DokThema Galgenfrist für den Ökokiller: Die unendliche Glyphosat-Story
Man hat es in menschlichem Urin gefunden. In Seen und Flüssen wird es nachgewiesen. Und in manchen Nahrungsmitteln. Glyphosat. Doch: Was macht dieses Unkrautvernichtungsmittel mit uns? Diese Frage entzweit Politik und Experten. Die Verbraucher sind sich einig: Es muss weg. Und die Bauern? 18 Monate beträgt die Galgenfrist von der EU. Und dann?
Neueste Meldung vom 11.07.2016:
Brüssel (epd). Die EU hat den Gebrauch des umstrittenen Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat beschränkt. An bestimmten Orten wie Kinderspielplätzen muss die «Anwendung minimiert» werden, erklärte die EU-Kommission am Montag in Brüssel. Daneben dürfen sogenannte POE-Tallowamine nicht mehr in Glyphosatprodukten enthalten sein, außerdem soll der Einsatz vor der Ernte genauer kontrolliert werden. Zuvor hatten sich die Vertreter der EU-Regierungen im zuständigen Ausschuss für Pflanzen, Landwirtschaft, Futtermittel und Lebensmittel auf die von der Kommission vorgeschlagenen Beschränkungen geeinigt. Diese gelten für bis zu anderthalb Jahre.
Schädlich oder nicht schädlich? Krebserregend oder völlig harmlos? Tödlich für die Tierwelt oder doch die einzige Chance, die wachsende Menschheit zu ernähren? Glyphosat ist seit Monaten in aller Munde: Es gibt Studien, Gegenstudien, geheime Studien, Einschätzungen und Gegeneinschätzungen, Befürworter und Gegner. Die einen sprechen von einer unfassbaren Verharmlosung aus wirtschaftlichen Interessen, die anderen von einer unhaltbaren Propaganda und Panikmache. Gerade hat das umstrittene Herbizid Glyphosat von der EU in letzter Minute eine 18-monatige Galgenfrist bekommen. In dieser Zeit soll die europäische Chemikalienagentur Echa ihre Bewertung vorlegen. Auf dieser Grundlage soll dann entschieden werden.
Was? Wie? Wo?
Was ist Glyphosat?
C3H8NO5P - so lautet die chemische Formel für Glyphosat, das zu der Gruppe der Phosphonate zählt. Ein Herbizid, Bestandteil vieler Unkrautvernichter. Seit 1974 ist Glyphosat auf dem Markt – und mittlerweile ist es das am häufigsten eingesetzte Pestizid weltweit. Denn es ist billiger als jedes andere Herbizid. Gerade zu Beginn wurde Glyphosat gefeiert – ersetzte es doch auch Wirkstoffe, die ins Zwielicht geraten waren. Nun steht es selbst im Fokus der Diskussionen.
Wie wirkt Glyphosat?
Glyphosat tötet Pflanzen bis in die letzte Wurzel hinein, indem es die Aufnahme eines gewissen Enzyms blockiert, das die Pflanzen zum Wachsen benötigen. Ohne Unkraut wird der Ernteertrag deutlich größer und die ganze Pflege des Ackers deutlich erleichtert. Die Nutzpflanzen können durch Gentechnik mit einer Resistenz gegen Glyphosat ausgestattet werden.
Wie wird Glyphosat eingesetzt?
In Deutschland wird Glyphosat vor allem vor der Saat auf die Äcker gesprüht, denn das erspart das Pflügen, weil sämtliches Unkraut und Gräser zuverlässig vernichtet werden. Der Einsatz von Glyphosat sei – laut Befürworter - auch besser, da die Erosion angeblich kleiner würde. Einige Jahre wurde Glyphosat auch zur „Sikkation“ eingesetzt: Dabei wird Getreide und Raps kurz vor der Ernte auf dem Feld chemisch getrocknet. Dieser Einsatz zur Arbeitserleichterung wurde in Deutschland im Jahr 2014 sehr deutlich eingeschränkt. Ganz verboten ist er immer noch nicht.
Gefahr erkannt ...?
Doch es gibt schon jetzt eine Menge Studien, die von der Glyphosat-Gefahr sprechen. Und Menschen, die diesbezüglich Beobachtungen gemacht haben. Alles nur Einbildung? Hier einige Beispiele.
