Bayern 2 - Zum Sonntag


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Zum Sonntag Wählen heißt Freiheit und Verantwortung

Am 9. Juni ist Europawahl. Nicht jeder ist für ein politisches Amt geschaffen, aber wählen gehen kann jeder. Und es sollte auch jeder wählen, als Ausdruck unserer Freiheit und Verantwortung, meint Kardinal Reinhard Marx.

Von: Kardinal Reinhard Marx

Stand: 29.05.2024 14:13 Uhr

Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der Freisinger Bischofskonferenz und Erzbischof von München und Freising | Bild: picture alliance/dpa | Sven Hoppe

Es gilt als Regel, dass man beim unverbindlichen Smalltalk ein paar Themen tunlichst nicht ansprechen sollte: dazu zählen Politik und Religion. Ich gebe zu, dass ich mich selten daran halte, denn der Glaube ist nun einmal mein Lebensthema und das Feld der Politik interessiert mich seit meiner Kindheit sehr, da mein Vater gerne mit uns Kindern über Politik diskutierte.

Politik geht uns alle an

Politik betrifft eben das Leben von uns allen: Entscheidungen, Gesetze und Themen beeinflussen unsere persönlichen Lebensverhältnisse und das gesellschaftliche Zusammenleben. Und Politik gibt es auch als Beruf, bei dem es um Autorität, Macht, Einfluss und Gestaltungswillen geht. Max Weber hat den Beruf der Politik einmal beschrieben als "das Bohren harter Bretter mit Leidenschaft und Augenmaß".

Zum Autor:

Kardinal Reinhard Marx ist ehmaliger Vorsitzender der deutschen katholischen Bischofskonferenz und Erzbischof von München und Freising

Politik ist etwas alltäglich Notwendiges und erfordert zugleich professionelles, sachgemäßes Handeln. Beide Punkte kommen zusammen, vor allem auch bei demokratischen Wahlen. Denn jede freie Wahl in einem demokratischen System bedeutet, dass ich als Wähler für meine Interessen,  Überzeugungen und Werte nach Menschen suche, denen ich zutraue und vertraue, dass sie bestmögliche Politik machen. Das ist immer ein Vertrauensvorschuss, der sich in der Realität erweisen muss. Deshalb beginnt zwar unser politisches Handeln mit der Wahl, aber es endet nicht damit.

Beitragen zu einem Europa mit Wertefundament

Dass wir in unserem Land auch als europäische Bürgerinnen und Bürger frei wählen können, ist ein kostbares und rechtlich gesichertes Gut. Es wird getragen durch eine lange europäische Geschichte des Friedens, der Versöhnung und der Verständigung. Das Europäische Parlament ist das einzige übernationale, wirkmächtige Parlament der Welt!

Das sollten wir nicht für selbstverständlich halten, sondern dazu beitragen, dass dieses Parlament und damit die Europäische Union auch in der Zukunft auf den Werten aufbauen können, die gerade auch durch das christliche Menschen- und Gottesbild geprägt sind. Die biblisch bezeugte unbedingt gleiche Würde aller Menschen ist tragender Wurzelgrund für die Überwindung von Egoismen und für das Wir-Gefühl einer Gemeinschaft. Aus christlichem Glauben lassen sich darum völkischer Nationalismus, Egoismus, Populismus, Rassismus und Menschenverachtung niemals begründen!

Nicht jeder kann ein Amt übernehmen, aber alle können wählen gehen

Der Bezug auf Gott kann niemals bedeuten, dass sich Menschen über Menschen erheben. Solches Machtgebaren entspricht nicht dem hohen Ethos politischen Handelns, das sich der Verfassung und dem Volk unseres Landes verpflichtet weiß. Und es ist Blasphemie, sich dafür auf Religion und Gott zu berufen! Denn der Hinweis auf Gott bedeutet ja anzuerkennen: Wir sind nicht Gott! Dem menschlichen Handeln sind Grenzen gesetzt.

Ich bin allen sehr dankbar, die sich ihrer Möglichkeiten und ihrer Grenzen bewusst sind und - ob ehrenamtlich oder hauptamtlich – ein politisches Amt übernehmen und "mit Leidenschaft und Augenmaß" das bestmögliche für unser Land und für Europa erreichen wollen. Was wir alle dazu tun können, ist: wählen zu gehen. Das ist Ausdruck unserer Freiheit und unserer Verantwortung.


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