Manfred Kern Schöne Grüße aus dem Elfenbeinturm
Als Dichter sitze er im Elfenbeinturm, sagt Manfred Kern – und dort gefalle es ihm ganz gut. "Schöne Grüße aus dem Elfenbeinturm" heißt sein neuester Gedichtband. Darin finden sich einige literarische Perlen, sagt Tanja Oppelt.
Manfred Kern aus Coburg ist als Schriftsteller ein Allrounder: Er schreibt sowohl Prosa als auch Lyrik, er schreibt in seiner Heimatmundart, dem hohenlohischen Fränkisch, aber auch auf hochdeutsch – wie in seinem neuesten Gedichtband.
Elfenbeinturm
Schöne Grüße aus dem Elfenbeinturm
wo ich auf einem froschgrünen Kanapee sitze.
Ich saß hier einst mit Rapunzel,
doch die wurde ja bekanntlich erlöst…
Immer seltener lasse ich einen Luftballon steigen,
denn so langsam geht mir die Luft aus….
Die feuerrote Propangasflasche
Neben dem froschgrünen Kanapee
Ist nach wie vor ein Anblick für Götter…
Schöner war nur noch Rapunzel,
doch die wurde ja bekanntlich erlöst…
Mit solch einem aufgeblasenen Typen
Würde ich niemals abhauen…
Ich bleibe bis zum letzten Luftballon hier…
(Auszug aus 'Schöne Grüße aus dem Elfenbeinturm')
Es ist ein trauriges und ziemlich desillusionierendes Liebesgedicht: Selbst Rapunzel, der Iiterarische Inbegriff von Einsamkeit, ist schon erlöst, nur der Dichter muss noch ganz allein in seinem Elfenbeinturm sitzen. Manfred Kern empfindet tatsächlich so: Auch er sitze als Dichter im Elfenbeinturm, sagt er. Nur mit dem Unterschied, dass es Kern in seinem selbstgewählten geschützten Raum ganz gut gefällt. Von dort aus schicke er seine Gedichte als Sendungen hinaus in die Welt.
Manfred Kern ist gelernter Buchhändler, aber schon lange hauptberuflich Schriftsteller. Keiner von denen, die den ganzen Tag am Schreibtisch sitzen; jeden Tag geht er rund um Coburg mehrere Stunden lang spazieren. Immer dabei: sein Notizbuch.
"Ich kann dabei meine Gedanken gehen lassen, ich kann mich selbst gehen lassen. Es gibt ja auch den Satz von Heiner Müller, der sagt, man schreibt mit den Füßen. Das Gehen und die Bewegung beim Schreiben ist mir sehr wichtig. Egal ob ich Prosa oder Gedichte schreibe. In der Natur können die Gedanken freien Lauf nehmen."
Manfred Kern
Irgendetwas fällt Manfred Kern immer auf: die Maserung eines Blattes, ein Sonnenstrahl zwischen Zweigen oder Vögel auf einem See. Noch beim Spazierengehen entscheidet er, ob das Motiv für einen Prosatext oder ein Gedicht taugt.
Gang im September
Weiße Winde mein Lieblingsblümchen,
ich grüße dich
mit einem Kuss auf die Lippen.
Der Engel in der Nische der Hecke,
das Köpfchen unter den Flügel gesteckt,
bewacht seinen eigenen Schlaf.
Der Windmotor treibt die Blätter der Weide an.
Als Schiffchen
Fahren sie über den Seerosenteich.
Der Alte am Hang
Klopft all seine Taschen nach Streichhölzchen ab,
aber die Zigarette bleibt kalt.
Alles greift ineinander wie Zahnrädchen.
Alles geht
seinen eigenen Gang.
(Auszug aus 'Schöne Grüße aus dem Elfenbeinturm')
In vielen von Kerns Gedichten schimmert eine leise, manchmal resignative Melancholie durch. Die Vergänglichkeit der Natur erinnere ihn daran, sagt er. Als Dichter sei er durchaus melancholisch, im täglichen Leben nicht.
Manfred Kerns Gedichte haben keinen Reim, oft haben sie nicht einmal ein Metrum. Es sind trotzdem Gedichte, denn sie haben ihren eigenen Rhythmus: Jeder Vers, jeder Absatz, jeder Zeilenumbruch ist sorgfältig komponiert.
"Die Sätze und selbst die Gedanken richten sich nach einem Rhythmus. Nicht der Rhythmus richtet sich nach dem Gedanken, sondern ich merke, dass die Gedanken in den Rhythmus hineinfließen. Wenn ich merke, der Rhythmus stimmt nicht, dann stimmt die Bedeutung des Gedichts nicht."
Manfred Kern
"Es müsste Augenöffner geben wie es Flaschenöffner gibt", schreibt Kern in einem seiner Gedichte. Manche Sätze von ihm sind präzise wie Ausrufezeichen – kleine Schätze: Als Leser freut man sich, wenn man sie findet.
Info
Der Gedichtband "Schöne Grüße aus dem Elfenbeinturm" von Manfred Kern ist im Wiesenburg-Verlag erschienen, hat 202 Seiten und kostet 17,80 Euro.
Einen reinen Lyrikband zu veröffentlichen ist immer ein wirtschaftliches Wagnis. Prosa – egal welche – verkauft sich in der Regel besser. Kerns Mut, einen 200-Seiten starken Gedichtband zu veröffentlichen, sollte belohnt werden. Natürlich gibt es auf 200 Seiten auch unbedeutende Sandkörner, aber eben auch echte Perlen – wie das Gedicht "Höllenfahrt". Es ist nicht, wie die meisten anderen seiner Gedichte, aus einer Ich-Perspektive heraus geschrieben, sondern erzählt vom Alltag einer namenlosen Frau, die als Kind vom Vater missbraucht wurde, vergeblich versucht, ihren Dämonen zu entfliehen und folgerichtig in einer gewalttätigen, übergriffigen Ehe gelandet ist.
Höllenfahrt
Mindestens einmal täglich denkt sie: Jetzt schmeiße
Ich alles hinaus und mich hinterher.
Von draußen in ein leeres Haus hinein blicken und
Dann einfach gehen. Das wäre ein filmreifer Abgang:
Sie muss auch noch Schuhe putzen und einkaufen
Und kochen und waschen und am Abend
Fickt sie ihr Mann auf dem Rücksitz des roten
Porsche in der jetzt noch leeren Garage.
Die muss sie auch noch auskehren.
Und damit fängt sie am besten gleich an.
Wenn sie nach ihrem Sternzeichen gefragt wird,
sagt sie: Sieht man das nicht, ich bin eine Jungfrau.
Und wenn sie nach ihren größten Wunsch gefragt
wird, sagt sie: ein Pferd.
(Auszug aus 'Schöne Grüße aus dem Elfenbeinturm')
Auf vier Seiten erreicht die "Höllenfahrt" eine größere Dichte, Atmosphäre und Spannung als mancher Roman. Das düstere, verzweifelte Gedicht hat nichts mit Manfred Kerns eigenem Leben zu tun, viele andere Gedichte im Lyrikband haben das schon. "Für Erna" steht über manchem Gedichten. Das ist Manfred Kerns Frau, seit 42 Jahren sind die beiden zusammen – eine Sandkastenliebe, die gehalten hat, sagt er. Aber auch wenn Kern dem Leser bereitwillig Einblicke in sein Seelen- und Gefühlsleben gewährt, die Unterscheidung zwischen den Begriffen "persönlich" und "privat" ist ihm wichtig. Persönliches gibt er preis, Privates aber nicht.