Altkatholisch in Weidenberg Der lange Weg zur Toleranz
Weidenberg ist ein Zentrum des Altkatholizismus. Die Stelle des Geistlichen ist dort mit zwei jungen Priestern besetzt. Stefan Leitenbacher und Florian Lehnert haben, ähnlich wie ihre Gemeindemitglieder, eine lange Reise hinter sich auf der Suche nach Toleranz und einem selbstbestimmten Leben im Glauben.
Florian Lehnert ist berufsbedingt in den beschaulichen Ort Weidenberg in Oberfranken gezogen, knapp zwanzig Autominuten von der Kreisstadt Bayreuth entfernt.
"Ich war vorher in Krefeld als Geistlicher. Dann ergab es sich, dass die Pfarrerwahl hier in den Gemeinden erfolglos verlaufen ist und die Kirchenleitung brauchte eine schnelle Lösung, um hier den großen pastoralen Raum abzudecken und hat dann gefragt, ob ich bereit wäre, mich versetzen zu lassen. Nachdem ich aus Bayern komme und nachdem das auch eine unerwartete Möglichkeit war, wieder näher an die Heimat heranzurücken, hab ich dem dann zugestimmt und bin jetzt hier in Weidenberg."
Florian Lehnert, Priester
Weidenberg – Zentrum des Altkatholizismus
Weidenberg mit seinen knapp 6.000 Einwohnern ist ein Zentrum des Altkatholizismus. Immerhin vier Prozent der Weidenberger sind altkatholisch – im gesamtdeutschen Durchschnitt kommen die rund 15.000 Altkatholiken gerade einmal auf 0,02 Prozent. Dass der Anteil hier so viel höher ist, hinge mit der deutschen Nachkriegsgeschichte zusammen, sagt Lehnert. Mit den Sudetendeutschen seien damals auch Altkatholiken nach Weidenberg gekommen. Und die haben hier eine Kirche, ein Pfarrhaus und einen Gemeinderaum gebaut.
Konvertieren – kein leichter Entschluss
In dem Pfarrhaus mit Blick über den Wiesengrund der Steinach wohnt der neue altkatholische Priester von Weidenberg: Stefan Leitenbacher, der hier gerade staubsaugt, das Mittagessen vorbereitet und Wäsche bügelt. Er stammt aus dem Berchtesgadener Land und war früher römisch-katholischer Priester, dann konvertierte er. Kein leichter und deshalb auch kein schneller Entschluss.
"Es ist ja ein langer Prozess, der da vorausgeht. Also es ging um Entfremdung und auch Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen und darum, feststellen zu müssen: Es wird sich nichts ändern und ich komme da mit meinen Themen nicht voran und ich kann auch nichts selbst gestalten."
Stefan Leitenbacher, Priester
2019 ging er für den Masterstudiengang altkatholische und ökumenische Theologie nach Bonn, das ist Pflicht bei Quereinsteigern. Vieles war ihm vertraut, anderes ganz neu. Trotzdem fühlt er sich in seinem neuen Glauben nicht fremd.
"Evangelisch wäre für mich fremder. Altkatholisch ist ja doch ähnlicher. Von der Liturgie her, von den Festen, von den Sakramenten ist das schon sehr ähnlich, auch, wenn es in der Ausführung anders aussieht, weil die finanziellen Mittel ganz anders aussehen und es keine Volkskirche ist."
Stefan Leitenbacher, Priester
Was ist das überhaupt – altkatholisch?
Florian Lehnert ist ebenfalls vom römisch-katholischen zum altkatholischen Glauben konvertiert und hat in Bonn noch einmal studiert. Aber was ist das überhaupt – altkatholisch?
"Eine eigenständige katholische Kirche, unabhängig von Rom, hervorgegangen aus dem Protest gegen die Beschlüsse des ersten Vatikanischen Konzils 1870, als der Papst als unfehlbar in Fragen der Lehre und der Sitte erklärt wurde, und man ihm zugesprochen hat, einen Universalanspruch in der Kirchenleitung zu haben."
Florian Lehnert, Priester
Dagegen gab es Widerstände im deutschsprachigen Raum, aus denen heraus sich die altkatholische Kirche formierte. Alt, weil sie für sich in Anspruch genommen hat, die alte Lehre der Kirche aufrecht zu erhalten.
