Bayern 2 - radioTexte


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Jean de La Bruyère Von gelehrigen und schwachen Charakteren

„Es ist die tiefe Unwissenheit, die den dogmatischen Ton erzeugt": Vermutlich könnte man leicht dieses Bonmot mit einigen Persönlichkeiten der heutigen Politik verbinden. Er wirkt also bis in unsere Tage, dieser Satz eines klugen Mannes, der bereits im 17. Jahrhundert lebte: Jean de La Bruyère, ein französischer Moralist, dessen treffendes Psychogramm der damaligen zumeist höfischen Gesellschaft ein Klassiker der französischen Literatur geworden ist.

Von: Kirsten Böttcher

Stand: 24.01.2019 | Archiv

Jean de La Bruyère (* 16. August 1645 in Paris; † 10. Mai 1696 in Versailles)
Porträt des Schriftstellers, Paris 16.8.1645 - Versailles 10./11.5. 1696. Öl auf Kupfer | Bild: picture-alliance/dpa/akg

"Feine Lebensart schließt nicht immer Güte, Billigkeit, Dankbarkeit in sich; doch sie verleiht wenigstens den Anschein davon."

(Jean de la Bruyère)

Manche Geister der Spezie Mensch sterben nicht aus. Zumindest scheint es so, wenn man sich in die 1688 erstmals veröffentlichten Charakterstudien Jean de La Bruyères vertieft. Sein Hauptwerk mit dem Originaltitel "Les Caractères ou les Mœurs de ce siècle" wurde umgehend ein literarischer Erfolg und erschien zu La Bruyères Lebzeiten gleich in neun Auflagen.

Marcel Proust bewunderte La Bruyères Charakterstudien.

Inspiriert von den Charakterstudien des Aristoteles-Schülers Theophrast, die in der Antike so beliebt waren, dass sie damals als "goldenes Büchlein" gelobt wurden, richtete der 1645 in Paris geborene Schriftsteller seinen unbestechlichen Blick auf die allzu menschlichen Schwächen seiner Epoche. In seiner stilistischen Vielfalt - vom ausführlicheren Charakterportrait hin zu Aphorismus und Kurzessay - beeinflussten Bruyères "Charaktere" Generationen französischer Schriftsteller, darunter Marivaux und Balzac, Proust oder André Gide. Der eigentlich bürgerlich geborene La Bruyère konnte sich nach der Auszahlung eines Erbes ein Amt in der Finanzverwaltung kaufen, das ihn pro forma adelte. 1684 hatte der ausgebildete Jurist und sporadisch als Privatlehrer tätige Franzose Glück: Auf Empfehlung des Bischofs und Predigers Bossuet wurde er zum Hauslehrer des jungen Duc de Bourbon berufen. Als dieser drei Jahre später verheiratet worden war, blieb La Bruyère als dessen Sekretär und "gentilhomme" am Versailler Hof.

Der Soziologe unter den Moralisten

"Den Mund auftun und beleidigen ist bei manchen Leuten eins. Spott, Beleidigung, Anwurf fließen ihnen von den Lippen wie der Spiegel. Sie wären besser stumm oder blöde von Geburt."

(Jean de la Bruyère)

Für sein Hauptwerk "Die Charaktere" hatte seine Randposition im hochadeligen Milieu durchaus Vorteile. Im Schatten der Reichen und Mächtigen konnte er ungestört Material sammeln über Standesdünkel, Eitelkeit, Eifersucht oder Gier und seine daraus entwickelte Typologie in treffene Lebensweisheiten oder auch sarkastische Aphorismen kleiden.

"Ich stelle mir vor, dass die Menschen ewig auf Erden lebten, und überlege, ob sie sich dann wohl noch angestrengter und noch geschäftiger um ihr Fortkommen bemühen würden als heute."

(Jean de La Bruyère, Die Charaktere)

La Bruyère, den man auch den Soziologen unter den französischen Moralisten genannt hat, vertieft sich darüber hinaus in seinen "Charakteren" aber auch in so diverse Themenfelder wie Mode, die Stoa, Frauen oder Glaubensfragen.

"Wir sollten darauf begierig zu sein zu sterben, das heißt körperlos und reiner Geist zu werden: doch der Mensch, der sonst so ungeduldig nach Neuem verlangt, kennt gerade in diesem Punkt keine Neugier; unstet von Natur und von allem schnell gelangweilt, wird er des Lebens niemals überdrüssig; er wäre vielleicht bereit, ewig zu leben."

(Jean de La Bruyère)

"Die Charaktere" von Jean de La Bruyère

am 5. Februar 2019 in den radioTexten am Dienstag, kurz nach 21.00 Uhr auf Bayern2

Lesung mit Wolf Euba

Das Buch, aus dem Französischen übertragen von Otto Flake und mit einem Nachwort von Ralph-Rainer Wuthenow versehen, ist im Insel Verlag erschienen.

Moderation und Redaktion: Antonio Pellegrino

Die Sendung finden Sie auch als Podcast in der BR-Mediathek oder als Stream hier auf dieser Seite.


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