Dachau Das Lager, von dem jeder wissen konnte
Am 22. März 1933 eröffneten die Nationalsozialisten in Dachau ihr erstes Konzentrationslager. Mehrere Zehntausend Häftlinge kamen darin um. Nach dem Krieg wurde in Dachau behauptet, man habe von dem Ort des Grauens nichts gewusst. Die Fakten sprechen dagegen, meint ein Historiker.
Gegner des NS-Regimes, Kommunisten, engagierte Christen, Juden, Sinti und Roma, Zeugen Jehovas, Homosexuelle - bei allen, die ihnen nicht genehm waren, wussten die Nazis sofort nach ihrer Machtübernahme am 30. Januar 1933, wohin mit ihnen: in Konzentrationslager. Das erste wurde schon knapp zwei Monate später, am 22. März, im oberbayerischen Dachau eröffnet - als Prototyp: "In Dachau ist die Lagerordnung für alle späteren KZ erfunden worden", so der Historiker Wolfgang Benz. Nach Dachau wurden zunächst Menschen aus dem politischen Widerstand - vor allem Kommunisten und Sozialisten - gebracht.
Wie Sklaven wurden die Gefangenen dort gehalten, um im Straßenbau oder in Kiesgruben und später für die Rüstungsproduktion eingesetzt zu werden. Die Arbeit sollte "erschöpfend sein, um ein Höchstmaß an Leistung zu erreichen", schrieb Oswald Pohl, Leiter des SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamts, in zynischem NS-Bürokratendeutsch. Pohl wurde 1951 als verurteilter Kriegsverbrecher in Landsberg am Lech hingerichtet.
Mehr als 40.000 Tote
Die Arbeit im KZ Dachau war so erschöpfend, dass dort - den Lagerunterlagen zufolge - bis Kriegsende etwa 32.000 Gefangene umkamen. Die ersten wurden schon drei Wochen nach der Eröffnung ermordet. Im Ausstellungskatalog der KZ-Gedenkstätte ist sogar von mehr als 41.500 Toten die Rede, da viele Einzelexekutionen und die Erschießung tausender russischer Kriegsgefangener in den Lagerunterlagen unerfasst blieben. Außerdem kamen mehrere hundert Gefangene ums Leben, als die SS angesichts der nahenden US-Armee im April 1945 7.000 Häftlinge in die berüchtigten "Todesmärsche" südlich von München trieb.
In den zwölf Jahren der NS-Herrschaft waren im KZ Dachau insgesamt mehr als 200.000 Menschen aus ganz Europa eingesperrt. Doch auch nachdem die 42. US-Infanteriedivision das Lager am 29. April 1945 befreite, hatte das Sterben noch kein Ende. Viele Häftlinge waren so geschwächt, dass sie nach Kriegsende starben.
"Die KZ-Eröffnung stand in der Zeitung"
Und keiner will von diesem Ort des Grauens gewusst haben, wie es im Nachkriegsdeutschland immer wieder hieß? Nicht einmal in Dachau und Umgebung? Für Wolfgang Benz kaum vorstellbar: "Man kann nicht sagen, die Bevölkerung habe es nicht gewusst oder es habe Anzeichen gegeben, dass sie es nicht billigt". Der ehemalige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung weist darauf hin, dass Errichtung, Eröffnung und Betrieb des Lagers öffentlich gewesen seien. "Das stand in der Zeitung, dass jetzt im März 1933 ein KZ errichtet wird, in dem Kommunisten und Sozialdemokraten und auch andere Leute ordentlich arbeiten lernen, wo sie durch eine strenge und harte Erziehung der Volksgemeinschaft irgendwie wieder als nützliche Glieder zugeführt werden sollen. Artikel, in denen mit Häme und Hohn darauf hingewiesen wurde, gab es in der lokalen Presse immer wieder", so Benz.
Zudem gab es dem Historiker zufolge auch Ereignisse, an denen die Bevölkerung Anteil nehmen konnte: "Es gab - das war im Jahr 1934 - ein Konzert der SA-Kapelle vor dem Lagerzaun, die Häftlinge mussten das anhören, die Bevölkerung durfte kommen und hat sich das angeschaut. Die Bevölkerung sah also die Häftlinge, anschließend gab es einen Umzug, der Kommandant hoch zu Ross vorneweg, durch die Stadt Dachau", so Benz.
Der lange Weg zur Gedenkstätte
Die Stadt Dachau tat sich lange schwer mit ihrer besonderen NS-Vergangenheit. 1955 forderte ein Dachauer Landtags-Abgeordneter sogar, das ehemalige KZ-Krematorium für die Öffentlichkeit zu schließen. Es bedurfte erst einer Initiative von ehemaligen KZ-Häftlingen, der "Comité International de Dachau", um das frühere Lager 1965 in eine Gedenkstätte zu verwandeln. Heute wird sie von jährlich 800.000 Gästen besucht. "Damit ist Dachau die meistbesuchte KZ-Gedenkstätte in Deutschland", sagt deren Leiterin Gabriele Hammermann.