Bayern 2

     

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Widerstand ist zwecklos Zum Weihnachtsfest gezwungen

Es gibt viele Arten, wie Weihnachten in die Hose gehen kann. Vielleicht ist es viel leichter für Menschen, die Weihnachten einfach gar nicht feiern. Wobei – auch das kann schiefgehen, wie Mutter Irmingard, Vater Manfred und Sohn Manuel erzählen.

Von: Thibaud Schremser

Stand: 14.12.2021 17:27 Uhr | Archiv

Widerstand ist zwecklos: Zum Weihnachtsfest gezwungen

Mein Freund Manuel hat mir von diesem einen Weihnachtsfest erzählt. Seine Eltern waren gerade erst Eltern geworden. Manuel war zehn Monate alt. Also er erinnert sich natürlich nicht daran. Die Geschichte ist eine von denen, die in einer Familie eben so erzählt werden. Und sie geht so: Irmingard, Manfred und der kleine Manuel haben damals alle drei in Schwaig bei Nürnberg gewohnt und sind über Weihnachten in den Bayerischen Wald gefahren. Gemeinsam mit Freunden der Familie hatten die Eltern eine Ferienwohnung gemietet. Es sollte gerade kein besinnliches, traditionelles Weihnachtsfest werden. Denn: Manfred kann mit Weihnachten nichts anfangen.

"Wie gesagt, ich bin zwar christlich erzogen. Wobei, was heißt erzogen? Kann man auch nicht sagen: getauft halt und konfirmiert, aber eigentlich habe ich mit den christlichen Ritualen nicht viel zu tun und am Hut und ich finde irgendwie, ich weiß auch nicht, diese aufgesetzte Emotionalität an Weihnachten nicht so toll."

Manfred, der Vater

Missglückter Plan: Weihnachten erst gar nicht feiern

Deshalb ist die Familie in den Bayerischen Wald gefahren. An Weihnachten weg sein von allem. Und damit auch vom Zwang, Weihnachten zu feiern. Soweit der Plan.

"Als wir ankamen, kam die Bauersfrau, die die Wohnung vermietet hat, uns entgegen: ›Oh! Sie sind so spät! Ich habe schon auf Sie gewartet. Der Herr Fritsch muss ja noch den Weihnachtsbaum schmücken.‹ Und gibt dem Manfred die Kiste mit den Christbaumkugeln in die Hand und Manfred musste den Christbaum schmücken."

Irmingard, die Mutter

"Dazu muss man sagen, dass ich nicht Fritsch heiße, das nur nebenbei, sondern Becker, aber macht nichts. Aber ich bin ja Atheist, eigentlich, und habe mit Weihnachten tatsächlich gar nichts am Hut und umso schlimmer dann dieser Druck, einen Weihnachtsbaum zu schmücken."

Manfred, der Vater

"Aber gegen die Bäuerin kamst Du nicht an und hast gar nichts gesagt und wirklich sehr schön den Weihnachtsbaum geschmückt und es war ein sehr lustiger, netter Abend."

Irmingard, die Mutter

Vor Weihnachten fliehen – eine Massenbewegung?

Die Fahrt in den Bayerischen Wald war nicht Manfreds einziger Fluchtversuch. In den Jahren danach ist er wieder weggefahren über Weihnachten, geflogen sogar. Er hat sich noch weiter von der Heimat entfernt, um ja keinen Baum schmücken zu müssen.

"Und zwar bin ich nach La Gomera geflogen öfters. Eben um hier diesem Weihnachtstrubel zu entgehen. Und einmal begrüßte uns der Kapitän: ›Willkommen an Bord zu Weihnachtsfluchtflug nach La Gomera.‹"

Manfred, der Vater

Über 3.000 Kilometer sind die Kanarischen Inseln von Schwaig bei Nürnberg entfernt – Luftlinie. Aber Distanz ist nicht alles. Die Einheimischen feiern dort auch Weihnachten. Aber es gibt eben auch eine Menge Gleichgesinnter. Wenn man Manfred Glauben schenkt, scheint Weihnachtsflucht durchaus eine Massenbewegung zu sein. Manchmal hat man auf La Gomera zu der Zeit kaum eine Unterkunft bekommen, meint er.

Manfred flieht – die restliche Familie feiert Weihnachten

Außer dem ersten Mal im Bayerischen Wald ist Manfred immer allein geflohen. Denn er ist es, der Weihnachten nicht mag, nicht der Rest der Familie.

"Ich feiere sehr gerne Weihnachten. Ich liebe Weihnachten und finde das einfach ein wunderschönes Fest. Und ich finde es ganz furchtbar oft zu hören, dass andere sagen: ›Oh Gott! Jetzt schon wieder drei Tage nur Familie. Jetzt müssen wir da schon wieder durch, durchs Essen.‹ Wenn ich nicht gerne Weihnachten feier, dann lass ich’s bleiben und deswegen ist Manfred meistens um die Weihnachtszeit weggefahren und wir haben immer wunderschön Weihnachten gefeiert, finde ich."

