25 Jahre Slow Food in Deutschland Auf den Spuren der bewussten Genießer
Bei Slow Food geht es darum, Produkte regional einzukaufen und sie schonend zuzubereiten. Die Bewegung kam vor 25 Jahren nach Deutschland und hat hier rund 14.000 Mitglieder. Die meisten Anhänger wohnen in München.
"Der Homo sapiens muss sich von einer ihn vernichtenden Beschleunigung befreien und zu einer ihm gemäßen Lebensführung zurückkehren."
Aus dem Slow-Food-Manifest von Carlo Petrini, der die Bewegung gegründet hat
Artenvielfalt auf dem Teller
Vor einem viertel Jahrhundert wurde der deutsche Ableger der "bewussten Genießer" gegründet und seitdem versuchen die Mitglieder im Zeichen der Schnecke unser Bewusstsein für Essen, Genuss und gute Lebensmittel zu schärfen. Ging es den Anhängern zu Beginn noch hauptsächlich um die Bewahrung des guten Geschmacks, um bodenständige Küche und Rezepte, so kämpfen sie heute um Nachhaltigkeit, um den Erhalt handwerklich hergestellter Lebensmittel und kleinbäuerlicher Strukturen, kurz: um Arten- und Sortenvielfalt auf dem Teller.
"25 Jahre Slow Food bedeuten, dass sich seit dieser Zeit nachdenkliche Menschen zusammen finden , welche die Natur schützen und damit auch sich selbst. Erst wenn man sich selbst Gutes tut, kann man auch anderen Gutes tun."
Vincent Klink, schwäbischer Sternekoch
Die meisten Mitglieder in München
In Deutschland hat Slow Food inzwischen 14 000 Mitglieder, die meisten davon in Bayern. München besitzt mit fast 1.000 Mitgliedern das stärkste Convivium Deutschlands, wie die Gruppen heißen. Aber auch in den anderen Landesteilen sind die "Schnecken" aktiv: Sie treffen sich regelmäßig zu Stammtischen oder kulinarischen Ausflügen, kochen gemeinsam und besuchen Erzeuger, engagieren sich für die Geschmacksbildung von Kindern und die Rettung von Lebensmitteln oder nehmen an Demonstrationen für eine ökologische Wende in der Landwirtschaft und genfreie Nahrungsmittel teil.
"Wir können unsere Macht als Verbraucher nutzen, um kleine Bauern hier und überall auf der Welt zu unterstützen, um das Einerlei von patentgeschütztem Saatgut und Convenience-Food zu verhindern. Wenn diese Form politischen Engagements dann noch mit Genuss und Geschmack verbunden ist – was könnte schöner sein?"
Ulrich Maly, Nürnberger Oberbürgermeister
Ein Bio-Bergbauernhof wie aus dem Bilderbuch
Zum 25. Jubiläum des Vereins zeigt Zeit für Bayern-Autorin Hannelore Fisgus die vielseitigen Aktivitäten von Slow-Food am Beispiel des Münchner Conviviums auf. Eine Gruppe Münchner Slow Food Mitglieder ist an einem strahlenden Sommertag zu Gast bei Getraud und Georg Gafus auf der Fürmann-Alm im Berchtesgadener Land. Der Blick reicht weit über den Chiemgau und vor dem Bauernhof ist die Tafel gedeckt: Rinderbraten vom Pinzgauer Rind, Gemüsepfanne, Salate aus dem Bauerngarten und Bier vom heimischen Brauer.
Ein idyllischer Ort, den sich die Städter für eine ihrer vielen Jubiläumsfeiern ausgesucht haben – schließlich sind sie Genießer. Ein Bio-Bergbauernhof, wie aus dem Bilderbuch, in dem das gelebt wird, was sich Slow Food inzwischen auf die Fahne geschrieben hat.
"Der Agrarsektor verschlingt Jahr für Jahr 60 Milliarden Euro an EU-Zuschüssen. Und genau dieser hochsubventionierte Sektor ruiniert unsere Kleinbauern."
Aus der Festschrift des Slow Food-Vereins
Um dem entgegenzuwirken, aber auch weil der Geschmack der Lebensmittel ein anderer ist, unterstützt Slow Food engagierte Kleinbauern wie Gertraud und Georg Gafus.
