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Ein radikalisierter Deradikalisierer? Beratungsstelle kooperierte mit mutmaßlichem IS-Sympathisanten

Seit ein paar Jahren fördert der Bund verstärkt Beratungsstellen, um Ausreisen zum IS zu verhindern. Auch ein junger Mann sollte davon profitieren. Aber: Mit Wissen und Unterstützung der Beratungsstelle HAYAT-Deutschland ging er nach Informationen von BR Recherche mit einem Salafisten und mutmaßlichen IS-Unterstützer nach Spanien.

Von: Sabina Wolf, Joseph Röhmel und Ingo Lierheimer

Stand: 13.09.2017 | Archiv

Hesham Shashaa alias Abu Adam, Logo von HAYAT Deutschland auf einem Prospekt | Bild: picture-alliance/dpa, BR, Montage: BR

Eine aus Bundesmitteln mitfinanzierte Beratungsstelle vermittelt einen radikalisierten jungen Mann an einen Prediger. Ausgerechnet an einen den Sicherheitsbehörden bekannten Salafisten. Der Prediger geht mit dem jungen Mann nach Spanien und kassiert von der Beratungsstelle sogar Geld für seine angebliche Deradikalisierungsmaßnahme. Wie ist es dazu gekommen?

Bekannter Prediger in München und Leipzig

Hesham Shashaa alias Abu Adam gibt sich als Mann des Friedens.

Rückblick: Hesham Shashaa alias Abu Adam ist aus München und Leipzig bekannt. In Videos gibt er sich als Mann des Friedens, als einer, der junge Menschen davon abhält, sich islamistischen Terrorgruppen anzuschließen. Weltweit sei er als Extremismusbeauftragter seines Vereins Darul Quran unterwegs, erzählte er. Und in einem Video prahlte der Prediger, 10.000 Menschen habe er allein in Deutschland von ihren radikalen Gedanken abgebracht.

Verbindung zum IS?

Ausgerechnet der Friedensstifter und Deradikalisierer wurde im April auf seinem spanischen Anwesen in der Provinz Alicante festgenommen, wo er mit seiner großen Familie zeitweise lebte. Die Behörden in Spanien sagen, Shashaa habe für den "Islamischen Staat" rekrutiert. Zudem habe er IS-Kämpfern und deren Familien geholfen, nach Europa zu kommen. Auch habe er sie mit Geld und Ausweisdokumenten versorgt.

Untersuchungshaft in Spanien

In Spanien treffen wir Tono Calleja, einen investigativen Journalisten mit Verbindungen in spanische Sicherheitskreise. Laut seinen Quellen sind belastende Fotos aufgetaucht. Sie sollen den Prediger in Syrien oder dem Irak gemeinsam mit Dschihadisten zeigen:

"Unsere Quellen sagen, dass diese Menschen sehr bekannte Personen in der Welt des IS in Syrien und im Irak sind. Wir wissen nicht, wer sie sind. Nur so viel: dass es wichtige Mitglieder der Kampfeinheit des IS sind, mit einem großen Ruf - wenn man das über Mörder so sagen kann."

Tono Calleja, spanischer Journalist

Wollte Hesham Shashaa Menschen vom IS befreien? Für die spanischen Behörden höchst zweifelhaft, weswegen der Prediger schon seit über vier Monaten in Untersuchungs-Haft sitzt.

"Falsche Anschuldigungen"

Es ist unklar, ob die Vorwürfe der spanischen Behörden letztlich zur Anklage führen. Enge Wegbegleiter Shashaas sprechen jedenfalls von absurden und falschen Anschuldigungen. Eines ihrer Hauptargumente: Der IS hat den Prediger Anfang des Jahres in einem Magazin abgebildet und sogar zu dessen Tötung aufgerufen. Darin heißt es: "Tötet den Abtrünnigen Hesham S., den Agenten der Kreuzzügler (…). Er arbeitet offensichtlich mit den Kreuzzüglern zusammen und hilft ihnen bei ihren angeblichen Islamismus-Aussteigerprogrammen." Als wir den bisherigen spanischen Anwalt des Imams mit den Vorwürfen konfrontieren, erklärt er, dass er nicht mehr für Shashaa zuständig sei. Sein deutscher Anwalt bestätigt dies und spricht pauschal von falschen Vorwürfen gegen den Imam.

Unter Beobachtung des Verfassungsschutzes

Hesham Shashaa gilt schon lange als ein Salafist mit extremistischen Tendenzen.

