Fernweh: Wandern und Bergsteigen im Piemont Der große Weitwanderweg GTA und der Dreitausender Monviso, der „König aus Stein“
In der Antike galt der 3841 Meter hohe Monviso sogar als höchster Berg der Alpen: Kaum ein anderer Gipfel überragt seine Umgebung derart hoch und eindrucksvoll wie dieser graubraune Felsklotz in den Südalpen. Von der Poebene aus wirkt es so, als ob der Monviso praktisch unmittelbar über das Flachland aufsteigt. Und der Po, Italiens größter Fluss, entspringt am Fuß des Berges, dort, wo sich mit dem Pian della Regina und dem Pian del Re, die Ebene der Königin und des Königs befinden.
Wirtschaftliche Aufbauarbeit
Wie das ist, auf dem Monviso zu stehen, auf dem von überallher sichtbaren Berg, das haben wir ausprobiert. Der Blick reicht über den ganzen Südalpenbogen, vom Monte Rosa bis zu den letzten Alpenbergen über Nizza. Diesen großen Bogen durchläuft auch die GTA, die Grande Traversata delle Alpi, einer der ersten großen Fernwanderwege, der in diesem oft menschenverlassenen Gebirge der piemontesischen Alpen auch ein Stück wirtschaftlicher Aufbauarbeit leisten soll und das auch tut.
Menschen mit Pioniergeist sind gefragt
Die Geschichte der piemontesischen Alpen ist daher nicht nur eine Geschichte des Auszugs der Menschen, die es in den 1960er und 70er Jahren vorzogen, in den Zentren um Turin und Mailand zu arbeiten und zu leben. Sie ist auch die Erfolgsgeschichte eines umwelt- und sozialverträglichen Tourismus, eines der überzeugendsten Beispiele im ganzen Alpenraum. Menschen mit Pioniergeist sind geblieben oder neu dazugekommen. Ein Beispiel ist das Dorf Ostana im Tal des Po. Von dort sieht nicht nur der Monviso besonders majestätisch aus, sondern auch im Dorf selbst ist viel davon zu spüren, was das Leben in diesem abgelegenen Teil der Alpen ausmacht.
Piemont in vielen Facetten
Georg Bayerle hat das Piemont mehrfach bereist und portraitiert das Dorf Ostana ebenso wie die Region um den Monviso. Ingrid Wolf erzählt im Fernweh-Magazin von der Besteigung des Gipfels und dem eindrucksvollen Wolken- und Gipfelmeer um ihn herum. Immerhin überragt der Monviso die umliegenden Gipfel um mindestens 500 Meter. Hoch zu Ross erkundet Andrea Zinnecker die Region Monferrato an der Grenze zum „Appenino Ligure“, den Ligurischen Seealpen. Zu Wort kommt auch Alpenforscher Werner Bätzing, der vor mehr als 30 Jahren einen umfassenden Wanderführer zur GTA geschrieben hat. Dank der dadurch entstandenen Attraktivität hat das Piemont als eines der größten Entsiedelungsgebiete der Alpen Anschluss an einen naturnahen Tourismus gefunden. In verschiedenen Tälern an der GTA, wie zum Beispiel im Maira-Tal in den südlichen Cottischen Alpen, konnte die Abwanderung gestoppt und so manches Dorf wiederbelebt werden.
Beim Wandern Abstand vom Alltag gewinnen
Rückblickend bilanziert Werner Bätzing, dass sein Projekt eine Reihe von dezentralen Arbeitsplätzen geschaffen habe an Orten, wo es bisher wenig Tourismus gegeben habe. Im Maira-Tal ist nach dem Erfolg der GTA ein Rundwanderweg eingerichtet worden. Die Etappen der „Percorsi occitani“ – so der Name des regionalen Rundwegs – sind leichter und weisen weniger Höhenmeter auf als die der GTA. Der langjährige Professor für Kulturgeographie an der Universität Erlangen-Nürnberg verweist darauf, dass durch die einheimischen Initiativen, kombiniert mit dem Engagement von neu Zugereisten Naturlandschaft erhalten und auch ein Skigebiet verhindert wurde. Werner Bätzing sagt: „Es ist eines der besonderen Wandererlebnisse, dass man nicht nur die Landschaft sieht, sondern auch abends die Produkte der Landschaft auf dem Teller hat.“ Für ihn als Wissenschaftler und Bergsteiger macht dieses Zusammenspiel den besonderen Reiz des Wanderns im Piemont aus. Und das Weitwandern schätzt er auch deshalb, weil er dabei Abstand zum Alltag gewinnt: „Viele Dinge, die im Alltag eine drängende Wirkung haben, werden auf einmal unwichtig.“
Von Kastanien-Minestrone bis zum Sambucaner Lamm
Ein Pionier in der Entwicklung der GTA ist Bartolo Bruna, ein Patron wie aus dem Bilderbuch, der mit seiner Familie die Osteria de la Pace im Bergdorf Sambuco im Valle Stura bewirtschaftet und seit 1974 als Allererster einen Posto Tappa, eine Etappenunterkunft betreibt. Mit dem Gemüsegarten vor dem Haus und ganz in der Tradition der ländlichen piemontesischen Küche. Alle Produkte stammen aus dem Tal und werden frisch zubereitet: Kastanien-Minestrone, Gnocchi oder Agnolotti, die piemontesische Form der Ravioli mit unterschiedlichsten Füllungen. Die größte Spezialität aber ist das Sambucaner Lamm, langsam geschmort in einer Barolo-Soße und mit Kräutern verfeinert. Die Söhne Bartolos betreiben die Dorfbar gleich Tür an Tür und sind ebenso wie ihr Vater passionierte Skitourengeher. Bei Salami, Wein und Käse gibt es die besten Tourentipps gleich obendrauf. Ein Stück weiter nördlich im Valle Po ist auch der Posto Tappa auf dem Pian della Regina ein besonderes Ziel.
Im gleichen Haus hat die Chefin Elisa Tarasco ihren Laden: Die Chemiedoktorin aus Turin, ihr Mann, der Wirt der Gastwirtschaft und deren Tochter sind die einzigen ganzjährigen Einwohner des kleinen Bergdorfs auf 1700 Meter Höhe. Vor dem Haus hat Elisa ihren Garten mit alpinen Heilpflanzen, vom Edelweiß bis zum Lavendel. Sie verarbeitet die Ernte zu Tees, Kräuteressenzen und Kosmetikprodukten. Viel sinnlicher lässt sich der Wert der alpinen Naturprodukte kaum erleben als an solchen Orten, wo sich die Aromen der Landschaft direkt in der Kulinarik und in Seifen und Cremes wiederfinden.