Lesung und Gespräch Lea Ruckpaul: Bye bye Lolita
Eine schonungslose Anklage sexueller Gewalt In ihrem Debüt „Bye Bye Lolita” erzählt die Schauspielerin Lea Ruckpaul Vladimir Nabokovs umstrittenen Roman neu – aus der Perspektive von Dolores Haze. Vom Versuch, sich frei zu schreiben. Lesung und Gespräch mit Lea Ruckpaul.
"Sein Fluch hat sich erfüllt. Ich stecke im Kind fest, im kleinen Mädchen. Beim Schreiben, so hatte ich gehofft, würden sich meine Erlebnisse vereindeutigen, um das schrumpfen, was nicht in den von mir verwendeten Worten enthalten ist. Wie wenn man Plätzchen aussticht aus einem Teig. Eine Vergangenheit aus Begriffen; ohne Wucherung, ohne Rand, ohne Widersprüchlichkeit."
(Lea Ruckpaul: Bye bye Lolita)
Die Frau, die hier ihre Geschichte erzählt, ist tief traumatisiert. Vor zwei Jahrzehnten, damals noch ein Kind, war sie lange Zeit sexueller Gewalt ausgeliefert. Humbert Humbert wird der Mann genannt, der die zwölfjährige Dolores Haze von sich abhängig machte und, nach dem Unfalltod ihrer Mutter, zu ihrem Vormund wurde. Er ist die Hauptfigur in Vladimir Nabokovs hoch umstrittenen Roman „Lolita“ aus dem Jahr 1955. In „Bye Bye Lolita“, dem literarischen Debüt von Lea Ruckpaul, versucht Dolores Haze, mit den Folgen des Erlittenen zu brechen. Sie will sich befreien. Sie will Lolita abschütteln.
Um diesen Vorsatz zu verwirklichen, schreibt Dolores Haze in den schwarzen Taschenkalender, den sie Humbert Humbert einst gestohlen hat. Sie erzählt darin ihre Version der Geschichte. Gleichzeitig liest Dolores seine Einträge, seine Schilderungen – und kontrastiert diese mit ihren Erinnerungen. Immer deutlicher entsteht das Bild eines Systems brutaler Abhängigkeit und der mit ihm verbundenen sexuellen Gewalt. In der Rolle der Lolita ist Dolores keine niedliche Nymphette. Sie ist Opfer endloser Übergriffe und Demütigungen. Und sie erzählt all das in einer harten Sprache. Ein Hilferuf. Eine schonungslose Anklage. Eine Abrechnung. Eine Selbstermächtigung.
Lea Ruckpaul, 1987 in Ostberlin geboren, ist Schauspielerin und gehört seit 2023 zum Ensemble des Münchner Residenztheaters. Unter anderem ist sie dort in der Inszenierung von Suzie Millers Solo-Stück „Prima Facie“ zu erleben. Das Drama handelt von einer Strafverteidigerin aus England, die vergewaltigt wird. In Folge dieser Gewalterfahrung begehrt sie gegen das von Männern geschaffene Justizsystem auf und stellt unter anderem das System der Prima-facie- oder Anscheinsbeweise in Frage. Neben ihrer Arbeit auf der Bühne schreibt Lea Ruckpaul für das Theater, ihr Stück „My Private Jesus“ wurde 2023 in Düsseldorf aufgeführt. „Bye Bye Lolita“ ist ihr erster Roman.
Die literarische Auseinandersetzung mit der Geschichte von Dolores Haze ist im Verlag „Voland & Quist“, Berlin und Dresden, erschienen. Lea Ruckpaul liest aus ihrem Roman und erzählt über ihr Interesse an diesem schmerzhaften Stoff. Mit freundlicher Genehmigung des Verlages „Voland & Quist“ sind Lesung und Gespräch zu finden im „Bayern 2 Podcast Buchgefühl – reden und lesen“. Redaktion und Moderation: Niels Beintker.