Bayern 2 - Zum Sonntag


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"Dignitas infinita" Unendliche, endliche Würde

Im Mai wird das Grundgesetz 75 Jahre alt – mit seinem ersten Artikel über die unantastbare Würde des Menschen. Über die hat auch der Vatikan unlängst ein Papier vorgelegt: "Dignitas infinita". Das Ergebnis ist enttäuschend, meint Beatrice von Weizsäcker.

Stand: 29.04.2024

Zum Sonntag: Dignitas infinita

Es gibt Grund zum Feiern. Im Mai wird das Grundgesetz 75 Jahre alt. Als Reaktion auf die Nazi-Zeit beginnt es demütig mit der "Verantwortung vor Gott". Ebenfalls Folge dieser Zeit ist Artikel 1: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Es steht dort nicht: die Würde des Deutschen, des Mannes, des Heterosexuellen, des Religiösen oder ähnliches. Gemeint sind alle Menschen.

Das jüngste Beispiel für den hohen Stellenwert der Norm ist das neue Selbstbestimmungsgesetz. Es erlaubt Personen, beim Standesamt ihren Vornamen und Geschlechtseintrag ändern zu lassen, wenn sie sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen. Das gehört zur Menschenwürde.

"Dignitas infinita": wichtiges Thema, enttäuschend im Ergebnis

Nun hat sich auch der Vatikan des Themas "Würde" angenommen. "Dignitas infinita" heißt seine Erklärung. "Unendliche Würde". Es ist wichtig, dass sich die Kirche damit befasst. Umso enttäuschender ist das Ergebnis.

Das Schreiben handelt von Krieg, Völkermord, Armut, Euthanasie, Menschenhandel, Verschleppung, Sklaverei. Das sind unbestritten Verstöße gegen die Menschenwürde. Natürlich darf auch die Abtreibung nicht fehlen. Der Kirche geht es um die "unveräußerliche Würde, die der menschlichen Natur unabhängig jeden kulturellen Wandels zukommt". Sagt sie. Doch das stimmt nicht.

Denn im Verlauf des Textes zeigt sich, dass die Würde nach päpstlicher Lesart keineswegs unendlich ist, sondern höchst endlich. Eine "unendliche Würde" kennt keine Grenzen und schließt niemanden aus. Das sagt schon das Wort "unendlich". Für den Vatikan dagegen gilt die Würde nur für die Gläubigen, die ihm genehm sind. Das hatte der Glaubenspräfekt bereits vorab betont: "Dignitas infinita" befasse sich mit einer "deutlichen Kritik an den unmoralischen Tendenzen der heutigen Gesellschaf", allen voran der "Geschlechtsumwandlung" und der "Gender-Ideologie", sagte er.

Gender-Theorie in einem Atemzug mit Menschenhandel und Euthanisie

In der Erklärung liest sich das so: "Über sich selbst verfügen zu wollen, wie es die Gender-Theorie vorschreibt, bedeutet (…) nichts anderes, als der uralten Versuchung des Menschen nachzugeben, sich selbst zu Gott zu machen." Als suchten sich die Menschen aus, wie sie sind. Als schriebe die "Gender-Theorie" irgendetwas vor!

Und weiter: "Das menschliche Leben in all seinen Bestandteilen, körperlich und geistig (ist) ein Geschenk Gottes, von dem gilt, dass es mit Dankbarkeit angenommen (…) wird." Und was ist mit dem Schmerz, den die Betroffenen oft erleiden? Dazu steht im Papier nichts. Stattdessen werden "Gender-Theorie" und Geschlechtsanpassung in einem Atemzug mit Menschenhandel und Euthanasie als "schwerer Verstoß gegen die Menschenwürde" gebrandmarkt.

Keine "seriöse Auseinandersetzung"

Fünf Jahre sind seit dem letzten Gender-Papier vergangen. Und nichts hat sich geändert. Abermals lässt die Kirche jene im Stich, die nicht so sind, wie sie ihrer Meinung nach sein sollten. So kann eine seriöse Auseinandersetzung nicht funktionieren.

Eigentlich hätte man gleich stutzig werden müssen. Darüber, dass das Papier "Dignitas infinita" heißt und nicht einfach "Dignitas". Wer die Würde mit einem Adjektiv versieht, macht sie nicht größer, sondern kleiner. Würde ist auch kein Wort, in das die Kirche hineingeheimnissen kann, was ihr passt, damit nicht herausgelesen werden kann, was ihr missfällt. Die Würde steht für sich. So wie im Grundgesetz, das mehr von Gott zeugt als das Papier aus Rom. Denn die Würde ist unantastbar.

Egal, was der Vatikan sagt.


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