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Uni Augsburg Wie Campus Cat den Lockdown verbringt

15 Monate Corona in Deutschland, 25.000 Studierende der Uni Augsburg sind nicht oder fast nicht mehr auf dem Campus. Nur die Campuskatze kommt noch jeden Tag an die Uni. Doch was macht Campus Cat eigentlich während des Lockdowns?

Von: Susanne Kredo

Stand: 19.05.2021 | Archiv

Uni ohne Studierende: Campus Cat leidet

Ende März 2021, im zweiten Jahr Corona, an einem Dienstag mitten im Semester. Es ist warm, die Sonne scheint auf die Bank vor der Bibliothek für Geistes- und Wirtschaftswissenschaften. Das Holz riecht warm. Die Bank ist leer. Es fehlen nicht nur die Studierenden. Auch Campus Cat ist heute nicht da. Nicht auf der Bank und nicht darunter. Nicht in der Bibliothek. Nicht auf der Matte hinter dem Eingang zur Fakultät. Es ist niemand da, den er begrüßt, niemand, der ihn streichelt. Seit dem Ende des Präsenzbetriebs an der Uni Augsburg schon nicht mehr.

Ganz Deutschland kennt Campus Cat

Seit mehr als fünf Wochen suche ich ihn. Habe seine Manager gefragt, wo er ist. Also die ehemaligen Studenten, die seine Facebook-Seite verwalten und den Insta-Account. Sie wussten es nicht. Sie sind ja nicht mehr an der Uni. Ganz Deutschland kennt Campus Cat. Er war in der "Brigitte" und im Privatfernsehen, wurde von der Uni zum Dienstkater Honoris Causa ernannt – und ich kann ihn nicht finden. Die Pressesprecherin der Uni verspricht mir, sie hört sich um. Es vergehen weitere Wochen. Früh morgens lauere ich auf dem Campus, mittags. An den warmen Tagen im Februar zeigt sich die Katze genauso wenig, wie an den kalten im März.

Wo ist der Kater?

Schließlich meldet sich Dr. Gerhard Wilhelms, der stellvertretende Geschäftsführer des Zentrums für Weiterbildung und Wissenstransfer der Uni Augsburg. Klar weiß er, wo der Kater ist. Ich kann kommen und ihn kennenlernen – den Kater. Wilhelms trifft mich am Parkplatz, auf dem kaum Autos stehen, sperrt mir das Gebäude auf, das wie ausgestorben wirkt, führt mich durchs Foyer. Es ist menschenleer.

"Wenn er mal ein bisschen Ruhe braucht, hat er hier einen Platz am Fenster mit eigenem Stuhl. Wenn man genauer guckt, sieht man auch die roten Haare. Dort liegt er auch sehr, sehr gern – wenn er wirklich Ruhe braucht."

Gerhard Wilhelms, Uni Augsburg

Ein einzelner Stuhl in einer Nische mit Zimmerpflanze und Tageslicht. Katzenthron durch Okkupation.

"Jetzt ist er bei uns im Büro, es ist schon relativ spät am Tag. Er ist müde und schläft."

Gerhard Wilhelms, Uni Augsburg

Campus Cat heißt eigentlich Leon

Spät am Tag, also etwa 14 Uhr. Mitten in der Nacht für einen Kater, der das, was der Mensch für Schlafenszeit hält, mit dem verbracht hat, was eine Katze eben so macht. Und jetzt müde ist und sich erholen muss. Ich darf mit in Wilhelms‘ Büro, selbstverständlich tragen wir Masken, halten Abstand. Der Raum ist gerade groß genug für uns beide. Und für Campus Cat. Da liegt er. Roter Kater auf lila Drehstuhl. Hebt nur kurz den Kopf für ein einzelnes Miau. Es wird die einzige bleiben, derer er mich würdigen wird. Sonst nix mehr. Es ist genug gesagt. Der Kater rollt sich wieder ein und schläft weiter. Ich habe Campus Cat gefunden. Der Name ist medienwirksam. Aber so heißt er doch nicht wirklich, oder?

"Er heißt Leon. Campus Cat ist der Name hier im Campus, unter dem kennen ihn auch alle Studierenden, das ist auch der Name seines Facebook-Accounts und seines Instagram-Accounts. Aber sein richtiger Name ist Leon."

Gerhard Wilhelms, Uni Augsburg

Campus Cat – seit 20 Semestern an der Uni

Seit über zehn Jahren ist Leon an der Uni. 20 Semester also in etwa. Er hat Generationen von Studenten kommen und gehen sehen. Ist durch die Büros spaziert und in die Seminare. Besonders gerne war er in der Bibliothek schräg gegenüber. Das Gebäude, vor dem die Holzbank steht, auf der heute niemand Platz genommen hat.

