Bürgermeister "Mein Platz ist hier"
Walther Tröger ist seit mehr als fünfzig Jahren Sportfunktionär, war Präsident des Deutschen Olympischen Komitees. Als Bürgermeister des olympischen Dorfes lebte er während der Wettkämpfe mitten unter den Athleten - und wurde zu einem der wichtigsten Ansprechpartner, nachdem palästinensische Terroristen israelische Sportler als Geiseln genommen hatten.
BR.de: Was bedeutete es, Bürgermeister des olympischen Dorfes zu sein?
Walther Tröger: Begegnungen mit Menschen wahrzunehmen und zu fördern und dadurch auch internationale Beziehungen zu stärken. Ich habe selbst in meiner Jugend viel Sport getrieben. Die Werte des Sports faszinieren mich immer noch: Fairness, Begegnungen, die körperliche Fitness. Und genau das ist auch die olympische Idee.
BR.de: Welche Aufgaben hatten Sie während der Spiele?
Walther Tröger: Vor allem habe ich die Gäste betreut. Das bedeutete zum Beispiel, 160 Mannschaften einzeln mit einer Flaggenzeremonie zu begrüßen. Ich war aber auch für die Sicherheit der Athleten verantwortlich.
BR.de: Inwieweit haben Sie das Sicherheitskonzept mitgeplant?
Walther Tröger: Wir haben viel über die Unterbringung der israelischen Athleten gesprochen und drei Angebote ausgearbeitet. Eines davon haben sie dann ausgewählt. Insgesamt haben wir darauf geachtet, dass Nationen, die Konflikte untereinander hatten, nicht nebeneinander einquartiert wurden.
BR.de: Wie war die Stimmung im olympischen Dorf?
Walther Tröger: Hervorragend! Das lag auch an den Möglichkeiten, die erstmals in einem olympischen Dorf geboten waren: Wir konnten einkaufen, ins Kino gehen und picknicken. Es gab sogar eine Kirche, die für alle Konfessionen offen war. Bis zum 5. September waren alle heiter. Eine Besonderheit muss ich noch erwähnen: Die Frauen durften zwar überall hin, aber die Männer durften das Frauendorf nicht betreten.
BR.de: Am 5. September kletterten Terroristen über den Zaun des olympischen Dorfs, erschossen den Ringer-Trainer Mosche Weinberg und den Gewichtheber Josef Romano und nahmen neun Athleten als Geisel. Wie hat sich Ihre Rolle an diesem Tag verändert?
Walther Tröger: Um halb sechs morgens bekam ich einen Anruf, es sei etwas im israelischen Quartier passiert. Der Polizeipräsident hat mir dann berichtet, dass es eine Geiselnahme gab und mindestens einen Toten. Wir hatten aber viel zu wenige Informationen. Wir wussten weder, wie viele Geiseln, noch wie viele Terroristen da drin waren. Der Sprecher der Terroristen, der sehr gut deutsch sprach, setzte gegen sieben Uhr ein Ultimatum. Die Israelis sollten an die 300 Palästinenser freilassen und die BRD die Bader-Meinhoff-Gruppe. Aus irgendwelchen Gründen wollten die Geiselnehmer nur mit dem Bürgermeister des olympischen Dorfes verhandeln. Ich habe zwölf Mal mit ihnen verhandelt und war bis zum Schluss dabei. Meine Aufgabe war es, die Ultimaten immer wieder zu verlängern. Die Terroristen drohten, die Geiseln zu erschießen, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt würden.
BR.de: Die Terroristen wurden später zu einem Flugplatz in der Nähe gebracht und wollten von dort mit den Geiseln nach Kairo fliegen wollten. Wie haben Sie darauf reagiert?
Tröger: Wir wollten die Geiseln keinesfalls aus unserem Land herauslassen, weil es unsere Gäste waren. Wir mussten alles versuchen, um sie zu befreien. Auf dem Weg zum Flugplatz oder noch dort wollten wir das mit Gewalt lösen. Es gab dann zwei Hubschrauber für uns und zwei für die Terroristen und Geiseln. Ich wurde aufgefordert, mitzufliegen, was ich aber ablehnte. Ich habe gesagt: Ich werde alles beobachten, aber ich fliege nicht mit. Mein Platz ist das olympische Dorf.