Das Leben der Ahnen Familienforschung im Selbstversuch
Familienforschung beginnt in Gesprächen mit den noch lebenden Ahnen, führt ins Standesamt und ins Stadtarchiv. In seinem Zeit für Bayern-Feature erforscht Thibaud Schremser seine Familiengeschichte – und stößt auf langweilige Daten und persönliche Schicksale.
Die Faszination vieler Menschen für ihre eigene Herkunft ist schwer zu erklären. Denn selbstverständlich haben meine Ahnen Gene, die ich auch habe. Sicherlich haben sie durch die Wahl ihres Wohnorts oder ihres Partners auch mein Leben in eine bestimmte Richtung gelenkt. Aber fühle ich mich ihnen deshalb verbunden? Kenne ich diese Leute? Sollte ich?
Hilfe vom erfahrenen Familienforscher
Klar, ich kenne meine Eltern. Beide leben. Ich kenne und kannte meine Großeltern. Eine meiner Omas lebt noch. Eine Uroma habe ich kennengelernt. In meiner Familie kenne ich drei Generationen, plus meine Generation. Aber da gibt es ja noch viele andere. Ich will herausfinden, wer meine Vorfahren waren und wie sie gelebt haben – das Leben meiner Ahnen zumindest erahnen. Dabei helfen wird mir ein erfahrener Familienforscher, Edgar Hubrich.
"Die große Geschichte und die Familiengeschichte, das ist ja nur ein Unterschied in den Zusammenhängen. Wer sich mit der Familiengeschichte beschäftigt, der möchte ja gerne wissen: Wie haben denn die eigenen Vorfahren Geschichte beeinflusst und wie wurden die Vorfahren durch die Geschichte beeinflusst. Also das ist ja eine Wechselwirkung. Und das macht eigentlich den Reiz der Familienforschung aus."
Edgar Hubrich, stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft für Familienforschung in Franken
Genealogische Vereine in ganz Deutschland
Edgar Hubrich ist stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft für Familienforschung in Franken. Die Gesellschaft für Familienforschung in Franken wurde 1921 gegründet und hilft Familienforschern bei ihrer Recherche.
"Familienforscher können zu uns kommen, sie müssen nicht gleich Mitglied werden. Wir haben immer Öffnungsnachmittage einmal die Woche. Das fängt mit Beratung an, also wenn ein Anfänger kommt, muss er zunächst einmal mit dem Thema sich vertraut machen und wir helfen eben bei den ersten Schritten und führen die Leute heran an die eigentliche Forschung."
Edgar Hubrich, stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft für Familienforschung in Franken
1.300 Forscherinnen und Forscher sind Mitglied bei der Gesellschaft für Familienforschung in Franken. Ihr Sitz mit umfangreicher Bibliothek ist in Nürnberg. Genealogische Vereine gibt es in ganz Deutschland. Altbayern und Schwaben deckt der bayerische Landesverein für Familienkunde ab. Dann gibt es noch die Gesellschaft für Familienforschung in der Oberpfalz.
Zahlen, Namen und Daten vom Standesamt
Familienforschung führt schließlich auch ins Standesamt. Seit 1876 gibt es in Bayern die Standesämter, die die wichtigen Daten im Leben eines Menschen protokollieren. Vorher hat der Gemeindepfarrer in den Kirchenbüchern Geburten, Taufen, Hochzeiten und Sterbefälle festgehalten. Diese Kirchenbücher werden heute in kirchlichen Archiven und zum Teil auch in Stadtarchiven gelagert.
Ein Besuch beim Standesamt Nürnberg bringt mich eine Generation weiter in meine Vergangenheit. Denn von Dokument zu Dokument hangele ich mich jetzt in meiner Familiengeschichte in der Zeit zurück. Im Standesamt empfängt mich Alexander Sixt.
"Sie bekommen bei uns Urkunden aus Geburtenregistern, Eheregistern und Sterberegistern. Wie jetzt in ihrem Fall: Ich möchte eine Geburtsurkunde von meinem Großvater. Ist völlig unproblematisch. Von Verwandten in gerader Linie bekomme ich alle Urkunden, die ich möchte."
