Training fürs Hirn Debattierclubs als intellektuelle Fitnessstudios
In Zeiten, in denen viel über Populismus geredet wird, wächst bei den Menschen offenbar die Sehnsucht nach Schlagfertigkeit. Immer mehr treffen sich in Rhetorik- und Debattierclubs, um nach Feierabend an ihrer Redekompetenz zu feilen.
Die Lust am Debattieren begann an deutschen Universitäten Anfang der 90er Jahre. Inzwischen gibt es mehr als 70 Debattierclubs im deutschsprachigen Raum. Der Bamberger Club trifft sich wöchentlich. 15 junge Frauen und Männer sitzen in einem Seminarraum. Auf den Tischen stehen Wasserflaschen. Die meisten halten einen Kugelschreiber und einen Zettel bereit – mehr braucht es nicht.
Simulation einer parlamentarischen Debatte
Ein angemessener Ton, Sprachkraft, Auftreten, Kontaktfreudigkeit, Urteilskraft und natürlich entsprechender Sachverstand sind wichtige Elemente einer guten Rede. Und bevor es losgeht, einigen sich alle auf ein Thema, zum Beispiel: Werbeverbot für Zigaretten. Politikstudent Oliver Steffens übernimmt die Rolle des parlamentarischen Präsidenten und leitet die Debatte. Er hat bereits Buchstaben mit Zahlen auf kleine Zettel geschrieben. Die zusammengefalteten Zettel hält er in seinen Händen und lässt jeden einmal ziehen. Das Los entscheidet, wer welche Rolle übernimmt.
Ein R auf dem Los steht für Regierung, ein O für Opposition und ein F für freie Rede. Der Bamberger Debattierclub stellt eine parlamentarische Debatte nach. Drei Redner bilden die Regierung, drei die Opposition – dann gibt es noch freie Redner. Sie repräsentieren die Zuschauer. Der Wettstreit beginnt.
Hilfsmittel sind nicht erlaubt
Die Teams ziehen sich zurück. Nun haben sie eine Viertelstunde Vorbereitungszeit. Hilfsmittel wie Lexika oder ein Smartphone für eine Internetrecherche sind nicht erlaubt. Die Teilnehmer sind allein auf ihre Allgemeinbildung gestellt.
"Starke Meinung nicht gerne gesehen"
Der Debattierclub an der Universität in Bamberg ist in dem bundesweiten "Verband der Debattierclubs an Hochschulen" organisiert. Immer wieder gibt es auch internationale Wettbewerbe, in denen sich Studenten miteinander messen. Gloria Kuppler hat schon an solchen Wettkämpfen teilgenommen. Ihr Hobby kommt jedoch nicht bei allen gut an.
"Die Redekultur ist glaube ich teilweise nicht so gerne gesehen. Also dass man wirklich in der Lage ist, seine Meinung auszudrücken und dass man auch mal Kontra gibt – das habe ich zumindest leider erfahren müssen."
Gloria Kuppler
Selbst in ihrem Bekannten- und Freundeskreis sei sie mit ihrer Debattenfreudigkeit schon mal angeeckt.
"Wenn man Bekannte hat, die man nicht so gut kennt – da überfordert man viele, wenn man direkt mit einer starken Meinung kommt. Teilweise ist das aber auch im Freundeskreis so. Vor allem wenn es um Themen geht, die einfach ein bisschen sensibel sind oder ein bisschen schwierig – dann wird das einfach nicht gerne gesehen, wenn man da eine starke Meinung vertritt."
Gloria Kuppler
Debattieren auf Englisch - im "Toastmastersclub"
Gar nicht weit entfernt, in der Bamberger Innenstadt, treffen sich ebenfalls einmal im Monat andere Redebegeisterte. Das Ungewöhnliche: Sie halten ihre Reden in Englischer Sprache. Der Abend beginnt mit einer kurzen Vorstellungsrunde. Nächste Aufgabe: Jeder soll sich dazu äußern, was für einen Namen er einer Hauskatze geben würde. Dann bittet eine Moderatorin um kurze spontane Reden.
Schließlich kommen die vorbereiteten Reden dran. Eine junge Frau erklärt anhand eines detaillierten Diagramms die Entstehung von Kefir und Buttermilch. Tobias Müller erzählt von seinen Erfahrung auf dem Weg zum Unternehmer. Dass die Clubsprache Englisch ist, stört Tobias Müller nicht – in seinem früheren Beruf sei er im internationalen Vertrieb tätig gewesen. Jetzt ist er Unternehmer und entwickelt Apps.
"Das Spannende an Toastmasters ist: Ich treffe dort Leute, die sich weiterentwickeln wollen. Also Menschen, die irgendwie weiterkommen wollen, als sie gerade sind."
Tobias Müller
Alexandra Manger hat den sogenannten Toastmasterclub in Bamberg erst Anfang dieses Jahres gegründet. Die Redekunst ist ihr gar nicht so wichtig.
"Ich war sehr lange im Ausland. Ich war erst in Dublin und dann in Südamerika und als ich zurückkam nach Nürnberg – habe ich mir gedacht: Wo ist denn meine internationale Gemeinschaft. Was könnte ich denn jetzt machen und außerdem ich bin Übersetzerin für Englisch und da dachte ich auch, mit wem spreche ich denn jetzt Englisch."
Alexandra Manger
Im Publikum sitzen auffällig viele Selbstständige oder Unternehmer – Menschen die viele Jahre im Ausland gearbeitet haben oder planen ins Ausland zu gehen. Am Ende jeder Rede tritt wieder ein anderes Mitglied ans Rednerpult und gibt Feedback. Meist gibt es viel Lob und motivierende Worte, aber auch mal konstruktive Kritik. Und am Ende gibt ein Toastmasters-Mitglied bekannt, wie viele "Ähs" in der Rede vorkamen.
Hintergrund: Toastmasters
Die gemeinnützige Organisation Toastmasters International wurde 1924 in den USA gegründet. Daher ist die Clubsprache traditionell Englisch. Die sogenannten Toastmastersclubs gibt es immer häufiger auch bei uns – zunehmend auch in deutscher Sprache. In Nürnberg stößt der Toastmastersclub sogar an seine Grenzen und muss Neulinge abweisen.
Die Gründe für die Anziehungskraft dieser Clubs sind sehr unterschiedlich. Manche bekämpfen durch regelmäßiges Üben ihre Redeangst, andere wollen ihrer Karriere einen Schub geben, wieder andere suchen schlicht Geselligkeit. Für den einen ist es die Lust am Wettstreit. Für den anderen geht es um die intellektuelle Herausforderung – Gedanken zu strukturieren – sich im Reden vor vielen Menschen zu üben.
Ämter sind Teil der Übung
Während sich traditionelle Vereine schwer tun, ihre Ämter wie Vorstand, Kassenwart oder Schriftführer zu besetzen, funktioniert das bei den Toastmasters mühelos. Denn die Ämter sind Teil der Übung und haben Namen wie "Toastmaster of the Evening" – also Moderator des Abends – oder "Evaluators" – sie beurteilen im Anschluss den Redebeitrag nach festen Kriterien.
Autor: Carlo Schindhelm
In seinem Zeit für Bayern-Feature besucht Carlo Schindhelm einige Debattier- und Rhetorikclubs. In diesen intellektuellen Fitnessstudios bestaunt er Rhetorik-Muskeln und fragt Trainer und Trainierende nach den Tricks für mehr Kraft in Debatten.