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Das Thema Gewalt und Religion

Es gibt in der Bibel rund 600 Stellen, die von menschlicher Gewalt sprechen und rund 1.000 Stellen, bei denen Gott Gewalt ausübt. Abgründe tun sich auf, aber der Blick in den Abgrund kann aufklärend, kompensierend und therapeutisch wirken. Hasstiraden und Rachewünsche - wie sie beispielsweise in den Fluchpsalmen auftauchen - hätten dann eine wichtige Funktion als Schrei nach Gerechtigkeit, Solidarität mit den Schwachen und Wahrung ihrer Würde.

Stand: 15.01.2011 | Archiv

Christliche Kopten im Niltal | Bild: picture-alliance/dpa

Von Kränkung und Aggression befreit man sich nicht durch Verdrängung, sondern durch Artikulation und kann nur so den Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt durchbrechen. Der Gott, der sich nach solch einer therapeutischen Befreiung zeigt, ist dann tatsächlich liebend und versöhnlich.

Vom "Raubtiergott" zur gütigen Vaterfigur

Als literarischer Text bildet die Bibel eine Menschheitsentwicklung und einen religiösen Reifungsprozess ab, der seit Jahrtausenden andauert und weiter in Gang ist. Aus dem archaischen „Raubtiergott“ entwickelte sich allmählich der befreiende Gott und gütige Vater, entsprechend dem Verlauf der menschlichen Siedlungsgeschichte vom Jäger- und Nomadentum hin zur Sesshaftigkeit und zu patriarchalen Strukturen. Besonderes Augenmerk verdient in diesem Zusammenhang der Wandel der Opferrolle: In archaischen Religionen wurde das Opfer von seinem Kollektiv für schuldig erklärt, es blieb passiv und befriedigte im Opferungsvorgang die versteckte Lust am Töten. Diese Opferfigur wirkte entlastend für das Kollektiv. Dem entgegen steht die christliche Passionsgeschichte, in der das Opfer unschuldig ist, aktiv das Geschehen bestimmt und transformiert (indem Jesus gerade für jene betet, die ihn töten).

Opfer und Sündenbock

Zwei zeitgenössische Theologen haben sich in besonderem Maße mit dem Wandel der Opfer- und Sündenbockfigur auseinandergesetzt: René Girard und Raymund Schwager. René Girard spricht von einer "heiligen Gewalt" in der archaischen Religion, die auf dem Blutopfer beruht und das Opfer - aufgrund seiner stabilisierenden und Frieden sichernden Funktion - nach verübter Gewalttat sogar verehrt. Hinzu kommt bei den vorchristlichen Formen eine Nichtreflexion des eigenen Tuns. Das Christentum der Passionsgeschichte spricht dieser "heiligen Gewalt" die Legitimation ab, prangert sie an und beraubt das Kollektiv der entlastenden Funktion.

"Die antike Mythologie durchschaut ihre eigene Gewalt nicht, das ist der entscheidende Unterschied. Sie zeigt uns immer wieder schuldige Menschen, die schuldig sind. Das heißt: Diejenigen, die in mythologischen Erzählungen Gewalt ausüben, begreifen ihre eigene Gewalt nicht, an keiner Stelle. Sie behaupten sogar, sie würden Gerechtigkeit üben. Erst die Bibel, (...) durchschaut die archaische Gewalt und unseren Anteil daran"

René Girard

"Negative Unangreifbarkeit"

Der Geist unserer religiösen Kultur opponiert gegen das gewaltsame Opfer und eine vermeintlich heilige Gewalt. Wie aber wäre in diesem Zusammenhang der Akt von Gewalt gegen sich selbst und der Vorgang der Selbstopferung zu sehen? Als "negative Unangreifbarkeit" bezeichnet der Innsbrucker Theologe Raymund Schwager die Situation des islamistischen Selbstmordattentäters. Indem dieser den Tod nicht scheut, kann er auch einen übermächtigen Feind empfindlich treffen und zermürben.

"...alles Bemühen um mehr Gerechtigkeit und Frieden auf Erden stößt an harte Grenzen und scheitert immer wieder. Vor allem die vielfältigen Erfahrungen der Gewalt zeigen, dass wir unser Geschick nicht in festen Händen haben und dass es keine Sozialtechnik gibt, die allen Gerechtigkeit verschaffen kann. Soll das Hoffen auf einen wahren Frieden und eine volle Gerechtigkeit nicht leere Utopie bleiben, die leicht in eine zynische Rechtfertigung irdischer Herrschaft und Gewalt umschlagen kann, dann sind wir doch wieder auf ein kommendes Leben bei Gott verwiesen. (...) Dass die Ausrichtung auf ein himmlisches Paradies auch massive Auswirkungen für das Leben auf Erden hat, demonstrieren die muslimischen Selbstmordattentäter, und sie beweisen es - über ihre Gegenwart in den Medien - der ganzen Welt. Dies sind zwar erschreckende Beispiele, die aber doch eines klar machen: Wer im Blick auf ein Jenseits das eigene Leben preisgibt, wird unangreifbar. Mit keiner Gewalt kann man ihm etwas heimzahlen."

Raymund Schwager


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