Klick! Dieter Rehm fotografiert Arrete la radio!
Wer Jazz hört, guckt meist auch Rehm: Der Fotograf entwarf das optische Erscheinungsbild des Labels ECM, das im Haus der Kunst 2013 groß gefeiert wurde. Hier erzählt der Memminger, wie alles anfing.
Dieter Rehm ist Fotokünstler, Klangenthusiast und das Auge von ECM
Er war ein echter Fan. Um dem Sound seines Lieblingslabels auf die Spur zu kommen, jobbte er als Student im Plattenlager von ECM. Zum visuellen Mastermind der wichtigsten Jazzproduktion Deutschlands wurde er, weil er auf den Autofahrten nach München aus dem Handgelenk Fotos schoss. Im Februar 2014 wählte die Akademie der Bildenden Künste den Memminger Fotoprofessor erneut zum Präsidenten.
BR.de: Dieter Rehm und ECM - wie haben sich die beiden gefunden?
Dieter Rehm: Es ging 1977 damit los, dass ich erkannt habe, dass es mit meiner eigenen Virtuosität auf der elektrischen Gitarre und der elektrischen Violine nicht so weit her ist. Dafür habe ich die Musik von Ralph Towner und John Abercrombie geliebt – diesen ECM-Klang, den jemand mal „the most beautiful sound next to silence“ genannt hatte. An dieser Ästhetik wollte ich unbedingt mitwirken und habe Reproduktionen meiner Gemälde an ECM geschickt – keine Antwort.
Dann habe ich mir erlaubt, mit ein paar Dias in der Tasche selber bei Chefgrafikerin Barbara Wojirsch vorbeizuschauen. Sie hat dann ein ganz minimalistisches Foto entdeckt, dem ich kaum Bedeutung zugemessen hatte – Himmel mit Kondensstreifen. Das wurde mein erstes Cover.
BR.de: Wie bebildert man Musik?
Dieter Rehm: Das ist tatsächlich interessant, weil man es mit drei Ebenen zu tun hat: der Musik selbst, der Covergestaltung und dem Plattentitel, der auch wieder Assoziationen weckt. Diese Spannung wollte ich im Auge behalten. Man kannte ja damals ganz andere Plattencover – die Jazzfotos von Blue Note zum Beispiel. Barbara und Burkhard Wojirsch haben da eine völlig neue, reduzierte Ästhetik entwickelt, für die ich dann die Bilder inszeniert habe. Was mich besonders gereizt hat war, dass ein Plattencover genau wie die Platte zwei Seiten hat – für mich war die Rückseite immer genauso wichtig wie die Vorderseite.
BR.de: Wenn man Ihre Cover anschaut: Es geht ganz oft um Autos und das Unterwegs sein. Kraftwerk waren kurz vorher mit "Autobahn" weltberühmt geworden. War das ein spezielles deutsches Zeitgefühl in diesen Jahren?
Dieter Rehm: Nicht nur ein deutsches. Es gab ja auch diesen Canned Heat Song "On the road again", der immer noch gut zu hören ist. Man darf nicht vergessen: Man war im Auto ja gleichzeitig in Bewegung durch die Welt und von ihr abgeschnitten, wie in einem Faradayschen Käfig. Man konnte sich auf seinen eigenes Ich konzentrieren. Dazu kam dann die Musik, die aus dem Autoradio kam – oder das, was die Anlage so hergab.
BR.de: Die Serie heißt "Arrete la radio!". Warum französisch?
Dieter Rehm: Übersetzt heißt das "Mach doch das Radio aus!" und spielt auf eine gewisse Stresssituation an, die beim Fahren entstehen kann, wenn der Hagel gegen die Windschutzscheibe knallt. Die Kratzer in der Emulsion ergeben ja auch Störungen im Bild. Das hat nichts mehr mit schöner Landschaft zu tun, sondern macht ein bisschen unruhig. Französisch ist es, weil mir der Titel einfiel, als ich zur internationalen Triennale der Fotografie in Fribourg unterwegs war.
BR.de: Interessant ist ja auch, dass Weltstars des Jazz sich mit Landschaften präsentieren, die bei uns ums Eck aufgenommen wurden. Dass sich amerikanische Pat Metheny Fans vielleicht die Frage stellen, ob auf der Hülle von "New Chautauqua" das im Staat New York oder das in Illinois zu sehen ist.
Dieter Rehm: Tatsächlich war es das New Chautauqua zwischen Zürich und Memmingen, meiner Heimatstadt. Ich habe ein Plakat für das Art Ensemble of Chicago im Sandwich-Verfahren so weiterentwickelt, dass Pat Metheny als negative Silhouette über einer Autobahn schwebt. Das Ganze etwas grünlich durch die Verwendung eines Kunstlicht-Films und mit einem komplementärroten Rand.
BR.de: Und wie haben die Jazzer reagiert?
Dieter Rehm: Da sprechen Sie was an. Das war das erste Album, für das ich selber als Gestalter verantwortlich war, und Pat Metheny war gar nicht glücklich. Er hatte für seine hochsensible Gitarrenmusik eigentlich romantische Wolkenbilder rausgesucht, eine Sequenz aus drei Bildern mit ganz anderer Information. Er wollte nicht, dass es bei Warner Brothers in Amerika so rauskommt. Manfred Eicher hat mich dann aber darin unterstützt, dass man manchmal etwas machen muss, was die Musik nicht unterstreicht, sondern eine Gegensprache bringt. In meinen nächsten 1650 Covers ist mir sowas nicht mehr passiert. Die Musiker wußten, dass sie bei ECM eine eigene Coverästhetik bekommen.
BR.de: Heute gibt es nur selten noch neue Rehm-Cover. Warum?
Dieter Rehm: Da fehlt mir die Zeit. Ich mache heute ja auch ganz andere Fotos. Ein bisschen hat's bei mir einen Einbruch gegeben, als die CD sich durchgesetzt hat. Das Format lässt mir zu wenig Raum. Nebenbei: Ich finde es auch nicht schön, dass das Bild hinter Plexiglas liegt.