100 Jahre ledig Der "Club der 12 Geheimen" in Obertheres
Maibäume werden vielerorts von Junggesellen aufgestellt. Die sind in Obertheres in den Haßbergen organisiert – im "Club der 12 Geheimen". Seit 100 Jahren gilt dessen oberste Regel: wer heiratet, fliegt raus.
Viele Schaulustige sind gekommen und aus der Ferne ertönt die Teufelsgeige: ein langer Stab mit bunten wehenden Bändern, an dem eine Trommel mit Schellenkranz befestigt ist, obendrauf thront ein rotes Teufelchen. Die Klänge fahren Ludwig Hahn durch Mark und Bein. Der Tag des Abschieds aus dem "Club der 12 Geheimen" ist für ihn gekommen. Er heiratet seine Elke und damit fliegt er raus aus dem Junggesellenclub.
Zum Hochzeitsfest sind auch die elf übrigen Burschen des Clubs gekommen. Sie tragen ihre Kluft: schwarze Hose, weißes Hemd, grünes Tuch um den Hals, zusammengehalten von einem geflochtenen Lederring. Nach altem Brauch bringen sie einen Fichtenkranz im Durchmesser von zwei Metern mit. Daran baumeln elf Lampions – der zwölfte wird getragen und wird gleich wichtig bei einem Ritual.
Amors Pfeil war stärker als die Liebe zum Club. Elf Jahre lang ist Ludwig Hahn treuer Junggeselle gewesen, war sogar Vorstand. Läuten die Hochzeitsglocken, kennen die Burschen aber kein Pardon und reichen dem Bräutigam zum bitteren Abschied einen Krug voll Wermut – mit Wehmut soll er ihn trinken. Ludwig Hahn nimmt einen großen Schluck und wischt sich die Tränen aus dem Gesicht. Außerdem wird symbolisch der zwölfte Lampion ausgeblasen – die Junggesellenzeit erlischt.
"Dann fließen schon Tränen"
All das passierte 1996. Doch für den 59-jährigen Ludwig Hahn fühlt es sich fast wie gestern an. Beim Blättern durch die Chronik des Junggesellenclubs werden die Erinnerungen lebendig.
"Dann fließen schon Tränen, also nicht selten. Nicht nur bei mir, sondern bei anderen Clublern auch. Denn es ist doch eine Kameradschaft vorhanden und die verlässt man. Man weiß, dass man nicht mehr eingebunden ist in das Ganze. Ja, des tut in dem Moment schon ein wenig weh, das kann man schon sagen."
Ludwig Hahn, Ehemaliger des 'Clubs der 12 Geheimen'
Günther Hußlein nickt zustimmend – auch er kann das gut nachvollziehen. Mit 91 Jahren ist er der älteste lebende Ehemalige. Der "Club der 12 Geheimen" ist in Obertheres legendär. Es gibt jede Menge Geschichten aus allen Generationen und die erzählen sie sich immer wieder gern. Auch Anton Brand spitzt die Ohren. Er ist der Jüngste am Tisch und aktuell einer der 12 Geheimen.
Auf dem Kicker der SS
17 Jahre ist Günther Hußlein alt, als er dem Junggesellenclub beitritt, ein paar Jahre dem Zweiten Weltkrieg. Er erinnert sich gut, dass die Kriegsjahre auch für das Vereinsleben sehr schwierig waren: fünf Mitglieder sterben, zwei bleiben vermisst. Findig sind die Junggesellen schon immer gewesen. Während des Kriegs ändern sie sogar ihren Namen.
"Während des 'Dritten Reichs' hieß er 'Club der Vereinigten Musikfreunde'. Denn die SS hat einen Geheimbund vermutet. Weil alles geheim war, wurde alles verboten und sie durften so nicht mehr auftreten. Danach habt ihr wieder den ursprünglichen Namen beibehalten." Auf einem Foto von 1951 stehen sie aufgereiht vor einem großen Baum, die zwölf von damals. Günther Hußlein deutet auf den jungen Mann rechts außen. Damals tragen die Geheimen noch keine weißen, sondern karierte Hemden.
Hußlein ist einer der treibenden Kräfte, die den Club nach dem Krieg wiederaufleben lassen. In den fünfziger Jahren starten sie gemeinsame Ausflüge und treffen sich im Gasthaus Mattenheimer – beim Schorsch, dem Opa des späteren Schriftstellers Paul Maar.
