Kein Blanko-Scheck Europäer gehen auf Distanz zu Erdogan
Der Putschversuch ist niedergeschlagen - nun geht der türkische Präsident Erdogan mit harter Hand gegen politische Gegner vor. Nach innen wird seine Macht weiter wachsen. Doch außenpolitisch könnte er sein Land in die Isolation treiben. Die EU rückt bereits von der Türkei ab.
![Visumsverhandlungen Türkei und EU | Bild: picture-alliance/dpa Visumsverhandlungen Türkei und EU | Bild: picture-alliance/dpa](/nachricht/tuerkei-visum-104~_v-img__16__9__l_-1dc0e8f74459dd04c91a0d45af4972b9069f1135.jpg?version=687e5)
Man kann inzwischen die Besorgnis geradezu mit Händen greifen und fast in ganz Europa versuchen Politiker aller Couleur, diese Besorgnis in Worte zu fassen. Didier Reynders ist einer von denen. Und der Belgier ist nicht irgendwer, er ist immerhin einer dienstältesten Außenminister in der EU:
"Man muss einfach ein korrektes Verhalten der Regierung verlangen können. Das heißt, dass sie sich an die demokratischen Regeln hält. Es ist völlig normal, die Anstifter des versuchten Putsches zu verfolgen. Aber dabei muss man korrekt vorgehen und den Rechtsstaat respektieren."
Didier Reynders, Außenminister Belgien
Machtgewinn nach innen, Machtverlust nach außen
Gemeint sind die von Präsident Erdogan höchstselbst verkündeten Säuberungen. Tausende wurden bereits festgenommen. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Richter in der Türkei verlor seinen Job. Auch die Wiedereinführung der Todesstrafe ist im Gespräch. "Erdogan mag dadurch seine innenpolitische Position stärken, außenpolitisch würde er sich isolieren", warnt etwa der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger. Und der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz betont, man bestehe auf der Gewaltenteilung in der Türkei. Noch deutlicher wird Frankreichs Außenminister Jean-Marc Ayrault. Im Sender France 3 wendet er sich direkt an den türkischen Präsidenten:
"Das ist kein Blankoscheck, Herr Erdogan! Wir Europäer müssen das in Erinnerung rufen. Auch für die Türkei gelten demokratische Spielregeln. Man braucht jetzt keine Säuberungen, man muss zusehen, dass der Rechtsstaat funktioniert."
Jean-Marc Ayrault, Außenminister Frankreich
Flüchtlingsproblem gebietet Realpolitik
Bereits an diesem Montag kommen in Brüssel die Außenminister der EU zusammen. Eigentlich ist das Ganze als Routinetreffen einberufen, aber der künftige Umgang mit der Türkei dürfte nun ganz oben auf der Agenda stehen. Europaparlamentarier, wie der Grüne Jan Philipp Albrecht oder die Linke Martina Michels, fordern bereits die Kooperation auszusetzen. Mit Unrechtsregimen könne man weder verhandeln noch kooperieren, schreibt Albrecht im Kurznachrichtendienst Twitter. Soweit wird es zunächst nicht kommen. Zu sehr ist Europa seit Deal in der Flüchtlingspolitik auf die Türkei angewiesen.
Demonstrationen in Augsburg
500 bis 600 Türken haben laut Polizei am Sonntagnachmittag auf dem Augsburger Rathausplatz gegen den versuchten Militärputsch in der Türkei demonstriert. Die Kundgebung sei absolut friedlich verlaufen, sagte ein Polizeisprecher dem BR. Allerdings war es in der Nacht von Freitag auf Samstag in der Region zu gewalttätigen Zwischenfällen gekommen: Unbekannte hatten zwischen 1 und 2 Uhr mit Steinen die Fensterscheiben zweier türkischer Einrichtungen in Gersthofen und dem Augsburger Stadtteil Haunstetten eingeworfen. Da es sich um Bildungseinrichtungen des Frohsinn Bildungszentrums handelt, das der Gülen-Bewegung nahesteht, vermutet die Polizei einen Zusammenhang zu dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei. „Wir ermitteln aber in alle Richtungen“, sagte ein Polizeisprecher am Sonntagnachmittag dem BR. Den entstandenen Sachschaden in beiden Einrichtungen schätzt die Polizei auf je 500 bis 600 Euro.
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Herrmann Gallistl, Montag, 18.Juli 2016, 11:32 Uhr
11. Erdogan-Putsch
Ein schaler Geschmack hängt an dieser Affäre, gewisse Parallelen mit dem Reichstagsbrand sind erkennbar.
Frau Merkel lobt den Sieg der Demokratie, stehen die knapp 3000 Richter und sonstige unbequeme kritische Personen , die jetzt in türkischer Haft büßen, nicht hinter demokratischem Denken.
In 2 Tagen gedenken wir Staufenberg und anderen Widerstandskämpfern, möglicherweise ist dies Anlass, um sich zurück zu besinnen.
Alois Hingerl , Montag, 18.Juli 2016, 00:25 Uhr
10. Putsch
So "dilettantisch" wie sich der Putsch sich im Nachhinein darstellt, drängt sich die Frage auf, ob er nicht von dem Herrn E. inszeniert worden ist. Beispiele gibt es genug in der Geschichte. Siehe, zum Beispiel, die Geschichte der NSDAP.
Und bevor der Hr. Truderinger sich wieder einmischt, bitte schaut einfach mal in unserer Geschichte nach. Damals hat sich ein gewisser Hr. aus Braunau auch seiner getreuen SA erledigt, die Judikative zerstört und dann das Parlament aufgelöst.
Artus, Sonntag, 17.Juli 2016, 22:37 Uhr
9. Erdogan entzweit die Türkei
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Erdogan das ganze Zinnober selbst initiiert hat , um seine diktatorische Herrschaft weiter auszudehnen. Wer on den hier in Deutschland lebenden Türken Erdogan so toll findet kann ja gerne zurück in die
Türkei gehen. Die Türken die ich kenne zeigen, vorsichtig ausgedrückt, wenig Sympathie für diesen Despoten.
B.Blatt, Sonntag, 17.Juli 2016, 22:11 Uhr
8. Erdogans Verhalten
Das Verhalten des türkischen Präsidenten erinnert mich an eine Erkenntnis aus der Zeit des Römischen Reiches, die ich sinngemäß wiedergeben geben möchte.
"Den wahren Geist des kleinen Mannes erkennt man dann, wenn die Götter ihm Macht verleihen "
Wie das Wörtchen "klein" zu interpretieren ist, ist dabei jedem Leser selbst überlassen.
In Bezug auf Erdogan drängen sich mir zwei Deutungsmöglichkeiten auf, deren Wiedergabe ich mir ersparen möchte, um nicht mit den Kommentar-Richtlinien des BR in Konflikt zu geraten.
Truderinger, Sonntag, 17.Juli 2016, 22:01 Uhr
7.
Natürlich ist Erdogan ein schwer zu ertragender narzisstischer Despot und man könnte kaum Mitleid mit ihm haben, würde er gestürzt. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass er demokratisch gewählt und somit legitimiert ist. Man sieht an diesem Beispiel sehr deutlich, welch großer Unterschied zwischen demokratisch gesinnt und demokratisch gewählt besteht.