Mystisches Gebäck Die Seelenspitzen in Oberfranken
In den Auslagen der Bamberger Bäcker liegen das ganze Jahr über „Seelenspitzen“. Klingt für Nichtfranken vielleicht ein bisschen spuky und geheimnisvoll. Für Oberfranken nicht. Sie essen das Blätterteiggebäck in Zopfform einfach gerne, vor allem an Allerseelen und Allerheiligen. So ist es Tradition seit dem Mittelalter in den Regionen Bamberg, Kronach und im Frankenwald:
Alfred Seel ist Bäcker in vierter Generation. Das Backen von "Seelenspitzen" gehörte in der Backstube so lange er denken kann einfach dazu:
"Die werden hergestellt aus einem Bamberger Hörnchenteig. Das ist ein leichter Hefeteig mit Butter toriert, und werden dann ausgewogen, geformt und dann zum Zopf geflochten."
Bäcker Alfred Seel
Anfangs wusste Alfred Seel nicht so genau, warum er überhaupt "Seelenspitzen" bäckt:
"Die gibt's freilich schon immer - man bäckt die. So! Man bäckt die Bamberger Hörnla jeden Tag man bäckt die Seelenspiten aber irendwann beschäftigt man sich damit und möchte mal wissen. Warum, das muss ja einen Grund haben. Warum mache ich jetzt einen Zopf."
Alfred Seel
In einem alten Buch seine Großvaters wurde der Bäckermeister fündig. Es trägt den Titel: 600 Jahre Bäckerhandwerk Bamberg. Der Bäcker holt es. Dabei läuft Alfred Seel durch verwinkelte Gänge in dem Bamberger Altstadthaus, dass bereits seit 1427 eine Bäckerei beherbergt. In dem Buch hat der Großvater notiert:
"Seelenspitzen, Seelenzöpfe. Ein Form- und Kultgebäck, dass zeitlich an Allerseelen gebunden ist. Sein Ursprung liegt im vorchristlichen Haaropfer. Schon die altgriechische Mythologie berichtet, dass Achilleus sich die Haare von seinem Haupt schor und sie in die Hände seines toten Freundes Patroklos legte."
Aufzeichnung Tagebuch
Auch der Verein Genussregion Oberfranken hat sich mit den Seelenspitzen beschäftigt. Sie schreiben auf ihrer Internetseite, dass das Gebäck ursprünglich als Dankesgabe für Seelen- und Fürbittengebete nicht nur an Allerseelen gebacken wurde.
Im Mittelalter haben die Menschen "Seelenspitzen" für Bedrüftige gebacken und sie für ein "Vergelt's Gott" oder ein Fürbittengebet verschenkt, um die verstorbenen Seelen aus dem Fegefeuer zu erlösen.
Dabei ist das mit den Seelen gar nicht so einfach, sagt die Bamberger Archäologie Studentin Iris Nießen. Sie hat sich wissenschaftlich näher mit der Seele beschäftigt oder besser gesagt mit der Vorstellung der Menschen von der Seele im Mittelater und der Neuzeit. So gehe der Seelenbegriff eigentlich auf die Antiken Philisophen zurück - denen zu Folge die Seele unsterblich ist.
Die christliche Theologie habe sich mit der Seelenvorstellung lange schwer getan. Der Volksglaube hingegen ging die Sache pragmatisch an:
"Wo es Seelentüren gibt - Seelenlöcher in den Häsuern, die man öffnet, wenn ein Verstorbener stirbt, damit die Seele eben entweichen kann - es hat sich der Glaube gefestigt, dass die Seele beim Tod den Körper verlassen muss. Da das sonst für die Angehörigen eine Problem wird."
Iris Nießen
Nur wenn die Seele den Körper verlassen hat - kann der Mensch tatsächlich tot sein. Bis heute öffnen wir die Fenster, wenn ein Mensch gestorben ist. Während es heute meist nur noch ein Ritual ist, hatten die Menschen im Mittelalter vor allem Angst vor der Rückkehr der Toten - den Wiedergängern und Nachzärern:
"Also Nachzärer ist jetzt ein Leichnam der zum Beispiel, wenn er ein Tuch am Mund hat daran zeert und dann die Angehörigen mit ins Grab zieht. Also er saugt die Lebenskraft der Angehörigen und dann sterben die Angehörigen nach. Davor hatte man große Angst. Und ein Wiedergänger ist jemand der wirklich erscheint. Also den Überlebenden wieder erscheint."
Iris Neißen
Hintergrund der Angst war weniger ein Aberglaube als viel mehr Unwissenheit über Verwesungsvorgänge der Toten. Tote Körper verändern sich und wirken als lebten sie noch:
"Wie wenn der Körper sehr aufgedunsen ist oder aussieht als wären die Fingernägel gewachsen. Oder Blut austritt und solche Dinge. Oder der Leichnam Geräusche macht, aufgrund der Fäulnisflüssigkeit die Stimmbänder irgendwie bewegt werden. Also das alles gibt es und das hat dazu geführt, dass die Menschen des Mittelalters davon ausgegangen sind, dass es den lebenden Toten gibt und der Lecihnam auch erstnach einer gwissen Periode wirklich tot ist."
Iris Neißen
Die Angst vor den Wiedergängern war so groß, dass Menschen selbst bei der Beerdigung noch Maßnahmen ergriffen, berichtet die Archäologin:
"Zum Beipsiel, wenn Menschen gefesselt ins Grab gelegt wurden, auf den Bauch- Also normalerweise wurden die Menschen in Blickrichtung zur Auferstehung niedergelegt in gestrecker Rückenlage und dann ja gibt es so Sachen wie Fesslungen oder, dass man das Grab nachträglich geöffnet hat, den Kopf abgeschlagen hat, dass man schwere Steine auf den Körper gelegt hat und das wird heutzutage eben interpretiert als Angst vor diesen wiederkehrenden Toten."
Iris Neißen