Bayern - Land und Leute Im Kampf mit dem Puritanismus: Sandra Paretti
Samstag, 15.08.2020
15:05
bis 16:00 Uhr
BR Heimat
Das große Fest des Lebens
Im Kampf mit dem Puritanismus: Sandra Paretti
Von Joseph Berlinger
Wiederholung von 13.05 Uhr, Bayern 2
Als Podcast verfügbar
Sie wusste, wovon die Masse gerne träumte, und lieferte generös den Stoff: Machenschaften und große Gefühle der Reichen und Schönen. Ihre Romane erreichten eine Gesamtauflage von 30 Millionen. Die Kritiker rümpften die Nase und nannten sie den weiblichen Konsalik. Sie selbst empfand sich als "Kunstgewerblerin". Eine Unterhaltungsschriftstellerin ohne kritischen Anspruch.
Aber die sich mondän inszenierende Sandra Paretti, die eigentlich Irmgard Schneeberger hieß, konnte auch anders. Mit ihrem autobiografischen Bekenntnisbuch "Das Echo deiner Stimme" schuf sie nicht nur ihrer Mutter ein Denkmal, sondern auch sich selbst. Oszillierend zwischen Bewunderung und Hass versuchte sie ihrer Mutter auf die Spur zu kommen, die in patriarchalischen Zeiten einen frühen, ganz eigenartigen Feminismus praktizierte. Die nicht wusste, ob sie ihren Mann liebte oder hasste. Die ihre Ehe als Verdummungsprozess sah. Die sich immer unter Kontrolle hatte, als ob die ganze Welt ihr unablässig zuschaute. Die ihre Tochter, die spätere Schriftstellerin, verhörte und ausspionierte. Die in puritanischem Eifer auch sie zur Puritanerin erziehen wollte, um sie vor den bösen Männern zu schützen. Was nicht gelang - und irgendwie doch.
Sandra Paretti lebte vorwiegend allein. Sie behauptete ihre Unabhängigkeit, als wollte sie das einlösen, wozu ihre Mutter nicht den Mut hatte. Die Sätze dieser Mutter hallten wie ein warnendes Echo in ihr nach: "Für keine Frau gibt es den Richtigen", "Eine Frau, die liebt, gibt alles auf", "Alle Frauen haben ein verpfuschtes Leben" …
Joseph Berlinger recherchierte in Regensburg, Weiden, München und Zürich. Auf der Suche nach Sandra Paretti. Und Irmgard Schneeberger. Die sich 1994, unheilbar an Krebs erkrankt, von der Sterbehilfeorganisation Exit Gift geben ließ. Ihr Todeslager - ganz in Silber und Brokat - und ihre Todesanzeige waren von jenem Pathos, mit dem sie die Masse beglückte: "Das große Fest des Lebens verlasse ich mitten in dem Walzer, zu dem ich eigentlich durch Frühlingswiesen und Vergissmeinnicht-Nächte bis ins Jahr 2000 tanzen wollte - zur Schönen blauen Donau."
(BR 2012)