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Sehnsucht Sterne Wie Franken den Kosmos entdeckten

Welche Rolle spielten Gelehrte aus Franken bei der Erforschung unseres Universums? Und was ist von der Faszination geblieben? Eine Entdeckungsreise auf den Spuren von Regiomontanus, Simon Marius und Christoph Clavius.

Von: Tobias Föhrenbach

Stand: 28.12.2023 | Archiv

Sehnsucht Sterne: Wie Franken den Kosmos entdeckten

Matthias Gräter blickt nach oben. Klar, wohin auch sonst. Er ist Mitglied der Nürnberger Astronomischen Arbeitsgemeinschaft und Leiter der Regiomontanus-Sternwarte Nürnberg. Das Licht im Vortragssaal geht aus, eine Schwarzlichtlampe, die die Sonne verdeutlichen soll, geht an und um sie herum kreisen Kugeln unterschiedlicher Größe

"Die Planeten kreisen außen rum und der Merkur, der Innerste, der macht das relative schnell, der braucht hier nur ein paar Sekunden. In der Realität immerhin 88 Tage. Die Erde ist schon etwas länger unterwegs mit ihrem Mond, in der Realität bekanntermaßen ein Jahr - hier sind es auch nur ein paar Sekunden, aber deutlich langsamer als der Merkur. Je weiter wir nach außen kommen, desto langsamer bewegen sich die Planeten um die Sonne herum. Und unser Äußerster, den wir gerade hatten, der Pluto, der braucht in der Realität fast 250 Jahre bis er einmal um die Sonne gekreist ist. Hier im Modell ist das ungefähr eine dreiviertel Stunde."

Matthias Gräter, Leiter der Regiomontanus-Sternwarte Nürnberg

Vor Kopernikus: die Vorarbeit des Regiomontanus in Nürnberg

Pluto, ursprünglich mal der 9. Planet unseres Sonnensystems, mittlerweile ja zum Zwergplaneten degradiert, aber hier hat er noch seinen Platz, neben Neptun, Saturn und Co. Ein kleines Modell mit großer Wirkung – Prinzip verstanden. Alle Planeten kreisen um die ruhende Sonne. Das heliozentrische oder auch kopernikanische Weltbild nach Nikolaus Kopernikus, später genauer ausgearbeitet von Johannes Kepler und Isaac Newton. Ein paar Jahrzehnte bevor Kopernikus seine revolutionäre Theorie formulierte, blickte in Franken ein Wissenschaftler in den Himmel, der wichtige astronomische Vorarbeiten dazu leistete.

Regiomontanus

Regiomontanus, eigentlich Johannes Müller, war Astronom, Mathematiker und Verleger. Geboren wurde er 1436 und benannt nach dem lateinischen Namen seiner Geburtsstadt Königsberg im heutigen Unterfranken. Nach Studien in Leipzig, Wien und Italien kam er 1471 nach Nürnberg.

"Zunächst war das eine relativ rationale Entscheidung, warum er nach Nürnberg ist. Nürnberg war auch der Standort der ersten Papiermühle nördlich der Alpen. Und daher war es auch kein Wunder, dass sich um eine Papiermühle ein Druckereiwesen entfaltet. Und deswegen war das natürlich ein cleverer Schachzug dorthin zu gehen, wo er die Medien für die Distribution seiner Bücher hat."

Pierre Leich, Wissenschaftshistoriker

Wie Nürnberg an der Entdeckung Amerikas beteiligt war

Wissenschaftler wie Regiomontanus waren im hochmittelalterlichen Nürnberg also gut aufgehoben, erklärt der Wissenschaftshistoriker Pierre Leich. Die Stadt war günstig gelegen mit ihren Handelswegen und Verbindungen zu anderen wichtigen handwerklichen und wissenschaftlichen Zentren wie Straßburg, Köln oder Antwerpen. Hier, wo viele Sponsoren und neuartige wissenschaftliche Instrumente zur Verfügung standen, intensivierte Regiomontanus seine astronomischen Studien. Zu seinen wichtigsten Arbeiten zählen gedruckte Tabellen, auf denen er genaueste Vermessungen der gesichteten Planeten und Gestirne anfertigte und ihre Positionen, sowie Auf- und Untergangszeiten festhielt. Wohlgemerkt ohne Teleskop, denn dieses wurde erst gut 130 Jahre später erfunden. Diese sogenannten Ephemeriden wurden vor allem für die Seefahrt zu einer wertvollen Orientierungshilfe. Mit ihnen ging es auf zu neuen Welten.