Fakt ist: In Deutschland beobachten Verfassungsschutz und Polizei Shashaa schon seit Jahren. Noch nie haben sie etwas gefunden, was nahelegen würde, er sympathisiere mit Terror. Doch als eines galt Shashaa schon immer – als ein Salafist mit extremistischen Tendenzen. Shashaa, so heißt es in Sicherheitskreisen, halte vielleicht Menschen auf dem Weg nach Syrien ab. Aber er agiere wie der Führer einer Sekte, werde von seinen Anhängern ehrfurchtsvoll oft nur "der Sheikh" genannt. Er sei ein Opportunist, richte Menschen auf sich ab, manipuliere sie und vermittele ihnen ein Weltbild abseits westlicher Werte. Der bayerische Verfassungsschutz etwa erkannte in seinen Predigten eine erkennbare Herabstufung der Frau und die Forderung, sich von den Ungläubigen zu distanzieren.

Radikaler Deradikalisierer

Die Beratungsstelle HAYAT-Deutschland ist in die Kritik geraten.

Deshalb schien es eigentlich undenkbar, dass der Prediger eines Tages als Deradikalisierer einer staatlich geförderten Stelle wirken könnte - für die Reintegration radikalisierter Menschen eher ein Hindernis als ein Gewinn, so schien es. Nun aber ist die Beratungsstelle HAYAT-Deutschland in die Kritik geraten. Seit 2012 hat sie mehr als 900.000 Euro vom Bund kassiert. Ausgerechnet diese Stelle hat nach Informationen von BR Recherche zumindest in einem Fall mit Shashaa zusammengearbeitet und direkt an ihn Spendengeld überwiesen.

"Ein Salafist, aber einer von den Guten"

Wir treffen die Mutter eines Islamkonvertiten. Sie ist darüber empört, dass HAYAT-Deutschland ihren Sohn dem Salafisten Shashaa zugeführt hat. Vor etwa drei  Jahren fürchtete die Mutter, ihr Sohn könnte sich dem IS anschließen. Die Beratungsstelle, so die Mutter, sah in Shashaa den geeigneten Helfer für Gegenmaßmaßnahmen:

"Und ja, ich sollte nicht erschrecken, wenn ich ihn sehe. Er wäre zwar ein Salafist, aber einer von den Guten."

Mutter eines Islamkonvertiten

Shashaa erwarb das Vertrauen des jungen Mannes. Er ging mit ihm nach Spanien. Laut HAYAT-Deutschland sollte der damals 21-Jährige raus aus dem Umfeld, das ihn radikalisiert hatte. Spanien war für die Beratungsstelle ein geeigneter Fluchtpunkt. Nur stellt sich die Frage: War man sich bei HAYAT-Deutschland wirklich einig über diese Maßnahme? Im Nachhinein erscheint diese eher wie ein konzeptloses und intern wenig diskutiertes Experiment.

10.000 Euro Schulgeld

Auf einer internationalen Schule sollte der junge Mann sein Abitur machen. Problem allerdings: Die Schule verlangte 10.000 Euro pro Jahr. HAYAT-Deutschland brachte in vier Raten 5.780 Euro aus Spendengeldern auf, überwies das Geld direkt an den Prediger. Der gab der Schule das Geld und zahlte laut der Beratungsstelle die restliche Summe aus eigener Tasche. Das funktionierte im ersten Jahr. Im zweiten Jahr konnte das Schulgeld nicht mehr bezahlt werden.

Vernachlässigung statt stabiler Familie

Der junge Mann musste die Schule verlassen. Bis heute fühle er sich ausgenutzt, betrogen und allein gelassen, wie er bei einem Treffen erzählt. BR Recherche macht ihn in Spanien ausfindig. Warum er nach drei Jahren immer noch dort lebt, das möchte er nicht öffentlich machen. (Anmerkung der Red.: Dem BR sind die Gründe bekannt, warum der junge Mann nach drei Jahren noch in Spanien lebt. Es sind keine Gründe, die Sicherheitsbehörden betreffen).

Anfangs war Hesham Shashaa wie ein Vater für den jungen Mann. Er habe ihn auch von seinen radikalen Gedanken abgebracht, berichtet er, aber ihn dann fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel. Warum, das fragt er sich bis heute. Seine Mutter vermutet, dass ihr Sohn dem Prediger eben nicht hörig genug erschien, er dem "Sheikh" zu viele Fragen stellte.

Der junge Mann in Spanien im Interview | Bild: BR

"In Deutschland hat der Imam gesagt, er wolle mir eine stabile Familie geben. Aber dann hat er mich in Spanien in eine Wohnung mit Schimmel an den Wänden gebracht. Der Kontakt ist dann irgendwann komplett abgebrochen."

