Großbritannien Reiches Land wird arm
England - ein reiches Land. So reich, dass sogar die Queen mit ihrem Vermögen nur auf Platz 262 der reichsten Briten landet.
Das Geld konzentriert sich an einem Ort…der City von London, der Finanzmetropole Europas. Hier arbeitet die reiche Elite.
Aber es gibt noch ein anderes England: Ein England, das verarmt, mit Tagelöhnern und Billigjobbern, mit Familien, deren Einkommen nicht fürs tägliche Leben reicht. Britische Studien kommen zum Ergebnis, dass sich die Zahl der Haushalte unter der Armutsgrenze in den letzten 30 Jahren verdoppelt hat.
Dies zeigt sich unter anderem an der explodierenden Zahl an Foodbanks. Das sind lokale Ausgabestellen von Lebensmitteln für Bedürftige. 2009 gab es davon nur eine Handvoll in England, 2015 schon über 1000 solcher Lebensmitteltafeln.
Hugh Mc Neil leitet das Lebensmittel-Lager in Coventry. Er kennt seine Leute und weiß, dass nicht nur Arbeitslose zu ihm kommen.
"Ein Beispiel: jemand braucht sein Auto, um zur Arbeit zu fahren. Und dieses Auto bricht zusammen. Und nun kostet die Reparatur so viel, wie er sonst für seine Lebensmittel ausgibt. Da bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als zu uns in die Foodbank zu kommen, weil er ja sein Auto für die Arbeit braucht. Und genau solche Fälle haben wir im letzten Jahr immer häufiger gesehen, und zwar in einer Zahl, die uns echte Sorgen macht."
Hugh Mc Neil, Foodbank Trussel Trust in Coventry
Menschen in einer Lebenskrise
Betroffen sind überwiegend Familien. Lee ist mit seinen beiden Söhnen das zweite Mal bei einer Foodbank. Von einer offiziellen Stelle musste er sich zuvor bestätigen lassen, dass er auch wirklich bedürftig ist. Viele die, auf die Foodbank angewiesen sind, stecken wie Lee in einer akuten Lebenskrise.
"Vor etwa sechs Monaten haben sich meine Freundin und ich getrennt. Jetzt muss ich mich um die beiden Kinder kümmern. Wir waren kurz davor in ein neues Haus gezogen, das noch gar nicht richtig eingerichtet ist. Wegen der beiden musste ich meine Arbeit aufgeben und bin auf staatliche Unterstützung angewiesen. Das ist eine echte Katastrophe für mich. Die Foodbank ist eine echte Unterstützung für mich. Ich wüsste nicht, wie ich sonst meine Kinder mit Essen versorgen könnte. Deshalb bin ich hier."
Lee
Lee bekommt drei Essenspakete zusammengestellt: eines für ihn und je eines für seine beiden Kinder. Jedes davon enthält Nahrungsmittel für drei Tage. Die Foodbank darf er nur bis zu drei Mal in Anspruch nehmen, so die Regel; weiteres gibt es dann nur noch mit Sonderantrag. Abhängigkeiten sollen auf diese Weise vermieden werden, und die Betroffenen zu mehr Eigeninitiative gezwungen werden.
Mehr als eine Million Engländer haben im vergangenen Jahr ein solches Essenspaket von einer der Foodbanks der größten Stiftung erhalten, 400.000 davon waren Kinder.
Schwer getroffen: Mittelengland
Im ehemaligen Industriegürtel Mittelenglands ist es besonders schlimm. Zudem hat die Regierung Cameron die Mehrwertsteuer erhöht und die Sozialausgaben gesenkt. In Coventry ist regelrechte Armut ausgebrochen.
"Hier in der Region leben 21 Prozent der Kinder unterhalb der Armutsgrenze. Der Landesdurchschnitt in England beträgt 18 Prozent, und bei uns in Coventry sind es sogar 23 Prozent. Das ist schockierend! Auch in Birmingham, unserer Nachbarstadt, gibt es ganze Familien, die auf Foodbanks angewiesen sind."
Faye Abbot, Stadträtin Stadt Coventry
Großbritannien gilt als reiches Land - nach der Statistik. Aber der Reichtum konzentriert sich nur auf einige wenige. Die unteren Einkommen hingegen sind so gering, dass auch diejenigen, die in Arbeit stehen, von Armut bedroht sind. Das Geld reicht einfach nicht für ein Leben mit Haus, Auto und Familie. Ein Drittel aller Haushalte kann sich nicht mehr das notwendigste an Kleidung, Lebensmittel und Heizung leisten. In Deutschland sind es halb so viele.
Notwendige Hilfe
Und so sind sie angewiesen auf die Lebensmittelausgabe einer Sozialstation. Jeder dritte, der hier ansteht, hat Arbeit, aber sein Einkommen reicht nicht aus. Allein in Coventry, mit 320.000 Einwohnern etwa so groß wie Augsburg, gibt es 16 Foodbanks. Hugh Mc Neil weiß, wie notwendig sie sind, denn er war selbst schon auf sie angewiesen.
"Ich war selbständig, ich hatte ein Restaurant. Leider musste ich schließen. Meine Frau und ich, wir haben alles verloren, denn wir hatten alles in unser Restaurant gesteckt, auch unser Haus. Beim Arbeitsamt sagte man mir dann, dass ich überhaupt keine Sozialleistungen bekommen würde, denn ich hatte in die falsche Sozialversicherung eingezahlt. Ich hatte kein Geld und kein Essen. Meine Frau fand einen Teilzeitjob, der wenigstens ein bisschen was brachte. Aber ich hatte keine Wahl und musste zur Foodbank."
Hugh Mc Neil
Armut nimmt zu
Die extreme Zunahme der Armut macht auch vielen besser Gestellten Sorgen. Sie sehen, dass die Lebensmitteltafeln immer wichtiger werden. Viele geben Geld oder Sachspenden und halten damit das System am Laufen.
"Wir sollten das eigentlich nicht nötig haben, aber es muss sein. Wir geben auch Nahrungsmittel an die Foodbanks, wenn wir mal zu viel haben. Sie sind froh darüber und wir können jemand anderem helfen."
Ein Mann
"Leider gibt es heutzutage immer mehr Leute, denen die Nahrungsmittelpreise zu schaffen machen, denn die steigen in England immer weiter. Wo man früher 50 Pfund in der Woche für Lebensmittel ausgegeben hat, sind es heute über 100 Pfund."
Ein anderer Mann
Die Löhne der unteren und mittleren Einkommen dagegen sind sehr viel weniger gestiegen. Hugh Mc Neil verdient als Manager des Warenlagers der Foodbank auch nicht viel. Aber er macht seine Arbeit mit Leidenschaft.
"Ich glaube wirklich an das, was wir hier tun, als Wohltätigkeitsorganisation. Ich habe ja selbst erlebt, was das für mein Leben bewirkt hat. Und ich erlebe, was es bei anderen Menschen bewirkt. Deshalb engagiere ich mich so sehr für dieses Projekt."
Hugh Mc Neil, Foodbank Trussel Trust in Coventry
Am meisten aber wünscht er sich, dass seine Arbeit hier eines Tages überflüssig sein wird.