BR Heimat an Weihnachten - Bayern - Land und Leute Knatterbock & Feuerstuhl
Dienstag, 26.12.2023
15:05
bis 16:00 Uhr
BR Heimat
Knatterbock & Feuerstuhl
Das erste Serienmotorrad der Welt
Von Ulrich Klenner
BR 2017
Wiederholung von 13.05 Uhr, Bayern 2
Diese Sendung hören Sie auch in der BR Radio App und ist als Podcast verfügbar.
Heinrich Hildebrand, dem Chefredakteur der in München erscheinenden, ungemein erfolgreichen Zeitschrift "Radfahr-Humor", kam 1889 eine wahrhaft zündende Idee: ein Fahrrad mit Motorantrieb, das müsste doch eigentlich das ideale Fortbewegungsmittel sein! In dem Ingenieur Alois Wolfmüller aus Landsberg fand er den idealen Gefährten für die Realisierung seines Traums. Wolfmüller nämlich, von Hildebrand finanziert, konstruierte eine bahnbrechende Fahrmaschine, angetrieben von einem Benzinmotor mit zwei Zylindern, dahinrollend auf zwei luftbereiften Rädern. Im Januar 1894 wurde das Patent angemeldet. Die Patentschrift hatte staunenswerte Innovationen zum Inhalt, deren wirkungsmächtigste eine Wortschöpfung war: Die Erfinder nannten ihr Vehikel "Motorrad". So kam das Wort in die Welt,
bei dessen Klang heutzutage Millionen von Enthusiasten das Herz höher schlägt. Aber dieses Ding auch herzustellen und in Umlauf zu bringen, dafür mochte sich zunächst niemand begeistern. Blieb den beiden Ur-Bikern nur die Flucht nach vorn: Sie gründeten die "Motorfahrradfabrik Hildebrand & Wolfmüller".
Am 5. Juni 1894 wurde der staunenden Öffentlichkeit auf der Rennbahn am Schyrenplatz in München-Untergiesing das erste in Serie gefertigte Motorrad der Welt präsentiert. Die Münchner Neuesten Nachrichten jubelten: "Die Lösung des Problems eines Motorfahrrades ist mit dieser Erfindung als vollständig gelungen zu betrachten." Das Geschäft mit dem mechanischen Reittier begann rapide zu florieren. Schon nach wenigen Wochen hatte das Auftragsvolumen mehr als zwei
Millionen Reichsmark erreicht. Bald war die Belegschaft der Münchner Fabrik auf rund 1000 Mitarbeiter angewachsen. Doch der Absturz kam ebenso jäh wie der Aufstieg. Die so genannte Glührohrzündung verwandelte das Motorfahrrad buchstäblich in einen brandgefährlichen Feuerstuhl. Immer mehr gebrannte Kunden fühlten sich geprellt und forderten ihr Geld zurück. Damit nicht genug, es wurde offenbar, dass die Herstellungskosten den Verkaufspreis bei weitem überstiegen.
Im Oktober 1895 wurde die Produktion eingestellt. Anfang 1897 war dann endgültig Schluss mit Hildebrand & Wolfmüller. Der Siegeszug des Motorrads war trotzdem nicht aufzuhalten. Heinrich Hildebrand und Alois Wolfmüller haben das ihre dazu beigetragen, dass heute Millionen von Motorradfahrern auf den Traum abfahren können, der für sie noch nicht geplatzt ist.