"Das ist tatsächlich belegt, das Christoph Kolumbus bei seiner Überfahrt nach Amerika Ephemeriden von Regiomontanus benutzt hat. Es war nicht das einzige Ephemeridenwerk, aber es war eines. In der Bibliothek in Salamanca findet man ein Werk von Regiomontan mit handschriftlichen Bemerkungen von Christoph Columbus. Insoweit ist Nürnberg ein ganz klein wenig beteiligt gewesen an der Entdeckung Amerikas."

Pierre Leich, Wissenschaftshistoriker

Erste Adresse im Verlagswesen

Auch Regiomontanus zog es bald zu neuen Ufern, denn der Ruf des Papstes ereilte ihn vier Jahre nachdem er in Nürnberg angekommen war. Doch in Italien konnte er an der notwendigen Kalenderreform, an der er mitarbeiten sollte, nicht mehr mitwirken. 1476 starb er. Dass seine Arbeiten in Nürnberg nicht vergessen wurden, dafür sorgten die Mitglieder des Kreises der Renaissance-Humanisten. Zu ihnen zählte z.B. Albrecht Dürer, der später die ersten gedruckten Sternkarten herausbrachte, und Bernhard Walter, der als Schüler Regiomontans auf dem Balkon des Dürerhauses eine eigene kleine Sternwarte errichtete und die Himmelsbeobachtungen von dort weiterführte. Nürnberg blieb auch im Verlagswesen erste Adresse, hier erschien 1543 zum ersten Mal das richtungsweisende Hauptwerk des Kopernikus in Druck.

Eine Sternwarte fürs Volk

Matthias Gräter führt ein paar Steinstufen hinauf in ein Zwischengeschoss der Regiomontanus-Sternwarte, die sich auf dem Nürnberger Rechenberg befindet. Mitten in der Stadt – für eine Sternwarte nicht der beste Standort, wie Matthias Gräter zugibt. Aber:

"Die Sternwarte wurde 1931 gebaut. Da war das hier noch nicht Stadtgebiet, die Stadt ist außen rum gewachsen. Das ist der eine Grund und der andere ist schlicht: man wollte damals schon eine Volkssternwarte haben."

Matthias Gräter, Leiter der Regiomontanus-Sternwarte Nürnberg

Hier steht also nicht die astronomische Forschung allein im Mittelpunkt, sondern auch die Einladung an die ganz normale Bevölkerung, einen genauen Blick in den Himmel zu werfen. Dazu stehen allerlei Gerätschaften zur Verfügung, museale Stücke wie über 100 Jahre alte Linsenteleskope, oder die weitaus leistungsstärkeren, modernen Spiegelteleskope.

Christoph Clavius aus Bamberg: der "Euklid des 16. Jahrhunderts"

Der Blick auf andere Galaxien war für die Wissenschaftler des 16. und 17. Jahrhunderts noch kein Thema. Sie beschäftigten sich lieber mit dem Blick auf das eigene Sonnensystem. Denn zu dieser Zeit mehrten sich die Anzeichen, dass die bisherigen Vorstellungen über die Planetenbewegungen Unstimmigkeiten aufwiesen. Mitten drin: ein Jesuitenpater aus Bamberg.

Clavius

Christoph Clavius, 1538 in Bamberg geboren. Er war später Chefmathematiker im Collegium Romanum in Rom. Seine Arbeiten verliehen ihm den Beinamen "Euklid des 16. Jahrhunderts".

"Das Collegium Romanum war die führende katholische Hochschule. Dort sind Lehrpläne erarbeitet worden, die in allen europäischen katholischen Hochschulen bearbeitet wurden. Er war eine ganz maßgebliche Figur und hat im Bereich der Mathematik sehr viel geleistet. Dass einzelne Werke von ihm 300 Auflagen erlebt haben und über sieben Generationen Schulstoff waren, zeigt schon, welche Position er innerhalb der Mathematik hatte."

