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Zuckerkrank Leben mit Typ-1-Diabetes

Patienten mit Typ-1-Diabetes sind von den ersten Symptomen meist ziemlich überrumpelt: Sie müssen plötzlich ständig pinkeln und entwickeln einen schier unstillbaren Durst. Wenn diese Krankheitszeichen auftreten, ist höchste Eile geboten.

Stand: 18.05.2022 |Bildnachweis

Blutzuckermessung an einem Finger | Bild: picture-alliance/dpa

Patienten mit Diabetes Typ 1 sind von den ersten Symptomen meist ziemlich überrumpelt: Sie müssen plötzlich ständig pinkeln und entwickeln einen schier unstillbaren Durst.

Experte:

Prof. Dr. med. Peter Achenbach, Institut für Diabetesforschung, HelmholtzZentrum München

Wenn diese Krankheitszeichen auftreten, ist höchste Eile geboten, denn die Patienten können schnell ins Koma fallen. Grund dafür ist, dass das körpereigene Immunsystem Teile der Bauchspeicheldrüse zerstört hat. Ohne Behandlung verläuft die Erkrankung tödlich. Es ist heute möglich, Typ-1-Diabetes schon zu erkennen, bevor die ersten Krankheitszeichen auftreten. Selbst Impfstoffe werden erprobt.

Der Text beruht auf einem Interview von Moritz Pompl mit Prof. Dr. med. Peter Achenbach, Institut für Diabetesforschung, HelmholtzZentrum München.

Der Begriff Diabetes mellitus bedeutet „honigsüßer Durchfluss“: Im Altertum probierten die Ärzte den Urin ihrer Patienten und stellten damit die Diagnose. Beim Typ-1-Diabetes greift das körpereigene Immunsystem die Bauchspeicheldrüse an. Dadurch sinkt die Insulinausschüttung, und der Blutzucker steigt.

Dem Typ-1-Diabetes liegt ein Mangel an Insulin zugrunde. Das Hormon wird in den Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse gebildet und sorgt dafür, dass Zucker aus dem Blut in die Körperzellen aufgenommen wird, vor allem in die Muskel-, Fett- und Leberzellen.

Nach der Nahrungsaufnahme steigt der Blutzucker an – entsprechend mehr Insulin gelangt dann aus der Bauchspeicheldrüse ins Blut. Umgekehrt ist der Insulinspiegel im Blut bei Hunger besonders niedrig. Dadurch wird der Blutzucker in engen Grenzen gehalten: Er liegt im Normalfall bei 60 – 100 Milligramm pro Deziliter Blut (direkt nach dem Essen darf er auch höher sein).

Der Körper bekämpft sich selbst

Hat ein Patient Diabetes, dann ist die Blutzucker-Regulierung gestört. Beim Typ-1-Diabetes zerstört das körpereigene Immunsystem die Beta-Zellen in der Bauchspeicheldrüse, in denen das Insulin gebildet wird. Außerdem wenden sich Antikörper gegen das Insulin und teilweise auch gegen seine Vorstufe, das Pro-Insulin, sowie gegen weitere Proteine der Beta-Zelle. Die Ärzte sprechen von einem Diabetes-spezifischen Autoimmunprozess. Dieser tritt relativ häufig zusammen mit weiteren Autoimmunprozessen auf, die sich dann auch noch gegen andere Organe richten können, etwa gegen die Schilddrüse.

Beim Typ-2-Diabetes liegt dagegen in der Regel eine Insulinresistenz zu Grunde – das bedeutet, dass die Körperzellen nicht mehr so gut auf Insulin reagieren. Sie sind aufgrund falscher Essgewohnheiten mit vielen schnell-resorbierbaren Kohlenhydraten (v.a. Zucker) und Fetten ständig mit einem Überangebot an Blutzucker bombardiert worden und dadurch "abgestumpft". Genauer gesagt haben sich die Rezeptoren für Insulin an den Zielzellen zurückgebildet. Die Patienten mit Typ-2-Diabetes sind meistens älter und übergewichtig.

Die Gene spielen eine Rolle

Die Erkrankung Typ-1-Diabetes entwickelt sich meist im Kinder- und Jugendalter, und sie führt dazu, dass früher oder später die Insulinproduktion der Beta-Zellen nicht mehr ausreicht, um den Blutzucker auf gesundem Niveau zu regulieren. Später kann der Körper nur noch sehr wenig oder gar kein Insulin mehr bilden. Ohne Behandlung stirbt der Patient.

