Bayern 2 - Zeit für Bayern


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Blutsauger in München Dracula beginnt in Bayern

„Habe München am 1. Mai, abends um 8 Uhr 35 verlassen. Ankunft in Wien früh am nächsten Tag.“ Der Roman Dracula beginnt in München, mit den zitierten Zeilen – was kaum jemand weiß. Was noch weniger Menschen wissen. Ein weiterer Text des Dracula-Erfinders Bram Stoker spielt in und um München.

Stand: 01.04.2017 | Archiv

Als wir uns auf die Spazierfahrt begaben, strahlte die Sonne über München, und in der Luft lag die Fülle frühsommerlicher Heiterkeit. Gerade als wir anfahren wollten, kam Herr Delbrück – der Maitre des „Vier Jahreszeiten“, wo ich eingemietet war – die Treppe herunter und lief auf unsere Kutsche zu.

Mitten in München, vor dem Hotel Vierjahreszeiten beginnt die kurze Erzählung „Draculas Gast“.

Delbrück wandte sich an den Kutscher: „Denken Sie daran, dass Sie bei Einbruch der Nacht zurück sein sollen! Der Himmel schaut zwar freundlich drein, aber die Brise ist kühl und das bedeutet, dass es einen plötzlichen Sturm geben könnte. Doch ich bin sicher, dass Sie zur rechten Zeit zurück sein werden …“ dann lächelte er und fügte hinzu:“…denn Sie wissen ja, was für eine Nacht heute kommt.“

"Er fängt an mit klassischen Schauermitteln, das Unklare gehört zu dem Schauer dazu, deswegen alles muss geheimnisumwittert sein."

Christian Begemann

Christian Begemann ist Professor für Germanistik an der Münchner LMU, und dort der Experte für Vampirismus in der Literatur. Die 25 Seiten lange Erzählung "Draculas Gast“ stammt auch von Dracula-Erfinder Bram Stoker, wurde aber erst zwei Jahre nach seinem Tod veröffentlicht, 1914, von seiner Witwe.

Widerwillig bringt der Kutscher den Helden der Geschichte, Jonathan Harker, vor die Stadtgrenze. Der Kutscher ist ein rechter Hasenfuß, furchtbar nervös und würde am liebsten gleich wieder umdrehen. Ständig schaut er auf seine Taschenuhr, faselt von Selbstmördern, der Walpurgisnacht, einem versunkenen Dorf.

Wie wir so dahin fuhren, entdeckte ich einen wenig benutzten Fahrweg, der durch ein schmales, gewundenes Tal zu führen schien. Ich ersuchte den Kutscher, doch diese Sträßchen hinunter zu fahren. Er hatte sogleich tausend Ausreden, wobei er sich ständig bekreuzigte.

Schließlich wird es Harker zu dumm, er schickt den Kutscher nach München zurück und wandert alleine weiter, hinein in das schmale gewundene Tal. Und dann passieren die abenteuerlichsten Dinge. Wölfe heulen, ein Schneesturm zieht auf, alles wird eingeschneit, der Held flüchtet sich in einen Friedhof, ein noch stärkerer Sturm mit Blitz und Hagel kommt daher.

"Dieser Text ist so ein bisschen monströs, er wuchert so vor sich hin."

Christian Begemann

Schließlich findet sich Harker in einer Gruft wieder, wo eine tote Frau liegt, die aber aussieht als würde sie noch leben und eigentlich nur eine Vampirin sein kann. Der Blitz schlägt ein, die Frau verbrennt und ein Wolf rettet Harker vor dem Erfrieren. Am Ende bringen ihn Soldaten ins Hotel zurück

"Es wird ein bisschen diffus und ein bisschen unglaubwürdig, dass hier ein Overkill des Mysteriösen stattfindet."

Christian Begemann

Man könnte „Draculas Gast“ aber auch mehr Ehre zukommen lassen und als eine Art alptraumhafte Ouvertüre zum Roman auffassen, die etliche Motive aus dem Roman vorwegnimmt oder ganz kurz anreißt. Sogar ein großer magerer Mann taucht kurz auf, vor dem die Pferde scheuen. Groß und mager wird später, also im eigentlichen Roman, immer Graf Dracula beschreiben.

