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Landesausstellung 2011 Wie man ein Traumschloss wachküsst

Über 100 Jahre lag der Nordflügel vom größten Schlossprojekt Ludwigs II. im Tiefschlaf. Mit der Landesausstellung 2011 wurde Bayerns prächtigster Rohbau zum Schauplatz für Kulturevents aller Art. Ausgestattet ist die neue Top-Location mit wegweisender Technik - Ludwigs Nachttopf-Lift gar nicht gerechnet.

Stand: 16.05.2011 | Archiv

Außenansicht von Schloss Herrenchiemsee | Bild: picture-alliance/dpa

Schade eigentlich, dass dieses bizarre Objekt der Kulturgeschichte den Augen Normalsterblicher auch weiterhin verborgen bleibt: Den Nachttopf-Aufzugsschacht versteckte Ludwig tief in den gemauerten Eingeweiden von Herrenchiemsee. Dabei ist die Konstruktion ein schönes Bild für des Königs zwischen Stammbaumpflege und anbrechender Moderne irrlichterndes Herrschaftsverständnis.

Eine Wasserspülung hätte es auch getan - die war zur Bauzeit des Schlosses um 1880 für solvente Kunden schon erfunden, und Ludwig im Allgemeinen auch Feuer und Flamme für neue Technologien wie Glühbirne und Telefon. Andererseits sah sich der Bayernherrscher als später Nachfahre des französischen Sonnenkönigs Ludwig XIV. Und der zelebrierte seinen morgendlichen Stuhlgang bekanntlich als Staatsakt, bei dem die Höflinge um die Gunst wetteiferten, den Nachttopf leeren zu dürfen. Der diskret versteckte Botschamperl-Lift war da ein kommoder Kompromiss.

Sonnenkönigs Prachtbau, Schattenkönigs Nachbau

Überhaupt der Sonnenkönig: "Sein Nachfahre Ludwig XVI. war Taufpate von Bayernkönig Ludwig I. Dessen Enkel Ludwig II. war dann schon vergleichsweise machtlos, sah sich aber als Erbe einer großen Tradition. Herrenchiemsee ist weniger Versailles-Kopie als eine gebaute Hommage an Ludwig XIV." Das sagt Johannes Erichsen, Präsident der Bayerischen Schlösserverwaltung. Das riesige Gebäude, in dem Ludwig nur einen kleinen Teil bewohnte, ist Bayerns originellste Antwort auf die Machtarchitektur von Versailles. Mathias Pfeil, der Architekt des Nordflügel-Umbaus, formuliert das so: "Das Schloss ist ein begehbares Denkmal mit Einliegerwohnung". Vor der Fertigstellung ging Ludwig freilich erst das Geld und dann das Lebenslicht aus.

Ein gebautes Rätsel

Was wollte der König uns sagen? Bis heute lässt das Schloss - besonders die 28.000 Kubikmeter des Nordflügels - Fragen offen. Ist Herrenchiemsee eine frühe Investitionsruine - oder plante Ludwig den zweiten Seitentrakt sowieso nur der Fassadensymmetrie wegen? Hatte der Romantiker auf dem Königsthron vor, ihn als unvollendete Skizze stehen zu lassen? Baupläne sind nicht überliefert. Die Räume sprechen in Rätseln.

"Man sieht, was ist"

Das Geheimnis des Nordflügels spürte auch Architekt Pfeil, als er die Räume vor fast 20 Jahren erstmals betrat: "Das waren jahrzehntelang unbenutzte, tote Räume, allenfalls Abstellkammern." Die sollte er nun aus ihrem Dornröschenschlaf küssen. Sein Konzept: "Wir wollten nicht 'fertigbauen', keine Spuren verwischen." Jeder Einbau - zusätzliche Stützstreben, Heizungsinstallationen, die bald noch indirekt beleuchteten Handläufe - sollte "klar als Einbau zu erkennen sein. Man sieht, was ist."

Temperatur-Reserven aus 250 Metern Tiefe

Manches sieht man auch nicht. Zum Beispiel die "Klima-Kommandozentrale" im Keller. Christian Schlagowski vom Rosenheimer Bauamt: "Wir wollten alternative Energie nutzen. Solarplatten aufs Dach kamen natürlich nicht in Frage. Erst dachten wir an eine Hackschnitzelheizung, doch die hätte die Räume nur geheizt, nicht gekühlt - dafür hätte man den Chiemsee anpumpen und das Wasser zum Schloss leiten müssen. Das hätte wieder Energie verbraucht."

Jetzt kommt die Lösung des Problems aus dem Inselboden. Ein "Erdwärmesondenfeld" an der Ostseite des Schlosses entzieht dem Boden ja nach Bedarf Wärme oder Kälte. 16 Rohre - jedes nur wenige Zentimeter dick - gehen 250 Meter weit in die Tiefe und sorgen ganzjährig für gutes Raumklima. Schlagowski: "Damit sparen wir pro Jahr bis zu 180 Tonnen CO2 ein". Und Technik-Fan Ludwig II. wäre vermutlich beeindruckt gewesen.

Das Projekt

5,4 Millionen Euro hat der Umbau des Nordflügels gekostet. Zur Eröffnung der Bayerischen Landesausstellung 2011 am 14. Mai war er erstmals allen zugänglich.

Nach dem Ende der Schau wird die im Mai noch "wichtigste Baustelle der Region" (Finanzminister Georg Fahrenschon, CSU) als "multifunktionale Veranstaltungsfläche" etwa für Ausstellungen, Kulturveranstaltungen und Kongresse freigegeben.


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