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Kommentar Wieviel Identifikation muss sein? Georg Fürst und sein Badonviller Marsch

Von: Stephan Ametsbichler

Stand: 28.03.2020

Impressionen vom Einzug der Wiesnwirte beim 186. Oktoberfest in München. | Bild: BR/Max Hofstetter

Er war das akustisches Erkennungszeichen von Adolf Hitler, von den Nazis vereinnahmt und ausschließlich für ihn reserviert: der Badonviller Marsch von Georg Fürst.
Doch, warum konnte er überhaupt zu Hitlers Lieblingsmarsch werden?

Die Märsche von Georg Fürst, sie sind ein Paradebeispiel dafür, dass es nicht immer darum gehen muss, ob wir uns mit einer Musik identifizieren können oder nicht, sondern dass es auch darum gehen kann, die Geisteshaltung und die Stimmung einer Zeit, die sich in diesen Märschen widerspiegelt, kennenzulernen, einzuordnen und damit auch zu begreifen.
Die Märsche von Georg Fürst sind ein Zeitzeugnis, ein Schaufenster in eine vergangene Welt und eben auch in eine Geisteshaltung, die wir heute, 100 Jahre nach Ende des 1. WK, einfach nicht mehr teilen können und wollen. Das ist auch gut so. Dennoch müssen wir uns mit ihr auseinandersetzen. Dieser historischen Verantwortung können wir uns nicht und sollten wir uns auch nicht entziehen.
Somit geht es also nicht darum, ob wir die vielen Märsche von Georg Fürst, die aus einer gewissen pathetischen Begeisterung oder einem optimistischen Patriotismus heraus an den Schauplätzen des 1. Weltkriegs entstanden sind, gutheißen oder verteufeln. Vielmehr geht es darum das Denken und Empfinden dieser Zeitspanne in Erinnerung zu rufen und im Gedächtnis lebendig zu erhalten.

Georg Fürst schreibt kraftstrotzende Märsche

Und vielleicht sind es auch weniger der persönliche Patriotismus und Optimismus, der persönliche Nationalstolz oder die persönliche Siegessicherheit eines Georg Fürst als vielmehr der ganz allgemein in der Gesellschaft verbreitete und hochgejubelte Optimismus und Patriotismus, der nicht nur von einzelnen gesellschaftlichen Strömungen propagierte Nationalstolz und die blinde Siegessicherheit einer verbohrten politischen und militärischen Führung in den Jahren des 1. Weltkriegs, die in diesen schneidigen, raumgreifend wuchtigen, ja beinahe kraftstrotzenden Märschen von Georg Fürst so oft zum Ausdruck kommen.

Der Lieblingsmarsch von Adolf Hitler

Das hatten auch die Nationalsozialisten für sich zu nutzen gewusst. Sie hatten schnell begriffen, dass diese Charaktermerkmale, gepaart mit einer vorwärts stürmenden Melodie all das unterstrichen, was den kleinen, mausgrauen Frontsoldaten Adolf Hitler zum großen Volks-Ver-Führer hochstilisieren konnte. Perfide waren eben nicht nur die Ziele der Nazis, fast noch perfider waren ihren demagogischen Methoden, mit denen sie diese Ziele durchzusetzen.

Und so fiel ausgerechnet der Badonviller Marsch mit seinem tuschartigen Auftaktmotiv dem Naziregime zum Opfer. Fürst hatte sich zu dieser Melodiegestaltung vom Hupen der Sanitätsfahrzeuge anregen lassen, die die Verwundeten von den Schlachtfeldern nahe der lothringischen Ortschaft Badonviller abtransportierten. Als Obermusikmeister des legendären königlich bayerischen Infanterie-Leibregiments München hatte er am Rande des Gefechts den erfolgreichen Sturm auf Badonviller am 12. August 1914 hautnah miterlebt und sich entschlossen, dieses Ereignis in Noten festzuhalten. Es war der erste und beileibe nicht letzte Anlass, an den Fürst mit einem Marsch erinnerte. Am Ende hatten fast 50 Märsche ihren Weg aufs Notenpapier gefunden, die an einen besonderen Kriegsschauplatz oder an einen ihrer ‚Helden‘ erinnerten. 

Zeitgeschichte kritisch und wertfrei beleuchten

Und egal, ob wir nun ihn, den von den Nazis eingedeutschten Badenweiler spielen, oder all die anderen Märsche von Georg Fürst, wir sollten immer im Auge haben, unter welchen Umständen und in welchem Umfeld sie komponiert wurden. Damit können wir sie auch nicht einfach mal so auflegen und unbekümmert „abspulen“, wie das vor einigen Jahren mit dem Badenweiler bei einer fränkischen Kerwa passiert ist. Wenn wir ihn, oder auch all die anderen Kriegsmärsche von Georg Fürst aufs Notenpult legen, sollten wir das unter ihren originalen Titeln tun und uns auch die „Zeit“ nehmen zu sagen, warum wir sie spielen, und wir sollten auch gute Gründe dafür haben. Damit tun wir Georg Fürst und seiner Musik den größten Gefallen. Denn damit schieben wir ihn weder einfach bequem zur Seite noch verurteilen wir ihn. Dazu wären wir auch nicht berufen. Unsere Aufgabe als Musikerinnen und Musiker kann nur sein, diesen zu Unrecht vernachlässigten bayerischen Komponisten mit der nötigen Portion Aufklärung und einem unbedingt notwendigen Geschichtsbewusstsein zu „interpretieren“ und als ein Stück Zeitgeschichte kritisch und wertfrei zu beleuchten.
Wer das nicht kann oder will, sollte seine Finger von dieser Musik lassen.


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