BR-München 130 Kilometer täglich mit reiner Muskelkraft
Der Klima-Gipfel von Paris erinnert uns wieder daran: Die Konzentration der Treibhausgase steigt, das Klima erwärmt sich, Gletscher schmelzen. Ohne Zweifel: Wir müssen unser Verkehrsverhalten ändern.
Morgens früh, kurz nach sechs, Epfenhausen, Landkreis Landsberg: Thomas Schechinger startet durch. 64 Kilometer liegen vor ihm - sein täglicher Weg zur Arbeit nach München. Eine Genussfahrt durch das bayerische Voralpenland. Noch ist kaum Verkehr.
Die ersten 30 Kilometer sind nun geschafft, alles aus eigener Muskelkraft, ohne Motor. Was aussieht wie ein Miniauto, ist in Wirklichkeit ein Liegerad mit drei Rädern und Carbon-Verkleidung.
"Puhh… Ich fahr das ganze Jahr, außer es liegt Schnee auf der Straße, dann wäre es mir zu mühsam, und es wäre auch zu gefährlich dann."
Thomas Schechinger, Velomobil-Fahrer
Auf über 60 Stundenkilometer kommt er, viel schneller als mit einem Rennrad, denn das Liegerad mit Verkleidung in Stromlinienform hat einen geringeren Luftwiderstand. Und im Liegen lässt sich die Kraft optimal umsetzen. Je näher er der Großstadt kommt, umso dichter wird der Verkehr und umso gefährlicher!
"Die Hauptprobleme sind die aggressiven Autofahrer, die mich bedrängen und überholen, wenn sie auch sehen, dass das überhaupt nichts bringt. Und das Wetter und so - das lässt mich kalt."
Thomas Schechinger, Velomobil-Fahrer
Immer wieder staunt er, wie viele Autos an ihm vorbei drängen – manche fotografieren ihn sogar beim Überholen. Einen richtig schlimmen Unfall hatte er Gott sei Dank noch nicht - die Karosserie bietet einen gewissen Schutz. Durch die Wärme der eigenen Bewegung braucht er auch im Winter keine Heizung; im Innenraum ist es warm.
Wieder einmal Glück gehabt! Ohne Panne hat Thomas Schechinger sein Ziel erreicht: Der 58-Jährige ist Berufsmusiker, er spielt die Bass-Klarinette im Polizeiorchester Bayern.
"Und machen Sie ein bisschen mehr Crescendo hin zum Thema, okay?"
Dirigent
"Für mich ist es ganz normal eigentlich, dass ein Musiker im Polizeiorchester, bei dem so individuelle Fähigkeiten auch gefordert sind, so ein ganz außergewöhnliches, fast verrücktes Hobby hat, und dass er dort genauso erfolgreich ist wie beim Musizieren hier, liegt eigentlich auf der Hand. Und ich finde das ganz ganz toll und phantastisch."
Prof. Johann Mösenbichler, Chefdirigent Polizeiorchester Bayern
Ganz egal also, ob Orchester oder Sport: Ein Musiker, der das Extreme liebt. Wenn er eine Leidenschaft entdeckt hat, dann betreibt Thomas Schechinger sie auch intensiv.
Gemeinsam mit anderen Velomobil-Freaks ist er im Sommer an den Lago Maggiore geradelt. Auch einen Weltrekord hat er schon aufgestellt! Auf einer Rennstrecke ist er in einer Viererstaffel 24 Stunden durchgefahren – insgesamt 1470 Kilometer. Im Durchschnitt erreichte er 61 Stundenkilometer! Und das alles ohne Motor, mit 18 Gängen, ähnlich wie bei einem Rennrad, und viel eigener Energie. Damit fährt er sogar Steigungen von bis zu 12 Prozent.
"Das ist die Lenkung. Hier sind die zwei Schalthebel für den hinteren Umwerfer und vorderen Umwerfer. Das ist die Bremse - das Allerwichtigste; das steuert zwei Trommelbremsen an, rechts und links."