Wodurch der Autoimmunprozess ausgelöst wird, ist trotz intensiver Forschung noch nicht restlos geklärt. Fest steht, dass die Gene eine Rolle spielen: Das Risiko, im Laufe des Lebens an Typ-1-Diabetes zu erkranken, beträgt in etwa drei bis acht Prozent (also ungefähr fünf von 100), wenn ein Elternteil oder Geschwisterkind erkrankt ist, verglichen mit 0,4 Prozent (also vier von 1.000) in der Gesamtbevölkerung – und das Risiko steigt auf 25 Prozent (25 von 100 Personen), wenn mehrere enge Verwandte Typ-1-Diabetes haben. Entscheidend bei der Vererbung sind Oberflächenproteine auf den weißen Blutkörperchen (sogenannte HLA = Humane Leukozyten-Antigene). Sie haben im Immunsystem die Aufgabe, Antigene zu präsentieren, also Stoffe, gegen die das Immunsystem kämpfen soll. Immunzellen, die gegen körpereigene Stoffe gerichtet sind, werden normalerweise aussortiert und vernichtet. Bestimmte genetische Faktoren begünstigen es aber offensichtlich, dass einige der selbstreaktiven Immunzellen ungeschoren davonkommen und im Körper nicht ausreichend von anderen Immunzellen in ihrer Aktivität gehemmt werden. Dann kann sich eine sogenannte Autoimmunerkrankung (wie z.B. Typ-1-Diabetes) entwickeln.

"Es gibt über 50 bekannte Gene und Genregionen, die bei Typ-1-Diabetes eine Rolle spielen und mit dem Immunsystem in Verbindung stehen. Aber das allein erklärt nicht den rasanten Anstieg der Erkrankungszahlen in den vergangenen Jahren."

Prof. Dr. med. Peter Achenbach, Institut für Diabetesforschung, Helmholtz Zentrum München

Beim Typ-1-Diabetes beobachten Mediziner und Medizinerinnen einen kontinuierlichen Anstieg der Fallzahlen: Derzeit hat in Deutschland rund jeder 260ste Bürger Typ-1-Diabetes, aber die Zahl der Neuerkrankungen steigt pro Jahr um rund drei bis fünf Prozent.

"Bei Kindern unter fünf Jahren liegt die jährliche Anstiegsrate sogar bei sechs Prozent. Wenn der Prozess so weitergeht, dann haben wir in zwölf Jahren eine Verdoppelung der Neuerkrankungszahlen bei den Jüngsten. Bereits heute gibt es in Deutschland rund 320.000 Betroffene in allen Altersgruppen."

Prof. Dr. med. Peter Achenbach, Institut für Diabetesforschung, Helmholtz Zentrum München

Viren als Ursache?

Verschiedene Umweltfaktoren werden als Auslöser für diesen Anstieg diskutiert, unter anderem auch Virusinfektionen: Bevor Betroffene die ersten Diabetes-Symptome bekommen, haben viele von ihnen einige Tage oder wenige Wochen vorher eine Infektion gehabt. Die Bandbreite reicht von Erkältungen mit dem Coxsackie B-Virus bis hin zu Kinderkrankheiten wie Mumps oder Röteln und dem Pfeiffer‘schen Drüsenfieber. Eine Beteiligung der Infektion als Ursache für den Autoimmunprozess ist jedoch unwahrscheinlich, wenn die klinische Diabeteserkrankung kurze Zeit nach der Infektion auftritt. Allerdings wurde bei Kindern mit häufigen viralen Atemwegsinfektionen im ersten Lebensjahr in den folgenden Jahren eine häufigere Entwicklung von Typ-1-Diabetes beobachtet. Auch Stresssituationen wie eine Operation oder Umweltfaktoren wie etwa Feinstaub oder Stickstoffdioxid stehen im Verdacht, Typ-1-Diabetes zu begünstigen.

"Leider wissen wir hier noch zu wenig.Es gibt eine ganze Reihe an Umweltfaktoren, die in kleineren Studien genannt worden sind, und die zum Teil auch signifikante Ergebnisse gezeigt haben. Diese Ergebnisse konnten aber nicht immer bestätigt werden."

Prof. Dr. med. Peter Achenbach, Institut für Diabetesforschung, Helmholtz Zentrum München

Deshalb glauben viele Mediziner und Medizinerinnen, dass Umweltfaktoren oder Viruserkrankungen nur das "Tüpfelchen auf dem i" sind und den Krankheitsprozess beschleunigen: Sie treffen auf ein besonders empfängliches Immunsystem, das dann überreagiert und die volle Ausprägung des Autoimmunprozesses ermöglicht. Meist war dieser zum Zeitpunkt der Infektion schon lange unbemerkt im Gange.

"Die gestörte Regulation der Immunantwort ist das Grundproblem. Umweltfaktoren leisten einen wesentlichen Beitrag in der Krankheitsentwicklung. Es gibt aber wahrscheinlich nicht DEN EINEN ursächlichen Umweltfaktor." Prof. Dr. med. Peter Achenbach, Institut für Diabetesforschung, Helmholtz Zentrum München

In dieses Bild passt auch die Theorie, dass Typ-1-Diabetes mit einem zu sauberen Lebensstil zu tun hat: Je weniger ein Kind „im Dreck“ spielt und mit Keimen verschiedenster Art in Berührung kommt, desto weniger muss sich sein Immunsystem mit der Umwelt auseinandersetzen. Dadurch können aber auch wichtige Trainingseinheiten wegfallen, durch die das Immunsystem lernt, nicht unangebracht und überschießend, sondern angemessen zu reagieren.