"Da ist er sehr gerne hingegangen, weil da natürlich immer schöne Stühle sind und auch ein bisschen Ruhe. Aber er ist auch in Vorlesungen gegangen und hat sich auch nicht stören lassen. Ist durch den Raum, hat geguckt, wo er sich irgendwo drapieren kann. Und ist mitunter auch stundenlang in Vorlesungen geblieben. Er ist nach wie vor ein sehr freundlicher Kater, geht auch auf die Leute zu, wenn er Lust drauf hat."

Gerhard Wilhelms, Uni Augsburg

Wenn er Lust hat – ein Katzen-Schlüsselbegriff. Und wenn Leute da sind, auf die zugegangen werden kann. Es sind aber keine da. Weil seit Corona "normal" ist, was wir uns so nie hätten vorstellen können.

"Natürlich sind viel weniger Leute da. Wann immer ihm früher danach war, ist er raus und auf Leute zugegangen, hat sie anmiaut, wollte sich streicheln lassen, zumindest eine bestimmte Zeit lang, bis es ihm wieder genug war. Und das ist jetzt natürlich komplett weggefallen. Aber ich glaube, er vermisst es im Moment gar nicht."

Gerhard Wilhelms, Uni Augsburg

Schlafen, Fressen, Zeit vor dem Computer verbringen

Er ist jetzt nicht mehr so viel unterwegs wie früher. Und macht, was wir alle machen, seit Beginn der Pandemie: Schlafen, Fressen und sehr viel Zeit vor dem Computer verbringen. In Leons Fall, dem von Gerhard Wilhelms.

"Das ist jetzt mein Stuhl, mein Arbeitsplatz. Er sucht sich natürlich immer die bequemsten Stühle aus hier im Büro. Ich nehme mir dann einen von den Hockern, setze mich daneben. Es dauert dann auch gar nicht lange, dann klettert er vom Stuhl auf den Tisch und dann weiß ich auch, es ist Zeit, ich muss mich auf den Stuhl setzen. Er kommt dann quasi in die Arme, auf den Bauch, kuschelt ein bisschen und will einfach gestreichelt werden eine Weile."

Gerhard Wilhelms, Uni Augsburg

Und wie macht Gerhard Wilhelms da seine Arbeit?

"Das passiert dann meistens morgens, da fange ich mit E-Mails lesen an. Eine Hand habe ich frei, die andere hält den Kater, dann kann ich immer schön klicken und weiterscrollen. Zum Tippen wird’s ein bisschen schwierig. Mit der anderen Hand muss ich ihn immer schön halten, sonst würde er von meinem Bauch runterkugeln. Ist auch schon passiert, aber das mag er nicht so gerne."

Gerhard Wilhelms, Uni Augsburg

Kater und Mathematiker – eine echte Männerfreundschaft

Also bemüht sich der geduldete Zimmergenosse selbstverständlich, dass das tunlichst nicht passiert. Sitzt selber auf dem Hocker, während Leon den Stuhl vor dem Schreibtisch in Beschlag nimmt. Spätestens jetzt wird klar: Kater und Mathematiker verbindet eine echte Männerfreundschaft.

Leon und Wilhelms würden, würde es jemand nachprüfen, wohl als ein Hausstand gelten. In dem kleinen Büro auf dem Campus Augsburg befinden sich Katze und Mensch auf Augenhöhe in der Pandemie, in der soziale Interaktion bis aufs Unerträgliche beschnitten ist.

"Das ist nicht zu verachten. Das ist eine angenehme Gesellschaft. Er kritisiert nicht, er mäkelt nicht."

Gerhard Wilhelms, Uni Augsburg

Nur nachts ist für Leon noch alles, wie es immer war.

"Da gibt es mehrere Varianten: Wenn noch Kollegen da sind, dann frage ich, ob sie ihn rauslassen. Das hat sich eingebürgert: Der letzte lässt ihn raus, bzw. schiebt den Stuhl, auf dem er schläft, nach draußen, damit er dann nicht eingesperrt ist."

Gerhard Wilhelms, Uni Augsburg

Schlafende Beförderung. Der Kater hat alles richtig gemacht in diesem Katzenleben. 14 ist er jetzt, das erfahre ich grade, während ich dieses Manuskript schreibe von seinem "Bürokollegen". Eine Magenverstimmung hat er zur Zeit. Ein verstimmter Kater also, sehr ungünstig. Vielleicht schlägt ihm die Desozialisierung jetzt langsam auf den Magen, da hilft wohl nur ein ausgedehntes Nickerchen auf dem Bürostuhl oder ein Sonnenbad auf der Holzbank vor der Bibliothek. Bis sie wiederkommen, die Studierenden.


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