Bayern 2 - Zeit für Bayern


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Kleine Stadt, viele Rekorde Leben in Ostheim vor der Rhön

Ostheim vor der Rhön ist bekannt für die größte Kirchenburg Deutschlands. In der Stadt werden die größten Segelflugzeuge der Welt gebaut und die kleinste Zeitung Deutschlands gedruckt. Es ist eine kleine Stadt mit vielen Rekorden.

Von: Norbert Steiche

Stand: 07.12.2016 | Archiv

Kleine Stadt, viele Rekorde: Leben in Ostheim vor der Rhön

Der 18. September 1634, ein Montag während des Dreißigjährigen Krieges. Es ist ein Schicksalstag für Ostheim vor der Rhön. In der Kirchenburg des Ortes haben sich gut zehn Menschen vor zunächst 400 Soldaten verschanzt. Drei Stunden später rücken zusätzlich etwa 1.000 kroatische Söldner und mehrere hundert Bauern des Bistums Würzburg an. Als evangelische Christen gelten die Ostheimer für die anrückenden Truppen als Feinde.

Spielend an Geschichte erinnern

Jahr für Jahr wiederholt sich diese Szene – bei einem Historienspiel, das Ostheimer Bürgerinnen und Bürger vor der Originalkulisse inszenieren. Was auch immer sie versuchen – die kroatischen Söldner kommen nicht in die Kirchenburg. Das Tor hält Stand. Da bietet der Oberst den Ostheimern freies Geleit, wenn sie das Tor öffnen. Als er jedoch merkt, dass er mit seinem rund 1.000 Mann starken Heer vor nur zehn Männern kapituliert hat, wird er wütend. Die Ostheimer Männer sollen hingerichtet werden. Doch sie bestechen ihre Aufpasser und können fliehen.

Weitgehend originales Ortsbild

Heute leben rund 3.500 Menschen in der Stadt mit ihren Stadtteilen Urspringen und Oberwaldbehrungen. Am Ortsbild mit der markanten Marktstraße und den historischen Fachwerkhäusern rechts und links hat sich in den vergangenen Jahrhunderten nicht viel geändert. Das liegt einfach daran, dass Ostheim – bis auf die Zeit im Dreißigjährigen Krieg – nicht im Zentrum von kriegerischen Auseinandersetzungen lag.

Deutschlands größte Kirchenburg

Mit einer Grundfläche von 75 mal 75 Metern ist die Kirchenburg in Ostheim vor der Rhön die größte Deutschlands und ein Muss für jeden Besucher in der Gegend. Die Anlage gilt als Denkmal von nationaler Bedeutung. Einst haben die Menschen hier Zuflucht bei Angriffen gesucht. Heute wird die Kirchenburg von vielen Touristen besucht und ist Kulisse für Märkte oder Chortreffen.

Erbaut wurde sie zwischen 1400 und 1450. Flankiert wird sie an ihren vier Ecken von vier Türmen. Dem Schulglockenturm, dem Waagglockenturm, dem Achtlöchrigen Turm und dem Pulverturm. In den Kellern und Gaden entlang er beiden Ringmauern konnten die Menschen ihre Ernte und Vorräte lagern, erklärt Adolf Büttner, der ehemalige Bürgermeister von Ostheim und Vorsitzende des Vereins "Freunde der Kirchenburg".

"Das war eine Zufluchtsstätte, wo man auch seine Güter in den Kellern unterbringen konnte und sich zurückziehen konnte, wenn Gefahr im Verzug war. Das war im Mittelalter und davor, im Dreißigjährigen Krieg und zur Landsknechtszeit, immer wieder der Fall. Es sind ja viele durch Ostheim gezogen, während der ganzen Jahrhunderte. Kriegerisch ist Ostheim nie zerstört worden. Aber die Truppen, die durch sind, haben die Bürger immer mit Repressalien bedacht."

Adolf Büttner, ehemaliger Bürgermeister von Ostheim

Thüringische Exklave in Bayern

Ostheim war nach der Reformation evangelisch. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde mit dem Zustrom von Flüchtlingen aus den einst deutschen Gebieten eine erste katholische Kirche gebaut. Und noch eine Besonderheit gibt es: Die Stadt gehörte einst zum Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach. Als Exklave hatte es den Charakter einer Insel zwischen den Ländereien des Bistums Würzburg. Bis 1972 gehörte Ostheim sogar offiziell zu Thüringen. Obwohl der wenige Kilometer entfernte Eiserne Vorhang bereits seit dem 13. August 1961 mit dem Bau der Berliner Mauer die Verbindung zu Thüringen komplett gekappt hatte.

Die Eier bringt der Storch – nicht der Osterhase

So halten sich in der einst thüringischen Stadt bis heute alte Bräuche. Den Kindern bringt etwa nicht der Osterhase Eier und Geschenke. Das erledigt der Storch. Besser gesagt der Ostheimer Storch. Und zum Nikolaustag gibt es für die Kinder gebackene Rödder und Doggen. Der Rödder ist ein Ritter, die Dogge eine Puppe.

"Das Interessante ist, dass das Mädchen den Rödder, also den Reiter – könnte ein Ritter gewesen sein – geschenkt bekommt. Weil das Mädchen einen guten Mann bekommen sollte. Die Dogge ist eine kleine Puppe, also das schöne Mädchen. Das hat dann der Junge bekommen, damit er eine gut Frau bekommt."