"Offenbar war dieser Text als Einleitung in den Roman geplant, er passt chronologisch und er passt topografisch vor das erste Kapitel des Romans. Wahrscheinlich hat ihn Stoker auf Betreiben des Verlegers, dem die ganze Sache zu ausufernd geworden ist, rausgenommen."

Christian Begemann

Spurensuche im Münchner Osten

Die Kirche St. Stephan in München-Berg-am Laim

Schließlich verlässt im Roman Jonathan Harker München am 1. Mai. "Draculas Gast“ spielt am Abend vor der Walpurgisnacht, also am 30. April, in und vor München. Aber wo genau? Der Kutscher fährt einfach raus aus der Stadt, die Himmelsrichtung ist unbekannt. Es kommt ein Tal vor, eine Anhöhe, Eiben und Zypressen, ein verlassenes oder versunkenes Dorf. Für Begemann haben all diese Beschreibungen nichts mit der Realität zu tun. Es gibt keine Zypressen rund um München und auch kein zu Fuß erreichbares Tal. Und das versunkene Dorf?

"Das ist natürlich auch ein Topos, die verlassene Stadt, die verlassenen Orte, die haben auch was Schauriges, irgendwie sind die Menschen zur Flucht getrieben worden."

Christian Begemann

Berg am Laim

Christl Knauer-Nothaft

Von ganz akribischen Dracula-Fans gibt es die Theorie, bei dem verlassenen  Dorf könnte es sich um die kleine, mittelalterliche Siedlung Pachem oder Bachheim handeln, einst vor München auf dem Areal des heutigen Berg am Laim gelegen. Vom 12. bis zum 15. Jahrhundert nachweisbar, dann plötzlich nicht mehr. Die Historikern und Buchautorin Christl Knauer-Nothaft ist keine Anhängerin der Dracula-Theorie, aber Spezialistin für Berg am Laim.

"Wenn man überlegen will, warum ist dieses Bachheim verschwunden. Dann kann man natürlich sagen, das ist einerseits die Pest 1348. Andererseits, das Versiegen dieses Baches. Weil die Ressource Wasser war für eine Siedlung ganz notwendig und wenn es kein Wasser mehr gibt, dann kann man da nicht mehr überleben, und dann sind die Menschen da natürlich weggezogen."

Christl Knauer-Nothaft

Der Hachinger Bach heute

Der Bach, von dem die Rede ist, ist der Hachinger Bach, der heute in Berg am Laim plötzlich in den Untergrund fließt und vorher tatsächlich ein ganz kleines Bachtal bildet. „Dort ist es verhext“, sagt der Kutscher, als er nicht in das Tal fahren will

"Das Wesen des Hachinger Bachs ist so, dass das Grundwasser entscheidend ist. Man sieht ihn nur, wenn das Grundwasser hoch ist, dann drückt es das Wasser nach oben, und wenn das Grundwasser tief ist, dann bleibt der Bach unterirdisch. Und drum hat man immer gesagt, der ist verhext."

Christl Knauer-Nothaft

So schön es passen würde, wahrscheinlich ist trotzdem alles erfunden. Stoker war ganz bestimmt niemals in Berg am Laim. sagt Christian Begemann.

"Texte funktionieren nicht so, das sind fiktive Räume. Er war nicht dort und ich halte auch diese Suche, die viele Literaturwissenschaftler betrieben haben, in jedem Text alles dingfest zu machen, das halte ich für ein Missverständnis."

Christian Begemann

Eines gibt es, damals wie heute: das Hotel Vierjahreszeiten. Nur dass man heute kaum mehr Kutschen dort sieht, sondern schwarze Limousinen. Oder?

Lamborghini auf der Münchner Maximilianstraße

"Mein Name ist Jürgen Hennig, bin der Belcaptain des Hauses, das heißt zuständig für Transport und Verkehr von Gepäck und Fahrzeugen. Ihre Frage war, wann das letzte Mal eine Kutsche hier war: Das war letzten Samstag für eine Geburtstagsfeier wurden die hier abgeholt und ins Restaurant Käfer gebracht. Die Kutschen bekommen einen Parkplatz von mir, da schau ich, dass ich den McLaren oder Ferrari wegfahre und dann kommt die Kutsche hin."

Jürgen Hennig


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