Verdachtsmomente & versteckte Probleme
Der Wanderschäfer
Immer wieder werden Schafe seiner Herde krank. Schwerkrank. Die meisten verenden innerhalb kurzer Zeit. Und Hermann Stadler hat schon lange einen Verdacht: Es könnte daran liegen, dass auf manchen Weiden, auf denen seine Schafe grasen, Unkrautvernichter gespritzt wurde. Genauer gesagt Glyphosat. Dabei müssen die Schafe nicht einmal in einer frischbehandelten Fläche landen: Selbst, wenn sie die Gräser fressen, die bereits gelb geworden sind, erkranken sie laut Hermann Stadler. Doch man glaubt ihm nicht. Er bilde sich das nur ein. Der Wanderschäfer versucht nun selbst Schadensbegrenzung zu betreiben - doch gerade im Frühjahr geraten seine Tiere immer wieder auf frischgespritzte Weiden. Erkennen kann man die mit bloßem Auge nicht. Eine Zwickmühle: Der Schäfer ist existenziell abhängig davon, dass seine Tiere auf fremden Weiden grasen dürfen. Und da der Einsatz von Glyphosat vollkommen legal ist, kann er beim Thema Glyphosat nicht auf die Bauern einwirken. Und so wird er wohl immer mal wieder zusehen müssen, wie eines seiner Tiere verendet, sagt er.
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„Die magern in der Regel ab, trauern – also lassen die Ohren hängen -, man sieht, dass ihnen wirklich was weh tut. Es sind wenige Schafe, die das überleben. Wahrscheinlich liegt es an der Menge, an dem, was sie aufgenommen haben. Das dauert zwischen drei Tage und zwei Wochen bis die dann verenden.“ Hermann Stadler, Wanderschäfer über das Krankheitsbild, das seine Schafe entwickeln
Die Naturschützerin
Immer wieder melden sich beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. Anwohner von Feldern, die davon berichten, dass sie oder ihre Tiere Schäden durch das Ausbringen von Glyphosat auf die nahen Felder hätten. Doch es gibt bislang keine systematischen Untersuchungen dazu, ob tatsächlich Glyphosat der Auslöser der beschriebenen Beschwerden ist. Mehr Forschung zum Thema wäre ein wichtiger erster Schritt – doch laut Heike Moldenhauer scheint kein großes Interesse seitens der Politik da zu sein. Sie äußert sogar den Verdacht, dass sich die Behörden zu Komplizen der Industrie machen, die ihre Produkte natürlich weiterhin verkaufen wollen. Eigentlich müsste die Entscheidung laut ihrer Ansicht klar sein: Glyphosat muss verboten werden.
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„Da stehen sich zwei Meinungen gegenüber und die EU-Kommission sagt nicht das, was sie sagen müsste: Im Zweifel für das Vorsorgeprinzip - und im Zweifel keine Wiederzulassung.“ Heike Moldenhauer, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V.
Die Aktivistin
Im Laufe der Jahre vermisste Sybilla Keitel immer mehr von den Tieren, die sie sonst rund um ihr Zuhause kannte: die großen Heupferdchen, die vielen Schmetterlingsarten, die dicken Hirschkäfer, die Salamander – alle waren verschwunden. Als ihr dann auch noch ein Imker erzählte, wie schlecht es um die Bienen steht, ist sie zu einem nahegelegenen Tümpel gegangen, um zu sehen, wie es hier aussah. Der ehemals extrem lebendige Tümpel war tot. Kein Geräusch war zu hören. Eine tote, stinkende Pestizid-Brühe, sagt sie. Als sie bei Behörden nachfragte, wie das sein kann, bekam sie die Auskunft, dass für Oberflächengewässer andere Grenzwerte als für das Trinkwasser gelten: Sie sind teilweise um das hundert- wenn nicht tausendfache höher, erklärt sie. Und das, obwohl doch genau hier Tiere leben. Seitdem kämpft sie - und ist nach ihrer Aussage „zornig auf die Drückeberger, die unsere Welt ruinieren“. Und die Ausreden, warum manche Tierarten sterben – die kann sie längst nicht mehr hören. Für sie gibt es einen klaren Schuldigen: die Pestizide.
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„Was mich aufregt an der ganzen Debatte ist, dass es immer nur um Krebs oder Menschen geht. Hier sterben aber ganze Lebensgemeinschaften von Tieren und Pflanzen. Und darum sollte es gehen. Wir haben ein dramatisches Artensterben und eigentlich leben wir in einem Zustand, in dem Krieg gegen die Natur geführt wird – und zwar mit Chemie. Und dieser Krieg ist deswegen so perfide, weil er heimtückisch ist – denn natürlich fallen die Tiere nicht gleich um.“ Sybilla Keitel, Aktivistin „Gegen Pestizide“
Der Wasserspezialist
Glyphosat ist günstig – das ist eines der Hauptargumente der Landwirte und der Industrie. Doch wenn man genau hinsieht und die Folgen beachtet, dann dreht sich die Rechnung plötzlich.
