Über 100 Jahre Pfadfinder in Bayern "Allzeit bereit"
Bill Gates, Günther Jauch oder Mariah Carey - sie alle sind Pfadfinder. Seit mehr als 100 Jahren gibt es die Kinder- und Jugendbewegung, die inzwischen die größte der Welt ist. In ihr sind 38 Millionen Pfadfinderinnen und Pfadfinder in 216 Ländern zusammengeschlossen. Die erste deutsche Gruppe wurde 1909 von dem Juden Alexander Lion in München gegründet. Heute gibt es in ganz Deutschland hunderte von Pfadfindergruppen, kirchliche und überkonfessionelle.
Die ersten bayerischen (und deutschen) Pfadfinder waren Schüler des "Alten Realgymnasiums" in München, die zuvor das von Alexander Lion herausgegebene "Pfadfinderbuch" gelesen hatten. Der bayerische Arzt und Offizier Lion, hatte 1908 in England den Gründer der Weltpfadfinderbewegung Robert Baden-Powell kennengelernt und dessen Buch "Scouting for Boys" ins Deutsche übertragen. Lion, der 1909 in Bamberg stationiert war, rief, kurz nach der Gründung der Münchner Gruppe, in Bamberg die zweite deutsche Pfadfindergruppe ins Leben - gemeinsam mit dem Bamberger Turnlehrer Heinrich Steinmetz.
Die Scouting-Idee von Lord Robert Baden-Powell
Am Beginn stand ein kleines Zeltlager auf der englischen Insel Brownsea mit 22 Londoner Buben aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten. Lord Robert Baden-Powell leitete 1907 dieses Lager. Er hatte seine militärische Karriere beendet und wollte sich für eine Jugendbewegung einsetzen, die dem Frieden dient. Dazu entwickelte der frühere General ein erlebnispädagogisches Konzept. Die Idee verbreitete sich auf der ganzen Welt. 1910 entstanden dann auch die ersten weiblichen Pfadfindergruppen, die von Baden-Powells Frau Olave geleitet wurden.
Unter Hitler verboten
In den folgenden Jahren erlebte die Pfadfinderbewegung auch in Bayern eine Blütezeit, zahlreiche Gruppen und Verbände entstanden, bündische ebenso wie konfessionelle. Im Ersten Weltkrieg waren Pfadfinder im Kriegshilfsdienst eingesetzt, nach 1933 wurden zunächst alle nichtkonfessionellen Pfadfinderverbände aufgelöst, ihre Mitglieder streiften, manches Mal unter Zwang, oftmals aber auch freiwillig, das Braunhemd der Hitler-Jugend über. Die konfessionellen Verbände konnten sich unter starker Einschränkung ihrer Arbeit länger halten, wurden später jedoch ebenfalls verboten.
Jüdische Herkunft Lions wurde zum Problem
Schon kurz nach der Gründung der ersten bayerischen Pfadfindergruppe wurde der Vater der Bewegung in Deutschland, Alexander Lion, heftig diffamiert aufgrund seiner jüdischen Herkunft. Die antisemitischen Tendenzen innerhalb der Pfadfinder eskalierten derart, dass Lion 1921 aus dem Deutschen Pfadfinder Bund austrat.
Alexander Lion - Motor der deutschen Pfadfinderbewegung
Dank einflussreicher Gönner in der Wehrmachtsführung konnte er auch nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten in Deutschland lange Zeit unbehelligt leben, bis er sich während des Krieges in Kolbermoor nahe Rosenheim verstecken musste. 1942 wurde er denunziert, jedoch vom Kolbermoorer Bürgermeister persönlich in Sicherheit gebracht.
Gleich nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Lion bis 1949 Leiter des Kreisjugendamtes in Bad Aibling und Mitglied der Spruchkammer. Von dort aus wirkte er am Aufbau des Bundes Deutscher Pfadfinder (BDP) mit, der ihn im Oktober 1948 zum Ehrenpräsidenten ernannte. Er wurde zum Motor für den Wiederaufbau der Pfadfinderbewegung in Bayern.
Mit seiner Hilfe konnte zwischen dem 8. und 10. Juni 1946 das erste genehmigte Pfadfinderlager der Nachkriegszeit im Isartal nahe München stattfinden. Lion starb 1961 und wurde im schwäbischen Fischach beerdigt.
Die Pfadfinderbewegung in Deutschland heute
Bis heute ist die bayerische Pfadfinderszene bunt und unübersichtlich, es gibt bündische und "scoutische" Vereinigungen, katholische und freikirchliche ebenso wie unkonfessionelle. Es gibt auch parteipolitisch gebundene und extremistische Gruppen. Immerhin wurden in den letzten Jahrzehnten die zuvor stets nach Geschlechtern getrennten Gruppen koedukativ zusammengefasst
Das Feature zum Nachhören
In seinem Feature "Allzeit bereit. 100 Jahre Pfadfinder in Bayern" schildert Thies Marsen die Geschichte der Pfadfinderbewegung in Bayern aus einem ganz persönlichen, familiären Blickwinkel - mit besonderem Augenmerk auf die Geschichte des Pfadfinder-Gründervaters Alexander Lion. Wichtige Themen dabei sind die Vereinnahmung der Pfadfinder und ihrer Ideen durch die Nationalsozialisten sowie der Umgang der heutigen Pfadfinderbewegung mit ihrer Vergangenheit.