Pierre Leich, Wissenschaftshistoriker

Der führende Kopf hinter dem gregorianischen Kalender

Und nicht nur das – Papst Gregor der 13. setzte im Jahr 1582 eine schwerwiegende Kalenderreform in Kraft. Es ging um die Ablösung des von Julius Cäsar eingeführten julianischen Kalenders, der Ungenauigkeiten aufwies. Der Frühlingsanfang hatte sich über die Jahrhunderte immer weiter verschoben, weil das Sonnenjahr länger als das julianische Jahr war. Und da nach dem ersten Vollmond im Frühling das Datum für Ostern errechnet wurde, verschob sich auch das kirchliche Fest. Man sprang also kalendarisch 11 Tage nach vorne, um die Zeit wieder einzuholen. Frühlingsanfang nach dem fortan gregorianischen Kalender war seitdem wieder der 21. März.

In Nürnberg wurde Ostern zweimal gefeiert

Um diese astronomischen Berechnungen vorzunehmen und durchzusetzen berief Papst Gregor eine Kommission ein. Führender Kopf des Ganzen: Christoph Clavius, der diese Reform gegenüber der heftigen Kritik seitens der Protestanten, die sich überrumpelt fühlten, verteidigte.

"Der gregorianische Kalender ist schon als ein Mittel der Räsonierung der Protestanten eingesetzt worden, das muss man ganz klar so sagen. Und deswegen war es für die Protestanten bekanntlich unannehmbar und in Nürnberg gab es dann später auch zweimal die Situation, dass Ostern zu zwei verschiedenen Zeitpunkten gefeiert wurde. Katholiken und Protestanten haben unterschiedlich gefeiert, weil die Protestanten sich geweigert haben, den katholischen Papstkalender anzunehmen. Und das ist dann ja auch erst um 1700 geschehen. Um eben die protestantischen Stände zu gewinnen – bei den katholischen konnte der Papst es ja verordnen – war Clavius beauftragt worden. Und er hat getan, was möglich war."

Pierre Leich, Wissenschaftshistoriker

Der Mann für die heiklen Angelegenheiten

Ein Unterfangen, das aufgrund der zu großen konfessionellen Zerwürfnisse zum Scheitern verurteilt war. Der Dialog geriet ins Stocken. Dennoch: Der Bamberger Christoph Clavius war, so hat es den Anschein, der Mann in Rom für die heiklen Angelegenheiten. So pflegte er einen regen, wissenschaftlichen Austausch mit dem für die Kirche unbequemen Galileo Galilei. Die ersten Linsenteleskope, die Galilei noch selbst baute, ermöglichten genaue Beobachtungen, aus denen schnell heftige Streitigkeiten entbrannten. Der Kampf um die Deutungshoheit nahm zu.

"Die verschiedenen Vorstellungen – wer in der Mitte der Welt ist und wie sich die Planeten bewegen, die war gerade Anfang des 17. Jahrhunderts durchaus munter und ist erst dann zu einem Streitpunkt geworden, als Galilei darauf beharrte, dass er in der Lage wäre, die Bibel richtig zu interpretieren. Und deswegen gab es tatsächlich wissenschaftliche Diskussionen, die Clavius in Rom mit dem jungen Kollegen Galileo Galilei geführt hat."

Pierre Leich, Wissenschaftshistoriker

Das Ende des geozentrischen Weltbilds

Das bisher von der katholischen Kirche proklamierte geozentrische Weltbild, nachdem sich alles um die Erde drehe, geriet ins Wanken. 1611 bestätigt eine Wissenschaftsgruppe, angeführt durch Christoph Clavius, die richtungsweisenden Beobachtungen von Galileo Galilei.