Der junge Mann, mit dem der Prediger nach Spanien gegangen ist

Am Anfang habe der Prediger ihm gelegentlich alle sechs Wochen noch 50 Euro zugesteckt, berichtet der junge Mann. Aber auch das habe irgendwann aufgehört. Er sei depressiv geworden und total abgesackt, habe angefangen, Alkohol zu trinken.

Kein Besuch von HAYAT-Deutschland

Er habe sich verzweifelt an Hayat gewandt. Aber bis auf ein paar Mails sei nichts passiert. Die Leiterin der Beratungsstelle, Claudia Dantschke, betont dagegen, der Kontakt sei nie abgerissen. Auf Nachfrage räumt sie ein, dass Mitarbeiter ihrer Organisation nie in Spanien selbst nach dem Rechten geschaut haben:

"Das konnten wir nicht, weil das Geld fehlte. Es gab zwei Journalisten, die dort waren. Und wir haben uns auch so ein bisschen - das waren ja Fachjournalisten - drauf verlassen. Und wir haben natürlich auch Abu Adam auch da vertraut."

Claudia Dantschke, Leiterin von HAYAT-Deutschland

In Bayern dagegen war das Misstrauen von Anfang an groß. Von 2006 bis 2012 predigte Shashaa in München. Bei einer Razzia in seiner Moschee Darul-Quran stellten Beamte eine Schrift sicher, in der das Schlagen von Frauen legitimiert wird. Insgesamt 30 Stück der gleichen Ausgabe. Der Prediger sagte später dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", er habe die Schrift nur gelesen, um radikale Muslime besser zu verstehen. Wirklich?

Ein etwas anderes Bild vermittelt eine Verhandlung vor dem Münchner Verwaltungsgericht aus dem Jahr 2011. Damals wurde einem Marokkaner die deutsche Staatsbürgerschaft verweigert, weil er sich eben in jener Moschee von Hesham Shashaa engagiert hatte. In seiner Begründung berief sich das Gericht unter anderem auf den bayerischen Verfassungsschutz. Laut diesem hielt Shashaa zwei Tage nach der Durchsuchung in der Moschee eine Predigt über Verräter. Er habe davon gesprochen, dass diese tief in der Hölle schmoren würden. Einzelne Muslime würden durch ihr Verhalten Zwietracht in der muslimischen Gemeinschaft säen. Wer Informationen an die Behörden weiterleite, sei mit einem Bruder gleichzusetzen, der das Fleisch seines muslimischen Bruders esse.

Auch BamF distanziert sich

Aufgrund derartiger Berichte erschien auch anderen deutschen Behörden eine Zusammenarbeit zwischen der Beratungsstelle HAYAT-Deutschland und dem Prediger höchst fragwürdig. Unter anderem dem Verfassungsschutz Sachsen sowie dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BamF), das Fälle an Beratungsstellen wie HAYAT-Deutschland verweist.

"Das Bundesamt hat, unmittelbar nachdem ihm die Zusammenarbeit mit Abu Adam bekannt wurde, gegenüber Hayat deutlich gemacht, dass es Abu Adam für einen nicht geeigneten Kooperationspartner in der Beratung islamistisch radikalisierter Personen hält."

Mitteilung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BamF)

Aber, so schränkt das BamF ein, "der direkte Kontakt zu Ratsuchenden oder den sich radikalisierenden Personen wird in der Fallbearbeitung durch die Beratungsstelle jeweils eigenverantwortlich und situativ im Sinne des auf den Einzelfall ausgerichteten, individuellen Settings organisiert". Ist hier ein Fehler im System? Ist der Austausch zwischen Behörden und Trägern wie HAYAT-Deutschland ausreichend oder fehlen Kontrollmaßnahmen? Wie offensichtlich im Fall des jungen Mannes, den der Prediger nach Spanien gebracht hat.

"Besonderer Zugang zu radikalisierten Jugendlichen"

Die Leiterin von HAYAT-Deutschland, Claudia Dantschke, beteuert, sie habe nur in einem Fall mit Shashaa zusammengearbeitet. Vor dem Berliner Senat allerdings schwärmte sie noch im Jahr 2015, Abu Adam sei ein Mann, der viel über seinen Glauben wisse, deshalb habe er auch einen besonderen Zugang zu den radikalisierten Jugendlichen. Sie arbeite mit ihm in Einzelfällen zusammen.

Für den jungen Mann war diese Kooperation eine große Enttäuschung. Für ihn ist Abu Adam ein Schwindler und Opportunist, unterstützt von einer aus Bundesmitteln finanzierten Beratungsstelle.


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