Sir Salman Rushdie "Golden House", ein Feuerwerk von Homer bis Trump
"Wir sind Eisberge, das heißt nicht, dass wir kalt sind, nur dass das meiste von uns sich unter der Oberfläche befindet und dass der Teil, der im Verborgenen liegt, die Titanic sinken lassen kann", legt Salman Rushdie Nero Golden in den Mund, dem reichen, despotischen Familienpatriarchen, der aus Mumbai geflohen ist und sich in New York ein neues Leben erfindet. "Golden House", ein Gesellschaftspanorama, das an der Fassade kratzt und dahinter schaut. Wie nah liegen "gut und böse" beieinander? Was ist wahr? Wie steht es um unsere Moral?
"Golden House" - ein Feuerwerk von Homer bis Trump
"Am Tag der Amtseinführung des neuen Präsidenten, … als wir Angst hatten, er könnte ermordet werden, als viele von uns wegen der geplatzten Hypothekenblase kurz vor dem wirtschaftlichen Ruin standen und als Isis noch eine ägyptische Göttin war, traf ein ungekrönter, etwa siebzigjähriger König mit seinen drei mutterlosen Söhnen aus einem fernen Land in New York City ein, um seinen Palast im Exil zu beziehen …"
aus: 'Golden House'
René, der Erzähler, der hübsche, anfangs noch etwas blasse Sohn philanthroper Geisteswissenschaftler, der gern Filme machen möchte, ist aufgewachsen in einer Blase, in Greenwich Village, Manhatten. Den Stoff für seinen ersten Film findet er gleich gegenüber, bei der mysteriösen, unermesslich reichen Familie Golden, mit der er bald mehr verstrickt ist als ihm lieb sein kann. Nomen est omen bei Nero Golden, dem Patriarchen, der den Duft despotischer Gefahr mit sich trägt, später eine russische Lady Macbeth zur Seite hat und dem das Feuer gleich mehrfach zum Verhängnis wird.
Seine drei Söhne sind alle krisengebeutelt: Petya, der geniale Erfinder von Computerspielen, ist Autist; der großspurige Apu wird Künstler und dramatisch enden; Dionysus, genannt D, weiß nicht, ist er Mann oder Frau? Eine rätselhafte Familie, die sich da in New York neu erfindet und aus einem Land kommt, das nicht genannt werden darf, sich aber bald als Indien entpuppt.
Salman Rushdie, in Bombay geboren, hat in Kinos genauso viel gelernt wie in Bibliotheken
Sir Salman Rushdie sieht sich selbst noch immer als Junge aus Bombay, der an Indien klebt. Kein Buch ohne Indien-Bezug, auch "Golden House", dieser New York-Roman birgt mit der Familie Golden indische Figuren und atemraubende, dramatische Szenen: Vom Terror in Bombay 2008, als das legendäre Hotel "Taj Mahal Palace" brannte und Neros Frau darin umkam. Tödlich endet auch Apus Reise nach Indien. Entlarvend der Malabar Hill mit den Schönen und Reichen, die Versuche, Indien zu destabilisieren mit Waffenlieferungen aus Pakistan, die mafiösen Verstrickungen eines indischen Don Corleone, der Nero Golden vom Gold-König zum Diener degradiert, zum Dhobi, dem Wäscher, genauer: dem Geldwäscher und Geldkofferträger der Mafia, deren Bandenkrieg er fast zum Opfer fällt. Man möchte wetten, dass Rushdies Romankulisse und ihre mafiosen Akteure sehr reale Modelle haben, auch im heutigen Mumbai.
Alles real also, aber nicht ohne mythische, literarische, cineastische Bezüge, allen voran der „Joker“ aus dem Cartoon „Gotham City“: grüne Haare, bleiches Gesicht, blutrote Lippen. Ein Schelm, wer an den jetzigen Präsidenten der USA denkt, der im November 2016 zur Wahl antrat.
"Es war das Jahr des großen Kampfes zwischen gestörter Fantasie und grauer Realität, … der Welt, wie sie war .. und wie sie gesehen wurde, dem Ding an sich, um den Kant'schen Begriff zu verwenden – und andererseits diesem Charakter aus einem Cartoon, der die Grenze zwischen der Buchseite und der Bühne überschritten hatte – eine Art illegaler Immigrant, dachte ich -, dessen Plan vorsah, das ganze Land mit vorgetäuschter Ausgelassenheit in eine moderne düstere Graphic Novel zu verwandeln…"
aus 'Golden House'
Salman Rushdie, ein Global Player der Philosophie und Künste
Rushdie ist ein Cinemaniac, ein Literamaniac und ein Global Player der Philosophie und Künste. Virtuos, wie er Kino und Realität, Cartoon und Kant, klassische Tragödie und Politik verbindet, wie er von Homer über Hitchcock bis zu Indiens Kultregisseur Satyajit Ray jagt. Mit dem Joker beginnt Neros Sturz und Amerikas Niedergang. Renés Schock sitzt tief.
"Es war ein Jahr mit zwei Blasen: In einer dieser Blasen kreischte der Joker, und die Lachkonserven-Menge lachte genau aufs Stichwort. In dieser Blase wandelte sich das Klima nicht, und das Ende der arktischen Eisdecke bot einfach eine neue Gelegenheit für Immobiliengeschäfte. … In der anderen Blase befand sich… die Stadt New York, … und die New Yorker konnten einen Betrüger identifizieren, wenn sie einen sahen. In Gotham wussten wir, wer der Joker war, und wollten nichts mit ihm zu tun haben .."
Identität oder Moral? Schicksal oder freier Wille?
Grandios, wie realistisch und märchenhaft, wie kühn und poetisch, aktuell und zeitlos Salman Rushdie in diesem funkelnden geistreichen New York-Roman menschliches Verhalten beschreibt und Fragen von Identität und Moral verhandelt: Kann ein Mensch gleichzeitig gut und böse sein? Was ist Schicksal, was freier Wille? Und was heißt Verrat? Sind Menschen „überhaupt moralische Wesen oder Wilde, die ihre Bigotterien als Ethik definieren?“ fragt René, zürnt über die Wut des weißen Amerika, das sich „mit einem schwarzen Präsidenten abfinden musste“, erzählt von Nero und dem „Golden House“ in New York, in Stories und Fragmenten, mit filmischen Mitteln: Wischblende – langsame Überblendung - Schnitt.
Gert Heidenreich liest Ausschnitte in "radioTexte - Das offene Buch"
"Golden House", erschienen bei C. Bertelsmann in der Übersetzung von Sabine Herting
Lesung mit Gert Heidenreich, der sich 1989 mit anderen Schriftstellern für die Veröffentlichung der "Satanischen Verse" auf Deutsch einsetzte, am Sonntag, dem 3. Dezember um 11 Uhr auf Bayern 2.
Redaktion und Moderation: Cornelia Zetzsche