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„Wenn ein Landwirt für einen Liter Glyphosat 10 Euro bezahlt, benötigen wir einen Betrag von rund 100.000 Euro, um diesen einen Liter Glyphosat in extrem geringen Konzentrationen wieder aus dem Wasser zu entfernen. Das zeigt, dass der Einsatz von Glyphosat vielleicht doch nicht ganz so wirtschaftlich ist, wie man sich das wünschen würde. “ Bernhard Röhrle, Zweckverband Landeswasserversorgung
Der Agrarhändler
Immer wurde der Agrarhändler angehalten, besonders viel Glyphosat an die Bauern zu verkaufen. Der Grund hierfür ist ihm klar: Auch wenn Glyphosat heute extrem billig ist, so bringt es doch einen großen Nutzen für die Industrie: Der Folgeumsatz ist fünf- bis zehnfach so hoch. Denn die Erde ist anschließend schlichtweg tot – und da benötigt es dann auch wieder besondere Düngemittel, damit das Getreide dort gedeiht. Eine Geschäftemacherei.
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„Für Glyphosat ist nachgewiesen, dass es Magnesium, Mangan und Eisen vorrangig bindet. Und das sind genau die drei Wirkstoffe, die die Pflanze braucht, um Sonnenlicht in Nährstoffe umzuwandeln. Die fehlen – jetzt bietet die Industrie diese Wirkstoffe als Zusatzdünger an.“ Josef Feilmeier, Agrarhändler
Die Folgen für die Landwirte
Doch was wäre, wenn der Einsatz von Glyphosat verboten würde? Viele Landwirte haben schlichtweg Angst, es ohne Glyphosat nicht zu schaffen. Der Einsatz des Unkrautvernichters erleichtert nicht nur die Feldarbeit, sondern steigert auch den Ernteertrag enorm. Und: Glyphosat ist verhältnismäßig günstig, galt zudem über Jahrzehnte als bestens verträglich. Ohne Glyphosat, so die Befürchtung, würde die Landwirtschaft zusammenbrechen. Auch der Deutsche Bauernpräsident Joachim Rukwied sieht einem Verbot mit Besorgnis entgegen – und kann den ganzen Wirbel ohnehin nicht verstehen: Schließlich hätte die Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) längst erklärt, dass Glyphosat nicht krebserregend sei.
Besonders kritisch sieht die Arbeitsgemeinschaft Glyphosat das mögliche Verbot: Reinhard Appel von der AG Glyphosat betont, dass dieses Herbizid ein Segen sei – denn es biete die Möglichkeit, gutes Getreide und gesunde Nahrungsmittel zu produzieren. Die Diskussion um die Gefährlichkeit gehe am Leben vorbei – schließlich würden nach einem Glyphosat-Verbot andere Pflanzenmittel eingesetzt werden, die durchaus risikoreicher wären.
Ein neuer (Aus)Weg für Landwirte
Und dennoch gibt es auch Landwirte, die eine andere Sicht der Dinge haben: Die Bauern müssten keine Angst haben, denn es geht auch ohne chemische Keule und Gentechnik, meint Dr. Christoph Fischer vom „Rosenheimer Projekt“. Die Natur müsse im Fokus stehen, vor allem der Boden, das Bodenleben und die Bodenfruchtbarkeit. Für den Pionier einer neuen Landwirtschaft ist modernste Forschung, kombiniert mit traditionellen Methoden, der Weg in die Zukunft. Wichtig seien dabei kleinteilige Individuallösungen für Landwirte, die ihren Hof umstellen wollen. Und die Bauern sind empfänglich für den Weg in eine andere Richtung: Schon 1.300 Bauern haben sich seiner chemiefreien, pfluglosen und dennoch ertragreichen Landwirtschaft verschrieben.
"Wenn wir in der Landwirtschaft vom Leben leben, macht es dann Sinn alles totzuspritzen, was uns da scheinbar stört? Es gibt auch andere Wege Landwirtschaft zu betreiben, um auf solche Mittel verzichten zu können. Wir unterstützen die Natur, wir kämpfen nicht mehr gegen die Natur."
