Erschreckende Normalität Rechtsextremismus im ostdeutschen Alltag
Alte Leute zum Arzt chauffieren, Müttern mit kleinen Kindern helfen – die Rechtsradikalen in Ostdeutschland sind als freundliche Kümmerer zur Stelle. So kommt die NDP in die Kommunalparlamente, so steuern Neonazis Vereine, deshalb finden viele die Rechten sympathisch. Sie sollen das sozial engagierte Deckmäntelchen abgeben für die Schlägertrupps. Mit dieser Taktik haben es die Rechtsradikalen in die Mitte der Gesellschaft gebracht.
Glatze, Hakenkreuztattoo und Springerstiefel: Die tumben Bierbüchsenglatzen galten lange als Klischee vom schlichten Neonazis. Doch die Szene hat sich verändert. Menschen mit rechtsradikalem Gedankengut treten heute weniger offensichtlich in Erscheinung - die Szene ist vielfältiger, der rechte Rand unschärfer geworden.
Mit kommunaler Arbeit zum Wahlerfolg
Rechtsextreme Einstellungen sind viel weiter verbreitet als es NPD-Wähler und Mitglieder gibt. 2010 vertraten rund acht Prozent (insgesamt 6,4 Millionen) der Deutschen rechtsextreme Ansichten. Dazu haben auch NPD und rechtsextreme Kameradschaften beigetragen. Vorpommern mit der ehemaligen Kreisstadt Anklam haben sie zu ihrem Aufmarschgebiet erklärt. In den Dörfern haben sie oftmals längst die Wertehoheit erlangt. Bargischow, ein paar Kilometer von Anklam entfernt, kam in die Schlagzeilen, als der Bürgermeister den rechten Jugendlichen den Schlüssel zum Jugendclub gab. Dass die dort Wehrsportübungen und politische Schulungen abhielten, taten die meisten der Dorfbewohner als Jugendflausen ab. Diejenigen, die den Finger hoben, wurden als Nestbeschmutzer beschimpft und nicht die, die die schlechten Schlagzeilen ausgelöst hatten.
Das zeigt einmal mehr: Sie bewegen sich inmitten der Gesellschaft, setzen auch auf soziale Themen und verwässern die Grenzen zwischen Rechtsradikalismus und Konservatismus. Abwassergebühren, Gentechnik, Kita-Plätze und Umweltschutz: Vor Ort geben sich Nazis gerne bürgernah. In Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern war Kommunalpolitik für die NPD ein wichtiger Baustein auf dem Weg in die Landtage.
Kümmerpartei mit Spendierhose
Mit sozialen Themen, vermeintlicher Bürgernähe und konkreter Nachbarschaftshilfe haben sich die Rechtsextremen in vielen ländlichen Regionen in den neuen Bundesländern den Ruf einer "Kümmerpartei" erworben. Auf Usedom haben sie dem Jugendclub vor ein paar Jahren öffentlichkeitswirksam einen Flachbildfernseher spendiert. Der Sozialarbeiter schämt sich heute noch, dass er das Geld angenommen hat. Aber, fragt er auch, warum kommt keiner von den demokratischen Parteien jemals dort vorbei und kümmert sich. Nicht mit Geld. Einfache Aufmerksamkeit würde schon reichen.
Demokratische Lücke
Im Osten gibt es auch durch diese demokratische Lücke Dutzende von Orten, wo sich rechtsextreme Strukturen verfestigt haben, wo Neonazis auf wenig Widerstand, dafür aber umso mehr Wohlwollen und auch Zustimmung stoßen. Vielfach lähmt allerdings auch Angst das Engagement der Menschen. Denn auch wenn es gewalttätige Übergriffe wie in den 90er Jahren lange Zeit nicht gab - wenn sie wollten, könnten und würden sie wieder zuschlagen, daran lassen die Mitglieder der rechten Szene und die Erkenntnisse nach den Terror-Aktionen der NSU keinen Zweifel.
Imageverbesserung durch die Frauen
Vor allem die Frauen sorgen für reibungslose Organisation. Weil sie unauffälliger sind, also scheinbar ungefährlich, mieten sie Räume für Versammlungen und Konzerte, eröffnen Konten und Postfachadressen, verkaufen rechte Waren oder melden Aufmärsche an, drängen die Elternvertretungen von Kindergärten und Schulen. Die Partei will weg von dem Klischee der Männerpartei, der Militanz des militanten Auftretens hin zu einer „wählbaren Politikalternative“. Die NPD-Strategen haben die wachsende Bedeutung nationalistisch denkender Mädchen und Frauen erkannt. Die weiblichen Anhänger sollen der radikalen Partei nicht nur zur Imageverbesserung verhelfen, sondern insgesamt zur Stabilisierung der Szene beitragen. Mittlerweile ist es so, dass weit über ein Drittel der Neumitglieder weiblich sind.
Elternsprecherin und Schöffin
Ines Schreiber aus dem sächsischen Strehla ist eine Vorzeigefrau für diese Strategie. Die Hausfrau und Mutter zweier Söhne wirbt aus Überzeugung mit viel Freundlichkeit und ehrenamtlichen Engagement für ihre völkischen Ideen. Die Strehlaer finden überwiegend freundliche Worte für sie. Sie war Elternsprecherin in der Grundschule und ist immer noch Schöffin am Amtsgericht. Einstimmig gewählt vom Stadtrat der Kleinstadt. Die NPD jubelte hinterher über diesen Erfolg, sie seien in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das ist es, was sie wollen, was die NPD den Kampf um die Köpfe nennt. Das ist ihre Strategie zum Erfolg. Da sind sie schon sehr weit gekommen. Bis in die Mitte der Gesellschaft.