Alexander Sixt
Das Standesamt ist kein Archiv. Die dicken Bände, in denen 100 bis 150 Geburteneinträge oder Heiratseinträge oder Sterbeeinträge abgeheftet sind, sind in Benutzung. Stirbt eine Nürnbergerin oder ein Nürnberger, wird das als Randvermerk neben den Geburtseintrag geschrieben, als Querverweis auf den Sterbeeintrag. Praktisch für die Familienforschung. Obwohl die Dokumente gar nicht für die Forschung da sind.
"Ich möchte Ihnen einen meiner Ahnen vorstellen"
Heike Meyer
"Ich möchte Ihnen einen meiner Ahnen vorstellen. Sein Name war Peter Jung, geboren 1614 und er starb im Alter von 90 Jahren 1704, erreichte also für die damalige Zeit ein sehr hohes Alter. Er ist dadurch im Gedächtnis geblieben, dass er seinerzeit einen Disput mit seinem Pfarrer hatte, denn der damalige Pfarrer Michael Spies, der wollte in seiner Kirche während des Gottesdienstes gerne gute Sänger haben und Peter Jung konnte nach Meinung des Pfarrers weder lesen noch singen. Jedenfalls wollte der Pfarrer unbedingt, dass er seinen Kirchenstuhl aufgibt und diesen einem besseren Sänger überlässt. Es kam zu einem Disput, der aber damit endete, dass Peter Jung sich damit einverstanden erklärte, dass sein Kirchenstuhl ein Stückchen weitergerückt wird, sodass der gute Sänger einen besseren Platz haben kann."
Hartmut Stark
"Ich möchte Ihnen einen meiner Ahnen vorstellen, nämlich den Johann Jakob Fuhrer, weil er ein Immigrant ist sozusagen. Und zwar sind nach dem Dreißigjährigen Krieg sehr viele Schweizer in Deutschland angekommen, weil hier sehr viele Dörfer verwaist waren und die Landesfürsten zum Beispiel Handwerker gesucht haben. Er hatte auch einen Pfarrer, der ebenfalls aus Zürich kam, aber die waren alle sehr streng. Jedenfalls haben der Pfarrer und der Gemeinderat festgestellt, dass das Kind zu früh zur Welt gekommen ist, das heißt er hat zurückgerechnet von der Hochzeit an und er musste also eine Kirchenbuße tun. Da sind sie anscheinend auf seinen Vorschlag eingegangen, dass er sie abarbeiten darf, als Steinmetz. Da hat er dann für die Gemeinde Steinmetzarbeiten gemacht und das wurde auch von der Gemeindekasse genau verrechnet. Er hat insgesamt für einen Reichstaler gearbeitet."
Heidrun Novy
"Ich möchte Ihnen einen meiner Ahnen vorstellen, den Kunz Roming. Geboren 1599, gestorben 1682. Und dann steht im Kirchenbuch in seinem Beerdigungseintrag: 'Der alte Gerichtsschöpf Kunz Roming, ein Mann, der von seiner Jugend seiner Wohl hat pflegen können, ein hochmütiger, eigensinniger und wahrhaftig ungetreuer Mann.' Und der Pfarrer hofft, dass er doch mit Gott und allem in Ruhe dann einschlafen konnte. Also der hat sich nicht alles gefallen lassen, das hat mir irgendwo gutgetan, weil ich immer dachte, die waren früher alle so duckmäuserisch und das war der absolut nicht. Einer meiner Lieblinge."
Nächste Etappe: das Stadtarchiv
Auf den Geburtsurkunden meiner Großeltern stehen deren Eltern mit Geburtsdatum und Geburtsort. Immer noch Nürnberg. Ich freue mich. Im Standesamt kann ich zu ihnen aber trotzdem nicht weiterforschen. Die Geburtsregister dort decken nur die vergangenen 110 Jahre ab, zu wenig für meine Urgroßeltern. Die alten Akten werden von der Stadt ausgelagert. Das Stadtarchiv ist also meine nächste Etappe.