Geheim, das sind bis heute die Vereinsstatuten. Und auch aus einer entscheidenden Frage wird geradezu ein Staatsgeheimnis gemacht: Wer heiratet im Club als nächster? Traut sich gar einer der zwölf im Jubiläumsjahr?
"Jede Frau träumt vom Heiraten und auch jeder Mann träumt davon. Aber wann meine Hochzeit ist, ist noch geheim. Der eine will bald heiraten, der andere später. Bei mir steht keine Hochzeit an. Ich genieße noch die Zeit im Club, aber die wird irgendwann auch ihr Ende finden. Ob das dann mit oder ohne Hochzeit ist, ist noch geheim."
Anton Brand
Geheim, geheim – das scheint hier wirklich die Antwort auf vieles. Stellt sich die Frage, ob die zwölf Junggesellen aus Obertheres vielleicht die attraktiveren Burschen auf dem Heiratsmarkt sind? "Das spricht sich natürlich auch herum, dass es eine gesellige lustige Gruppe ist und viel Spaß haben können", sagt Ex-Geheimer Hahn. "Die aber natürlich auch ihre Geheimnisse haben. Und das macht es sicherlich schon ein bisschen interessant."
Kein Geheimnis ist die Gründungsgeschichte, die regelrecht an "Romeo und Julia" erinnert. In den 1920er Jahren ist Obertheres in Ober- und Unterdorf gespalten. Die ältere Generation hat sich so sehr zerstritten, dass sie ihren Kindern verbietet, mit Jungs und Mädels aus dem jeweils anderen Dorfteil zu spielen. Einige Burschen sehen das irgendwann nicht mehr ein und treffen sich im Verborgenen. Kein Aprilscherz: Am 1. April 1923 gründen zwölf junge Männer den "Club der 12 Geheimen" und treffen sich trotz des Elternhausverbots.
Liesl, die einzige "Frau"
Heute ist der Ort vereint und die Geheimen helfen bis heute mit, dass es dabei bleibt. Zumindest sind sie sehr engagiert, stiften Sitzbänke, organisieren Feste und übernehmen Ämter in der Gemeinde. Dass die Geheimen einmal im Monat im Vereinstreff im Pfarrhof in Obertheres zusammenkommen ist ausnahmsweise kein Geheimnis. Was hinter der verschlossenen Tür passiert, aber schon!
Nur bei den Vorbereitungen dürfen wir noch dabei sein. Dominik Hartling ist 20 und als neuester Geheimer der Vereinsdiener. Eine seiner Aufgaben: den Tisch decken, samt besonderem Krug. "Ja, das ist die Liesl, die einzige Frau bei uns im Club", erklärt er. "Der ist jetzt zirka 95 Jahre alt. Den haben sie damals im 5. Jubiläumsjahr, also 1928 bekommen."
Ob Azubi oder Meister – jeder darf versuchen, in den Club zu kommen. Hauptsache aus Obertheres und Junggeselle. Einer hat das 28 Jahre lang durchgehalten –Rekord in der Geschichte der "12 Geheimen". Und wenn einer dann heiratet und raus ist, wird der freigewordene Platz nicht direkt ausgeschrieben. Bewerben kann sich ein Interessent aber – wenn man das so nennen will.
"Wenn jemand neu dazu kommt, dann kann der sich, so sag ich mal, im Vorfeld irgendwie ein bisschen präsentieren bei uns, mehr oder minder oder halt ein bisschen engagiert sein oder ein wenig um uns herumschleichen, so in der Art. Und sich immer ein wenig blicken lassen, wenn wir unterwegs sind, wie auch immer. Aber am Ende des Tages ist das unsere Entscheidung, wen wir fragen, ob er Interesse am Club hat."
Manuel Wehner, Zweiter Vorstand beim 'Club der 12 Geheimen'
Die Wahl erfolgt demokratisch. Doch wie sieht die Aufnahme jetzt genau aus? "Selbst, wenn es irgendwelche Rituale geben würde, die der Neue zu tun hat", setzt Zweiter Vorstand Wehner an, "dann wäre das wieder unter dem Part 'geheim' abgestempelt" und schmunzelt dabei. War ja klar.