Dr. Christoph Fischer „Rosenheimer Projekt“
Die Studien – die Verstrickungen
Obwohl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Glyphosat für wahrscheinlich krebserregend hält, kommen deutsche Behörden zu dem Schluss, dass das Mittel unbedenklich sei: Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hält Glyphosat für ungefährlich. Auch die EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) kam zum Schluss, dass es sehr unwahrscheinlich sei, dass Glyphosat krebserregend für den Menschen sei. Schließlich kommt ein anderes Gremium der WHO jetzt auch zu der Aussage, Glyphosat sei wahrscheinlich nicht krebserregend. Dieser eklatante Widerspruch wirft Fragen auf: Wurde richtig geprüft? Ist jemand in seiner Entscheidung beeinflusst worden? Oder könnte es sein, dass die deutschen Behörden es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen, wenn es um Glyphosat geht?
Zahlen und Fakten
Glyphosat ist das weltweit erfolgreichste Pflanzengift. Es „befreit“ die Felder schnell und zuverlässig von allen Unkräutern und Gräsern.
Glyphosathaltige Mittel sind billiger als jedes andere Herbizid.
700.000 bis 800.000 Tonnen Glyphosat werden jährlich weltweit auf die Felder ausgebracht.
40% der deutschen Äcker werden mit Glyphosat behandelt
In Deutschland werden pro Jahr ungefähr 6.000 Tonnen Glyphosat auf die Felder ausgebracht.
Das ist sechsmal so viel wie noch im Jahr 2001.
Nur bei 0,05 % aller Lebensmittelproben wird auch auf Glyphosat kontrolliert.
66% der Deutschen finden eine chemische Unkrautbekämpfung schadet stark der Natur (Quelle: Bundesumweltministerium 2015)
83 % der Deutschen sind für strengere Regeln und Gesetze für Naturschutz in der Landwirtschaft (Quelle: Bundesumweltministerium 2015)
84 % der Deutschen sind für einen Ausbau der Biolandwirtschaft (Quelle: Bundesumweltministerium 2015)
70 % der Deutschen sind für ein Verbot von Glyphosat (Quelle: BUND)
Bei über 70 Prozent der Deutschen lässt sich Glyphosat im Urin nachweisen. (Quelle: BUND)
Das Argument der Kritiker: Unabhängige Studien wurden bei den Bewertungen zu wenig oder nicht beachtet. Außerdem wurden teilweise Argumentationsketten einfach übernommen – eine unabhängige Prüfung sähe anders aus. Es gebe insgesamt ungute Verstrickungen zwischen Forschung, Industrie und Politik – so lautet der Vorwurf. Forschungen werden von Monsanto und Co in Auftrag gegeben teilweise sogar finanziert. Bewertungsberichte werden nicht veröffentlicht. Studien aus dem universitären Bereich werden gerne mal abgewertet. Mittlerweile wurde sogar Anzeige gegen die Behörden und auch Monsanto erstattet.
"Die Chemieindustrie ist eines der Flagg-Schiffe der deutschen Wirtschaft. Und den Eindruck hat man nach wie vor, dass da diese Schutzziele, die eigentlich da sind, nämlich der Schutz von Umwelt und Gesundheit, dass die einen weit geringeren Stellenwert haben, als die Förderung von Technologie, Fortschritt, Wettbewerb."
Dr. Christoph Then, Gentechnik-Experte
"Wir nehmen die Industrienähe nicht wahr. Dieser Dienstleistungsgedanke gegenüber der Industrie, den sehen wir so nicht. Es ist etwas, was einem Sorge bereitet, dass ein Bundesinstitut derart großen Zweifeln ausgesetzt ist. Das deutet ja auch darauf hin, dass die Industrie als Problem gesehen wird."
Reinhard Appel, AG Glyphosat
Der Einfluss des einzelnen
Doch was kann nun jeder Einzelne von uns tun? Nicht viel. Glyphosat-belastete Nahrungsmittel meiden ist nicht so einfach. Schon alleine, weil die wenigsten darauf getestet wurden. Für die kritischen Konsumenten hat Agrarhändler Josef Feilmeier einen Tipp: Einfach mal beim Bäcker nachfragen, ob in seinem Brot Glyphosat drin wäre. Das wird er nicht beantworten können. Dann geht man - mit der Ansage, dass man erst wieder kaufen würde, wenn er das wüsste. Wer weiß, vielleicht denkt dann der eine oder andere um. Und lässt seine Lebensmittel zumindest mal testen.