit ihm Irmgard Keun – wiederentdeckt. 1981, kurz vor ihrem Tod, erhielt die Jahrzehnte vergessene Schriftstellerin den Marieluise-Fleißer-Preis der Stadt Ingolstadt. Es war die einzige literarische Auszeichnung, die sie – eine so wichtige und gewichtige Erzählerin aus dem 20. Jahrhundert – erhielt. Es ist ein Glücksfall, dass ihr literarisches Werk wieder einen Platz im kollektiven Bewusstsein gefunden hat.

In vier Folgen widmen sich die radioTexte dem Erzählwerk von Irmgard Keun. Der dritte Teil der Reihe stellt ihren Roman „Nach Mitternacht“ vor, zu hören in einer Lesung mit Helga Roloff aus dem Jahr 1987. Kully, Kind zweier Emigranten aus Deutschland, erzählt vom schwierigen Leben im Exil und den abenteuerlichen Versuchen, in der Fremde etwas Sicherheit zu finden. Der Roman ist erhältlich in einer Taschenbuchausgabe im Ullstein-Verlag. Mit freundlicher Genehmigung des Verlages können wir diese radioTexte auch im Bayern 2 Podcast „Lesungen“ anbieten.

Redaktion: Niels Beintker


1