"Und altkatholisch auch deshalb, weil es der Rückbezug oder der Bezug zur alten, ungeteilten Kirche für die alten katholischen Mütter und Väter besonders wichtig gewesen ist."
Florian Lehnert, Priester
Die altkatholische Kirche – neuer, offener, moderner
Kirchenväter und -mütter. Das kommt dem Priester ganz selbstverständlich von den Lippen und klingt doch ungewohnt für ein Ohr, das im katholischen Zusammenhang meist nur von Vätern hört. Bei den Altkatholiken gibt es Priesterinnen, keinen Pflichtzölibat und Geistliche – auch Geistliche desselben Geschlechts – dürfen heiraten. Es liegt nahe, die altkatholische Kirche trotz ihres Namens, für die neuere, die modernere, die offenere Kirche zu halten. Das höre er immer wieder, sagt Florian Lehnert, aber das alles habe auch seine Zeit gebraucht.
"Der Pflichtzölibat ist 1878 aufgehoben worden, relativ schnell, und die Frage der Frauenordination, die hat ja dann noch lange auf sich warten lassen. Also die offizielle Einführung von Frauenordinaten zum Priestertum, die gibt es ja erst seit 1996 in unserem Bistum. Und, dass gleichgeschlechtliche Paare heiraten können, das ist eine Entscheidung aus der Synode 2021 – auch, wenn es vorher schon die Segnung von Partnerschaften gab – aber diese Gleichstellung, die gibt es jetzt auch erst seit kurzem. Das ist ein Entwicklungsprozess."
Florian Lehnert, Priester
Zwei Priester, offen homosexuell, verheiratet
Entwicklungsprozesse brauchen ihre Zeit – das gilt für Institutionen wie für Individuen. Florian Lehnert ist homosexuell. Stefan Leitenbacher ebenso. Beide waren Priester der römisch-katholischen Kirche und jeder für sich stieß irgendwann an deren Grenzen. Es war der Beginn einer Suche.
"In diese Suchbewegung, die es schon gab – wo ist denn da mein Platz? – ist auch der Moment gefallen, in dem wir uns kennengelernt haben und uns gesagt haben, gut, wir probieren das miteinander in aller Offenheit aus. So dass jeder auch die Entscheidung treffen kann, ich beende das, weil ich nicht rausgehen möchte aus der römisch-katholischen Kirche, oder weil ich nicht bereit bin, ein Doppelleben zu führen. Diese Freiheit war auch ganz wichtig, damit jeder für sich mit der neugewonnenen Perspektive an Argumenten, Überlegungen eine Entscheidung treffen konnte, wo es hingeht."
Florian Lehnert, Priester
Letztlich haben sich die beiden gegen ihre alte Konfession und für einander entschieden. Im März 2020 wurden sie ein Ehepaar. So ein elementarer Entschluss betrifft auch die Familien.
"Es war für sie schon schwierig: Wie werden das Umfeld, die Nachbarschaft, der Ort reagieren? Das waren die Ängste, aber nicht wegen mir selbst. Also zu mir sind sie schon gestanden. Es war eher die berufliche Perspektive, wie soll es weitergehen, da ich oder wir nicht bereit waren, auf Dauer eine Fernbeziehung zu führen und auch nicht dieses verlogene Spiel mit Verstecken und Doppelleben zu führen."
Stefan Leitenbacher, Priester
"Alle Dinge, die das normale Leben angehen, hätte man irgendwie unter dem Deckmantel führen müssen und wenn man irgendwo vielleicht gesehen worden wäre, hätte es natürlich immer auch die Möglichkeit gegeben, denunziert zu werden. Ja, so war das."
Florian Lehnert, Priester
"Es dauerte rund zweieinhalb Jahre, bis klar war, welche Perspektive wir haben. Da war dann auch das Bewerbungsverfahren bei der altkatholischen Kirche mit dabei, das wir durchlaufen mussten, und bis dann auch die Zusage kam, dass sie uns – und auch in dieser Kombination mit Stellenteilung – nehmen würden."
Stefan Leitenbacher, Priester
Selbstbestimmtes Leben als katholische Geistliche
Nun lebt das Priesterehepaar Leitenbacher und Lehnert als Geistliche im Auftrag in Weidenberg. Es ist der vorläufige Endpunkt einer langen Suche nach einem selbstbestimmteren Leben als katholische Geistliche.