Ich habe Erfolg. Sogar vor meinem Besuch beim Stadtarchiv. Jede Menge Ahnen auf einmal. Ich erfahre, dass meine Tante und meine Cousine unsere Familiengeschichte schon erforscht haben. Sie leihen mir ihre Unterlagen: eine dicke dunkelgrüne Plastikmappe mit vielen Ahnentafeln, Abschriften aus Registern und Kopien verschiedener anderer Dokumente.
Mehr Zahlen, mehr Namen: Meine Ahnentafel füllt sich. Inzwischen arbeite ich mit einem Computerprogramm. Ich trage alle Daten ein, mitsamt der Fundstelle, und verknüpfe die Personen miteinander. Alles ganz übersichtlich. Aber echte Begeisterung stellt sich bei mir nicht ein. Je weiter ich zurückgehe, desto weniger bedeuten mir die Leute. Namen auf meinem Computerbildschirm, nicht Menschen, denen ich mich nahe fühle.
"Die klassische Ahnenforschung, das sind Daten, nicht mehr. Das sagt aber nichts über die Personen aus. Wir wollen ja ein bisschen Fleisch auf die Rippen bringen. Sagen wir: Die Daten sind das Gerippe der Familienforschung. Das sollte man wissen oder das ist gut zu wissen, aber man sollte mehr über die Leute wissen. Ich will eine Vorstellung haben: Wie haben sie gelebt? Wie sind sie beeinflusst worden? Was war das eigentliche Schicksal dieser Leute?"
Edgar Hubrich, stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft für Familienforschung in Franken
Ein solides Gerippe ohne Fleisch
Ich zeige Edgar Hubrich meinen Forschungsstand und die Mappe. Ein solides Gerippe. Aber wo ist das Fleisch? Das finde ich im Nürnberger Stadtarchiv. Jasmin Kambach ist dort für Familienforschung zuständig. Sie führt mich in die "heiligen Räume des Archivs", die für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sind. Metallregale stehen dichtgedrängt in diesem Kellerraum. Mit Griffen, die aussehen wie Lenkräder, kann Jasmin Kambach die Regale auf Schienen auseinanderschieben. Erst so tut sich zwischen zwei Regalen ein Gang auf und sie kommt an die Bände und Kisten, in denen die Archivstücke lagern.
Familienforscherinnen und -forscher aus der ganzen Welt beauftragen das Stadtarchiv Nürnberg, ihre Ahnen zu recherchieren. Diese Anfragen bearbeitet dann Jasmin Kambach oder einer ihrer Kollegen: zuerst am Computer recherchieren, welche Dokumente es gibt und dann, falls diese noch nicht digitalisiert sind, im Magazin nach ihnen suchen.
Wie man alte Dokumente liest
Wir finden die Niederlassungsakte meines Künstlerahns. Zwei Dutzend Seiten. Anton Roth ist 1823 in Pleisweiler in der Pfalz geboren. Um in Nürnberg dauerhaft leben und als Bildhauer arbeiten zu dürfen, stellt er 1858 beim Magistrat der Stadt Nürnberg ein Ansässigkeitsmachungsgesuch.
Ich lasse das Dokument einscannen und kann es in Ruhe zu Hause lesen. Ich könnte es in Ruhe lesen. Wenn ich die Schrift lesen könnte. Ich gehe zum Fortbildungsabend bei der Gesellschaft für Familienforschung in Franken. Annemarie Müller vom Landeskirchlichen Archiv der evangelisch-lutherischen Kirche trainiert mit den Vereinsmitgliedern das Lesen alter Dokumente.
Die Ahnen erahnen
Am Ende sind es für mich nicht die Daten und Fakten, die mich in meiner Familienforschung weiterbringen. Es sind andere Dokumente wie die Niederlassungsakte oder eine Familienchronik, die mir meine Ahnen näher bringen.
Das Feature "Familienforschung im Selbstversuch" ist eine Wiederholung aus dem Jahr 2017.