Verlorene Heimat Wiedersehen in Bonnland
In Bonnland gibt es eine Kirche, ein Rathaus, eine Schule und Häuser – trotzdem ist der Ort ausgestorben. Bonnland liegt im Truppenübungsplatz Hammelburg. Nur einen Tag pro Jahr ist Bonnland auch für Zivilisten geöffnet.
Ein Sonntagmorgen Anfang Oktober in einem typisch fränkischen Dorf. Kein Dorf wie andere. Die Holzläden an den Fenstern sind verschlossen – an allen Gebäuden. Bonnland liegt im Landkreis Bad Kissingen, etwa 25 Kilometer westlich von Schweinfurt. Offiziell gibt es den Ort nicht. In den 120 Gebäuden wohnt seit 57 Jahren niemand mehr. Heute ist das Dorf militärisches Sperrgebiet, Soldaten üben dort den Häuserkampf. Nur einmal im Jahr können ehemalige Anwohner und interessierte Bürger den Ort für wenige Stunden besuchen.
Kriege, Pest und Vertreibung
Bonnland hat eine bewegte Geschichte. Im Jahr 800 wird es erstmals urkundlich erwähnt. Erst fallen die Rotten im Bauernkrieg ein, später Napoleons Truppen, dann rafft die Pest jeden zweiten Einwohner dahin. 1935 lässt Adolf Hitler den Truppenübungsplatz um 1.500 Hektar ausweiten. Die Bonnländer verlieren erstmals ihre Heimat: 1938 wird der Ort "abgesiedelt", wie es im Verwaltungsjargon heißt. Als Entschädigung überweist das Dritte Reich knapp 229.000 Reichsmark an die Kreiskasse Karlstadt. Bis zu fünf Bataillone üben in Bonnland das Einnehmen einer Ortschaft – Vorbereitungen für den Angriff auf Polen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg übernehmen die Amerikaner den Truppenübungsplatz. Bonnland steht leer und wird wieder besiedelt. Ehemalige Bonnländer kommen zurück, aber vor allem Flüchtlinge und Vertriebene aus den ehemaligen Ostgebieten finden hier eine neue Heimat. Mit der Gründung der Bundeswehr 1955 beginnt die erneute Vertreibung. Das Lager Hammelburg wird zur Infanterieschule, Miet- und Pachtverträge für die Einwohner werden vom Bund nicht mehr verlängert. Die Bonnländer müssen erneut ihre Heimat verlassen. Bauern werden auf andere Höfe umgesiedelt, andere Bewohner erhalten zinslose Darlehen. Im Januar 1965 verlassen die letzten Bonnländer den Ort.
Die verstorbenen Dorfbewohner sind auf dem Friedhof direkt oberhalb der Michaelis-Kirche begraben. Die letzte Beerdigung erfolgte hier 1964. Ein Schild am Eingang mahnt: "Soldaten! Ehrt und schützt diesen Friedhof!" Hier darf aus Respekt gegenüber den Bonnländern nicht geübt werden, ebenso wenig wie an der Kirche und dem Schloss. Der Friedhof wird von der Bundeswehr sogar gepflegt. Dort wächst kein Unkraut, der Rasen und die Büsche sind akkurat geschnitten.
Die Glocken von St. Michaelis läuten jedes jahr nur ein einziges Mal zum Gottesdienst. Die Kirche ist das einzige Gebäude im Ort, das für die Besucher geöffnet ist. St. Michaelis wurde grundsaniert. Der Innenraum ist hell, über dem Altar hängt eine Kreuzigungsgruppe aus Stein. Bänke fehlen, für den Gottesdienst sind extra Stühle auf dem prächtigen Eichenholzboden aufgestellt worden.
"Der Umgang der Bundeswehr ist ganz klar: Hier wird viel getan, um diesen Ort zu erhalten, um ihm die Würde zu belassen."
Rüdiger Bernhard, Militärpfarrer von Hammelburg
Unter der Woche üben Soldaten den Häuserkampf. Bis zu 50.000 Nato-Soldaten trainieren jährlich in Bonnland. Die Bundeswehr bemüht sich, das fränkische Aussehen des Dorfes nicht zu zerstören. Ein Trupp von drei Handwerkern kümmert sich um die Gebäude und hält sie so weit in Schuss, dass die Soldaten möglichst realitätsnah üben können. Beim Aufbrechen von Türen geht schon mal etwas kaputt. Aber auch Fenster und Dächer setzen die Handwerker instant. Und wenn mal ein Panzer an einer Hausecke hängen bleibt, muss der Maurer ran.
Am Gasthaus Greif steht Willy Ortmann. In der Hand hält er die alte Fahne von Bonnland. Der frühere Betreiber der Wirtschaft ist das Gedächtnis des Ortes. In seinem Zimmer im Seniorenheim im nahen Oberthulba sammelt Willy Ortmann Fotos, Zeitungsausschnitte und Dokumente zur Geschichte des verlassenen Ortes. Mitte der 1970er Jahre begann er, die Treffen der ehemaligen Bonnländer zu organisieren. Er hat auch eine Chronik über Bonnland verfasst.
"So ein schmuckes Dorf! Das ist phantastisch gemacht. Was da an Geld reingesteckt und laufend investiert wird. Ich würde gern wieder daher in dem Zustand."
Willy Ortmann,. ehemaliger Bonnländer
Eine Rückkehr nach Bonnland wird Willy Ortmann nicht gestattet. Und so wird Bonnland die verlorene Heimat bleiben. Dass Bonnland nicht vergessen wird, dafür sorgen die tausenden Soldaten, die jedes Jahr hierher kommen.
Diese Sendung ist eine Wiederholung aus dem Jahr 2017.