Susanne Zuber-Maisch, Gästeführerin in Ostheim

Bionade startete Siegeszug in Ostheim

Hier in Ostheim sind, wie anderswo auch, traditionelle Handwerkszweige zusammengebrochen. Doch hier ist auch der Erfindergeist lebendig. In einem Ostheimer Badezimmer entstand die Rezeptur des Trendgetränks "Bionade". Von Ostheim aus startete das Getränk seinen Siegeszug durch die Kneipen und Cafés der Republik. Die besondere Limonade hatte der kürzlich gestorbene Dieter Leipold erfunden. Die Idee zur Bionade kam dem Braumeister aus der Not heraus.

Dieter Leipold experimentierte zunächst mit Mikroorganismen im Badezimmer und sperrte es für die Brauversuche komplett – zum Leidwesen seiner Familie. Sein Stiefsohn Peter Kowalski startete dann die Vermarktung. Zunächst mit mäßigem Erfolg. Größter Absatzmarkt wurde durch einen Zufall Hamburg. Ein Händler wollte das exotische Getränk einfach mal ausprobieren. Und wie im Fluge wurde es zum Szenegetränk. Über die Hansestadt und Schleswig-Holstein schwappte es nach Berlin.

"Auch um uns ganz bewusst gegenüber den normalen alkoholfreien Getränkeherstellern beziehungsweise Limonadeherstellern abzugrenzen, haben wir gesagt, wir rühren nicht einfach in einem Topf Zucker, Wasser und Kohlensäure zusammen und geben dem ganzen einen Geschmack, sondern wir machen hier ein handwerkliches Produkt, das wie Bier gebraut wird, allerdings auf eine alkoholfrei Art."

Peter Kowalski

Die Bionade wird heute immer noch in Ostheim produziert. Allerdings ist die Marke  nicht mehr im Familienbesitz. Der große Getränkekonzern Radeberger hat das Unternehmen gekauft. Bauern rund um Ostheim liefern aber immer noch die Rohstoffe für die Bionade. Holunder beispielsweise oder Himbeeren und Zwetschgen.

Die größten Segelflugzeuge der Welt

Am Ortsrand von Ostheim baut Walter Binder Segelflugzeuge. Mit einer Spannweite von 28 Metern sind sie die größten der Welt. Bei Weltmeisterschaften gewinnen Piloten damit regelmäßig Edelmetall. Walter Binder ist ein Mann mit Visionen. Als junger Mann hat er das Segelfliegen gelernt und wollte sein Flugzeug immer weiter optimieren

"Die Motivation war die: Ich habe einen Traum als 19-jähriger Junge gehabt, irgendwann das beste Flugzeug zu besitzen. Und diesen Traum habe ich ständig verfolgt. Bis er dann wahr geworden ist. Das ist natürlich viel Handarbeit. In so einem Flugzeug stecken 3.000 Stunden Arbeit und sehr hochqualitative Materialien – um das überhaupt verwirklichen zu können. Das macht mich schon stolz, aber es war auch ein harter Weg dorthin. Bis aus einem Bastlerdasein eine Firma wird, die von den anderen wahrgenommen wird und von der die Weltelite auch Flugzeuge kauft."

Walter Binder

In seiner Werkstatt baut Walter Binder mit zwölf Mitarbeitern die großen Segelflugzeuge. Ihre Flügel sind so ausladend wie die mancher Linienmaschine. Einer Boeing 737 beispielsweise, die mehr als 100 Passagiere transportieren kann. Die große Flügelspannweite ist für Segelflieger wichtig, um möglichst weit und schnell gleiten zu können. Bei aller Tüftelei – die Faszination am Fliegen hat Walter Binder selber nie verloren

Deutschlands kleinste Zeitung

In der Innenstadt von Ostheim produziert Volker Gunsenheimer die kleinste Zeitung Deutschlands. Der Mann mit kurzen Haaren und verschmitztem Lächeln ist Reporter, Fotograf und Chefredakteur in einer Person. Gemeinsam mit seiner Familie gibt er die Zeitung heraus – mit einer Auflage von nur 3.400 Exemplaren. Dabei hat er Leser von Flensburg bis Berchtesgaden – alles ehemalige Ostheimer.

"Es passiert genügend, um unsere Zeitung zu füllen. Wir begrenzen uns nur auf den örtlichen Bereich und das ist auch unsere Chance. Wenn wir jetzt expandieren wollten, dann kämen wir wahrscheinlich mit den anderen Heimatzeitungen ins Gehege. Und die Auflage ist gar nicht zu toppen. Die Zeitung wird im Haus gelesen vom Enkel bis zu den Großeltern."

Volker Gunsenheimer

Menschen mit Unternehmergeist - und Liebe zu ihrer Stadt

Die kleinste Zeitung Deutschlands erfolgreich herausgeben. Das ist also jeden Tag eine neue Herausforderung. Doch genau dieser Unternehmergeist von Menschen in Ostheim vom Zeitungsmacher über den Segelflugzeugbauer bis zum Erfinder der bekannten Bionade, das macht den Charakter dieser Stadt mit seinen Menschen aus. Es sind Menschen mit einem besonderen Selbstbewusstsein und Liebe zu ihrer Stadt.


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