Irmingard, die Mutter

"Irgendwann hat er sich von den Erzählungen dann doch überzeugen lassen, wieder hier zu bleiben und selbst das kriegen wir gemanagt."

Manuel, der Sohn

Heute feiern alle gemeinsam Weihnachten

"Gemanagt" kriegen sie das. So ähnlich sagen alle drei das immer wieder in unserem Gespräch am Wohnzimmertisch. Weihnachtsplanungen scheinen nie so einfach gewesen zu sein in dieser Familie, aber in welcher Familie gibt es keine endlosen Diskussionen über Baum, Krippe, Sitzordnung, Menü und Tagesablauf? Jedenfalls feiern im Haus Fritsch-Becker heutzutage also alle zusammen Weihnachten, es gibt einen Christbaum, der von Irmingard, Manuel und seinem jüngeren Bruder geschmückt wird. Manfred muss nicht mitmachen. Sie konnten sich aber alle gemeinsam auf eine Christbaumspitze einigen, erzählt Manuel stolz: einen roten Stern. Mit fünf Zacken, ergänzt seine Mutter. Kein Symbol der göttlichen Gnade, sondern eines für den menschengemachten Sozialismus. Fanden alle witzig. Klingt harmonisch.

Aber ich bin nicht ganz sicher, ob ich dem Braten wirklich trauen kann, ob der Friede wirklich so tief geht, wie alle drei behaupten. Stichwort Braten: An Weihnachten, in dem Moment, in dem dieser Beitrag gesendet wird, ist der Baum der Familie längst geschmückt, Manuel steht wahrscheinlich gerade in der Küche und würde gerne einen Schmorbraten zubereiten. Aber Manfred ist Vegetarier. Deshalb wird es wohl Sellerie und rote Beete geben. Was ich meine: Die Familie sagt, sie hat einen Konsens gefunden, wie sie Weihnachten feiern. Aber weder Manfred, noch Irmingard können es lassen, am Konsens vorbei zu sticheln.

Ein Konfliktthema? Oder nicht?

Es gibt Menschen, die sagen: Der christliche Kern ist mir egal. Ich feiere Weihnachten trotzdem.

"Ja, das dürfen die Leute machen, nichts dagegen, aber meins ist es jedenfalls nicht."

Manfred, der Vater

"Aber vielleicht machen wir’s inzwischen so. Mir ist es gar nicht egal. Ich habe die Verbindung zu Weihnachten. Mir geht’s um den Inhalt. Also die Weihnachtsbotschaft find ich einfach eine ganz wunderbare Botschaft. Deswegen sind mir auch diese weihnachtlichen Rituale vertraut und lieb und wichtig. Aber wir können sie gemeinsam nicht begehen. Und für mich ist jetzt so der Konsens, auf den wir uns geeinigt haben, dass es ein Fest ist der Freude. Das heißt wir verbringen einen schönen gemeinsamen Familienabend und das gelingt uns jedes Jahr jetzt gemeinsam. Wirklich. Und da ist nichts aufgesetzt, außer vielleicht wenn Manfred kommt und sagt: ›Oh Gott! Muss der Baum schon wieder sein?‹ Wir sagen: ›Ja klar.‹ Aber einen neuen Stern brauchen wir langsam, der ist jetzt ein bisschen schief geworden."

Irmingard, die Mutter

"Dafür haben wir jetzt eine tolle Christbaumkugel mit Stars & Stripes."

Manuel, der Sohn

"Wird immer schlimmer. Immer mehr Gründe, es nicht zu feiern, die Ihr liefert."

Manfred, der Vater

Ist das nun ein Konfliktthema – oder nicht?

"Nein, nicht wirklich."

Manfred, der Vater

"Nein. Wir haben einfach einen guten Weg gefunden, wo wir uns alle wohlfühlen und keiner muss irgendwas tun."

Irmingard, die Mutter

"Außerdem geht niemand gern in die Kirche, da ist inzwischen Irmingard auf verlorenem Posten, weshalb sie ab und an Gäste einlädt, die dann mit in die Kirche gehen dürfen."

Manuel, der Sohn

"Das stimmt, das ist ein bisschen ein Problem, dass da niemand mitgeht und dass ich keine Lust habe, allein zu gehen, wenn wir gerade hier gut zusammensitzen. Das ist auch nicht der Sinn der Sache. Und dann freue ich mich, wenn wir Besuch haben: unsere Verwandten aus den USA, oder einmal kamen chinesische Studenten zu Besuch und so können wir gemeinsam gehen, das ist schön."

Irmingard, die Mutter


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