Abschiebung von Flüchtlingen "Solidarität war gestern!"
Darf man Flüchtlinge nach Griechenland zurückschicken? Eigentlich müsste die Antwort 'Ja!' heißen - denn das regelt das Dublin-Abkommen. Auf der anderen Seite ist Griechenland mit der Situation nach wie vor komplett überfordert, bemängelt Ska Keller von den Grünen in der Bayern 2-radioWelt.
Darf man Flüchtlinge aus Deutschland zurückschicken nach Griechenland, wenn sie dort erstmals den Boden der EU betreten haben? Eigentlich müsste die Antwort 'Ja!' heißen - so sieht es das Dublin-Verfahren vor. Aber seit 2011 hat Deutschland solche Abschiebungen ausgesetzt. Zu groß schienen die Mängel im griechischen Asylsystem - der Schutz von Flüchtlingen war dort kaum gewährleistet. Jetzt will Bundesinnenminister de Maizière Abschiebungen nach Griechenland wieder aufnehmen - zumindest wirbt er darum bei seinen EU-Ministerkollegen bei einem Treffen am Donnerstag in Luxemburg.
Ska Keller ist stellvertretende Fraktionschefin der Grünen im Europaparlament und deren flüchtlingspolitische Sprecherin.
radioWelt: Kann ein Flüchling in Griechenland damit rechnen, dass sein Asylantrag genauso gründlich geprüft würde wie in Deutschland?
Ska Keller: In Griechenland wird das Asylsystem immer noch aufgebaut. Jahrzehnte lang hat es gar nicht existiert. Es geht zwar voran, aber Griechenland hat über 60.000 Flüchtlinge - täglich kommen bis zu 200 neue dazu - und das Land hat keine Aufnahmekapazität mehr. Das ist das Hauptproblem: die Unterbringung der Menschen. Die Asylbehörde hat gerade mal 300 Mitarbeiter. Die Größe der Herausforderung ist enorm für das kleine Land.
radioWelt: Bundesinnenminister de Maizière sieht das offenbar anders. Er sagt, dass die EU Griechenland so sehr geholfen habe, dass man jetzt auch wieder verlangen kann, dass Athen Flüchtlinge zurücknimmt.
Ska Keller: Die Europäische Union unterstützt alle Mitgliedstaaten bei der Aufstellung ihres Asylsystems - auch Deutschland bekommt Geld - aber wir haben ein prinzipielles Problem mit dem sogenannten Dublin-System: Länder an den Außengrenzen sind überdurchschnittlich stark betroffen. Wir gehen davon aus, dass die Grenzländer das regeln sollen, ohne uns solidarisch zu beteiligen. Das ist das Kernproblem. Lange hat die Bundesregierung auch gesagt, genau das solle geändert werden, aber das scheint jetzt wieder vom Tisch zu sein. Solidarität war gestern!
radioWelt: Sehen Sie eine Alternative?
Ska Keller: Man braucht mehr Solidarität. Prinzipiell muss man Flüchtlinge auf alle Mitgliedsländer umverteilen. Alle müssen sich beteiligen! Und ganz wichtig: Die Anknüpfungspunkte der Flüchtlinge sind zu berücksichtigen, damit man Integrationsmöglichkeiten schafft. Gerade wenn ein Flüchtling einen Onkel, eine Tante in der EU hat, dann darf dieser Flüchtling bisher nicht zu seinen Familienangehörigen, obwohl diese ihn unterstützen würden. Das ist nicht förderlich!