Simon Marius, Hofastronom in Ansbach

Während in Florenz und Rom Galileo Galilei mit den neuen technischen Möglichkeiten von einer revolutionären Erkenntnis zur nächsten stürmte, blickte in Ansbach zeitgleich ein Hofastronom in den Himmel, der bald zu einer tragischen Figur werden sollte: Simon Marius. Und das lag auch an dem italienischen Shootingstar Galilei.

Simon Marius

Simon Marius, 1573 in Gunzenhausen als Simon Mayr geboren. Ausgebildet in Prag und Padua. 1605 wurde er vom Ansbacher Markgrafen als Hofastronom angestellt.

"Simon Marius ist wirklich eine tragische Gestalt. Er hat einfach Pech gehabt. Er war sogar der erste Astronom außerhalb der Niederlande, der vom Teleskop erfahren hat, weil sein Förderer Fuchs von Bimbach auf der Frankfurter Messe ein Instrument angeboten bekommen hat. Das war bereits 1608, also extrem früh. Nur hatte das Instrument einen Riss in der Linse, es war also unbrauchbar. Sie haben dann in Ansbach versucht, eines nachzubauen mit Nürnberger Linsenmachern. Das hat aber nicht geklappt. Deshalb hat er noch einmal viel Zeit verloren."

Pierre Leich, Wissenschaftshistoriker

Simon Marius – von Galileo Galilei als Plagiator beschimpft

Zeit und Raum. Vielleicht wurde ihm genau dies zum Verhängnis. Denn hätte Simon Marius aus seinen Beobachtungen die richtigen Schlüsse gezogen und hätte er sie damals schneller veröffentlicht, vielleicht wäre sein Name heute in aller Munde, statt der von Galilei. Was war geschehen? Jupiter war geschehen bzw. gesehen und mit ihm seine Monde, die ihn umkreisten. Gesichtet von Marius und Galilei zur gleichen Zeit. Der Italiener erkannte die Gunst der Stunde und ging schnell an die Öffentlichkeit.

"Er hat am 7. Januar die erste Beobachtung gemacht und schon im März hat er sein Buch 'Sidereus Nunsicus', die Sternenbotschaft, veröffentlich, mit der er alles bekannt machte. Damit ist er zu einer europäischen Berühmtheit geworden. Und der gute Simon Marius hat in etwa zur gleichen Zeit das Jupiter-System beobachtet. Ich glaube sogar, er hat ein bisschen eher damit begonnen, aber etwas länger gebraucht, bis ihm völlig klargeworden ist, was da ist."

Pierre Leich, Wissenschaftshistoriker

Mit der Geschwindigkeit Galileis konnte Simon Marius nicht mithalten. Seine Veröffentlichung über die Sichtung der Jupiter-Monde erschien deutlich später, aber da er die Entdeckung der Monde zur gleichen Zeit wie Galilei beanspruchte, entbrannte ein heftiger Streit darüber. Der Italiener war nicht bereit, den Ruhm zu teilen und bezichtigte seinen Kollegen des Plagiats. Keine Zugeständnisse. Simon Marius – ein Plagiator! Ein Vorwurf, der haften blieb, denn Galileis gewichtiges Einschreiten zerstörte den Ruf des Ansbacher Wissenschaftlers nachhaltig, erklärt Pierre Leich, Vorsitzender der Simon Marius-Gesellschaft.

Das tychonische Weltbild

Heute weiß die Forschung es besser, beide Astronomen müssen die Entdeckung der Jupiter-Monde unabhängig voneinander gemacht haben. Die Konsequenzen jedoch, die sie daraus zogen, unterschieden sich erheblich. Denn während Galileo Galilei weitere Beweise für das kopernikanische Modell mit der Sonne im Mittelpunkt sah, entschied sich Simon Marius für einen Kompromiss. Die Erde ruhe weiterhin im Zentrum der Welt, die weiteren Planeten aber umkreisten die Sonne, nicht mehr die Erde, so Marius. Dieses sogenannte tychonische Weltbild (benannt nach dem Astronomen Tycho Brahe) vertrug sich besser mit der Bibel. Noch ein Grund für Galilei, Simon Marius zu missachten. Immerhin, eine Entdeckung darf sich Marius ans Revers haften: als Erster bekam er den Andromedanebel vor sein Fernrohr.


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