Der Osser, Joseph Berlingers geliebter Hausberg Der Busen der Mutter Gottes
Er ist nicht so bekannt wie der Arber und er wird nicht so viel fotografiert wie der Lusen. Aber er ist unbestritten der schönste unter den Bergen des Bayerischen Waldes: der Osser. „Busen der Mutter Gottes“ nennt ihn der Volksmund.
Und Joseph Berlinger bezieht immer noch Nahrung vom Osser. Er ist sein Mutterberg, sein Vaterberg, sein Hausberg. Dem er in diesem Zeit-für-Bayern-Feature eine poetische Liebeserklärung macht.
Joseph Berlinger, geboren in Lam, ist seit mehr als 40 Jahren Wahl-Regensburger. Fast ebenso lang schreibt er schon Theaterstücke, die viel mit Regensburg und seiner Geschichte zu tun haben. Und das war oft weder für ihn noch für sein Publikum eine leichte Kost.
An den Fuß dieses Berges hat sich der Musikant und Vater des Autors, der so hieß wie sein Sohn, ein kleines Wirtshaus gebaut. In der Hoffnung, dass die Wanderer, die auf den Osser steigen, in der „Grenzlandgaststätte“ einkehren und sich von seiner Frau stärken lassen. Der kleine Joseph hat währenddessen in den Osserwäldern Schwammerl und Heidelbeeren gesammelt und von Touristen mit vorgehaltener Pistole Wegezoll eingefordert. Wollte er seinem Großvater nacheifern, der so hieß wie sein Enkel? Dieser Großvater war „Schwirzer“ gewesen und hatte über die Grenze am Osser geschmuggelt.
Als die Grenze undurchlässig war
Dann ist der Vater gestorben, und Joseph Berlinger bekam einen Stiefvater. Der war von Beruf „Grenzer“ und hat auf dem Osser Wache geschoben. Denn die Grenze zwischen Deutschland und der „Tschechei“ war jetzt dichter als jemals zuvor. Den Kindern wurde eingeschärft, dass jenseits des Ossers die Kommunisten hausen, und dass die Russen nur darauf warten, die Deutschen zu überfallen.
"Ich habe in meiner frühen Kindheit in den fünfziger Jahren keinen einzigen Tschechen gesehen. Obwohl ich gerade mal einen Kilometer von der Grenze entfernt wohnte. Uns wurde eingetrichtert, dass jenseits des Ossers böse Menschen leben. Kommunisten. Dass viele Tschechen selber ein zwiespältiges Verhältnis hatten zu ihren Funktionären und zu ihrem großen, mächtigen russischen Bruderstaat, davon erzählte man uns nichts. Wir wurden eingeschworen auf ein striktes Freund-Feind-Denken. Auf ein Weltbild, das nur Gute und nur Böse kennt. Und wir, herüberhalb des Ossers, waren die Guten. Und die anderen, drüberhalb des Ossers, waren die Bösen. Als wir 1968 in den Nachrichten hörten, dass die russischen Panzer durch die Straßen der tschechoslowakischen Hauptstadt rollten, als aus dem Prager Frühling also wieder ein Winter wurde, lief mein drei Jahre jüngerer Freund aus dem Nachbarhof auf mich zu und fragte mich aufgeregt, ob die russischen Panzer jetzt auch über den Osser kommen. Aber der Osser blieb unberührt. Er blieb unser geliebter ungefährdeter Hausberg. In dessen Wäldern ich in meiner frühen Kindheit als Indianer unterwegs war. Um schwer bewaffnet von Touristen Wegezoll zu fordern. Und links und rechts von diesen Wegen wuchsen die Schwammerl und die Heidelbeeren und warteten darauf, von uns gepflückt zu werden."
Aus dem Manuskript von Joseph Berlinger