Thomas Schechinger, Velomobil-Fahrer
Seit drei Jahren fährt er nun schon täglich Velomobil. 10.000 Euro hat ihn seine Spezialanfertigung gekostet. Dazu kommt das regelmäßige Warten: Die häufigen Reifenwechsel sind teuer.
"Dann kontrolliere ich immer die Reifen. Wichtig ist, dass man auch die Speichenspannung nachkontrolliert, ob keine gebrochen ist."
Thomas Schechinger, Velomobil-Fahrer
Den Umstieg vom Auto auf das Velomobil hat Thomas Schechinger nicht bereut. Auch wenn sich seine Familie oft Sorgen macht, er selbst schätzt die Bewegung als Ausgleich zum langen Sitzen im Orchester.
Kommentieren
O. Osterholt, Montag, 18.Januar 2016, 22:56 Uhr
9. Fagott und nicht Klarinette
Nach kurzer Suche musste ich feststellen, dass Nici wohl eher Fagott als Klarinette spielt. 'tschuldigung - der Rest stimmt aber. Habe selbst mir ihr kurz vor Weihnachten noch darüber gesprochen ....
O. Osterholt, Montag, 18.Januar 2016, 22:49 Uhr
8. Nachbarin
Vielleicht hätte man/frau noch erwähnen sollen, dass seine Nachbarin Nicola Walde (ebenfalls Weltrekordhalterin), die im gleichen Orchester Klarinette spielt, auch seeehr häufig mit ihrem Velomobil diese Strecke zurücklegt? Wäre eigentlich nur fair gewesen ...
Robert Frischemeier, Montag, 18.Januar 2016, 08:25 Uhr
7. Respekt
Ich fahre seit 7 Jahren täglich knapp 100 km mit dem Velomobil zur Arbeit. Übersehen wurde ich noch nie, oft aber von wilden Autofahrern an gefährlichen Stellen rücksichtslos mit unzulässiger Geschwindigkeit überholt. Einigen Autofahrern ist es scheinbar nicht zuzumuten hinter einem nur mit Muskelkraft bewegtem Fahrzeug zu fahren. Es gibt aber auch viele freundliche, begeisterte und rücksichtsvolle Verkehrsteilnehmer.
Für 130 km am Tag zolle ich Thomas meinen vollen Respekt!
Severin Freischütz, Montag, 18.Januar 2016, 05:51 Uhr
6. Interessanter Bericht - leider zu kurz
Hallo,habe den Bericht gesehen,sehr interessant auch aus wissenschaftlicher Sicht.
Für solche Tempi mit vielleicht 150 oder 200 Watt brauchts einen außerordentlich niedrigen cw- bzw. cwa-Wert. Das schauts dem Fahrzeug erst gar nicht an und da steckts wohl viel Ingenieursarbeit drin!
Ob die Fahrzeuge im Straßenverkehr nicht sichtbar sein sollen, halte ich aus eigener Erfahrung und als aufmerksamer Autofahrer für sehr zweifelhaft. Übersehen ist weniger eine Frage des Sehens als des gesehen-werden könnens. Und da bemühen - schauts nach München, Regensburg oder Nürnberg! - sich die Kommunen sehr darum, Radfahrer mehr in den Blick des Geschehens zu rücken. Ich als Geschäftsreisender bin aufs Auto angewiesen, aber wenns wenig zu transportieren gibt und eine Dusche da ist, finde ich das sehr interessant. Wieviel Mühe sich die Menschen machen, um sich fit zu halten. Mit sowas kriegt man Fitness und schnelles Vorankommen unter einen Hut!
Mit freundlichen Grüßen, S.Freischütz
Johannes, Sonntag, 17.Januar 2016, 20:50 Uhr
5.
Sehr schöner Bericht, vielen Dank hierfür! Hoffentlich bekomme ich dieses schnittige Fahrrad auch mal live zu sehen - übersehen werde ich es definitiv nicht ;)