"Gut, sauber, fair" lautet der Slogan, den Slow Food über alles stellt. Seit nunmehr 25 Jahren versucht der Verein den Spagat zwischen kulinarischem Anspruch, Tierwohl und Naturschutz. Begonnen hat alles vor 30 Jahren mit einer eher scherzhaft gemeinten Kriegserklärung einiger linker Hedonisten und Gourmets aus Italien.
Bewegung schwappt von Italien nach Deutschland
Damals nennen sich die Anhänger in Italien gerne selbstironisch "Demokratische und antifaschistische Feinschmecker" oder "neue Hedonisten". Und so ist auch die erste Publikationen des jungen Vereins ein Statement: der Restaurantführer "Osterie d’Italia" verzeichnet keine teuren Gourmettempel, sondern einfache, authentische Lokale, in denen preiswerte, regionale Küche serviert wird. Es sind wahre Geheimtipps, versteckt in verwinkelten Gassen und oft kaum aufzufinden.
Doch auch für italophile Deutsche wird das Buch schnell zur Bibel und Eberhard Spangenberg ist als einer der Ersten davon begeistert. Der Münchner Weinhändler holt die Bewegung schließlich nach Deutschland. Zur Gründungsversammlung kamen 50 Menschen. Und so wurde Slow-Food-Deutschland anno 1992 in Königstein im Taunus gegründet und zählte nach einem Jahr immerhin schon 1.000 Mitglieder.
Es waren eher die Bonvivants und Gourmets, die sich zu Beginn bei Slow Food zusammen fanden und ein wenig haftet das Image der rotweintrinkenden Besserverdiener dem Verein immer noch an. Ihr Wunsch ist es aber, junge Leute und auch Menschen aus anderen gesellschaftlichen Schichten zu erreichen, sagen der Leiter der Münchner Gruppe, Markus Hahnel, und sein Stellvertreter Rupert Ebner.
Aus "Teller statt Tonne" …
Eine Aktion, mit der die Slow Food-Genießer versucht haben, neue Leute zu erreichen, nannte sich "Teller statt Tonne". Deutschlandweit, ja weltweit trafen sich die Menschen, um tonnenweise krummes Gemüse zu schnippeln und daraus sogenannte Disco Soups – also Suppen und Eintöpfe – zu machen und so die Lebensmittel vor der Vernichtung zu retten.
… wird "Zu Gut für die Tonne"
Das Bayerische Landwirtschaftsministeriums hat die Idee schließlich aufgegriffen. Inzwischen gibt es zum Thema "Zu gut für die Tonne" Schulprojekte und das Bundesministerium für Ernährung hat unter diesem Motto einen Bundeswettbewerb gegen Lebensmittelverschwendung ausgeschrieben. Dies ist ein gutes Beispiel, wie Slow Food-Ideen vom Mainstream aufgegriffen werden, meint Rupert Ebner.
"Da haben wir leider keine Markenrechte beantragt. Die ersten Aktivitäten haben wir mit eigenem Geld organisiert und deshalb ist Ilse Aigner auf uns aufmerksam geworden, wollte das Thema besetzen und hat gesagt: 'Ihr könnt das ohne Einfluss weiter machen, aber mit unserem Branding.' So wurde daraus die Aktion 'Zu gut für die Tonne'."
Rupert Ebner, stellvertretender Leiter der Slow Food-Gruppe in München
Mittlerweile gibt es viele Aktionen. Vom Kinderkochkurs bis zum Stammtisch, von der Großdemo in Berlin unter dem Motto "Wir haben es satt" bis zur "Spielküche", in der gemeinsam gekocht wird, von "Terra Madre" – dem Engagement für Bauern in aller Welt, bis zu gemeinsamen Reisen – zum Beispiel zu Slow Food Messen nach Turin oder Stuttgart: Viele Slow Food-Mitglieder sind mit Herzblut dabei, andere sind damit zufrieden, die gut gemachte Vereinszeitschrift "Slow" zu lesen und sich davon inspirieren zu lassen.
Schnecke hat an Tempo zugelegt
Auch Gastronome, Händler und Produzenten sind Mitglied und tauschen sich mit Verbrauchern aus. Das Zeichen von Slow Food ist immer noch die Schnecke, aber die hat im Laufe der vergangenen 25 Jahr beachtlich an Tempo zugelegt. Aus den langsamen Genießern sind politische Aktivisten geworden. Aus der Keimzelle in Italien ist ein Weltverband hervorgegangen mit Mitgliedern, die sich auf allen Kontinenten für "das Recht auf Genuss" und eine sozial- und umweltverträgliche Erzeugung von Lebensmitteln einsetzen.