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Geisterschiffe Das mörderische Geschäft der Schleuser

Nach Recherchen des ARD-Politikmagazins report München sind zumindest einige der Flüchtlingsschiffe, die in den letzten Wochen an der italienischen Südküste landeten, sabotiert worden. Die mit bis zu 700 Menschen gefüllten, schrottreifen Frachter waren manipuliert und hätten jederzeit untergehen können. Heute befasst sich auch die EU mit dem Thema. Von Ahmet Senyurt und Karl Hoffmann.

Von: Ahmet Senyurt und Karl Hoffmann

Stand: 16.02.2015 | Archiv

Flüchtlingsschiff | Bild: BR

Mitten in der Nacht erhält Salavatore Lupo einen Alarmruf der Küstenwacht. Ein Flüchtlingsschiff  treibt hilflos im Meer vor der italienischen Hafenstadt Crotone in Kalabrien. Kapitän Salvatore lässt die Maschine seines 3000-PS-Schleppers anwerfen. Dann legt die Alessandro Secondo ab. Wenige Meilen vor der Hafeneinfahrt taucht plötzlich die Sandy auf – wie ein Geisterschiff.

Salvatore hat schon viele Male Flüchtlinge auf dem Meer gerettet, aber diesmal ist er entsetzt. An Deck des Seelenverkäufers stehen auch viele Frauen, viele Kinder. Völlig erschöpft nach tagelanger stürmischer Überfahrt. Aber das Schlimmste ist nach einem fachkundigen Blick von Seebär Salavatore: das Flüchtlingsschiff hat keine Trimmung, ist gefährlich hecklastig. Der Bug ragt aus dem Wasser, das Schiff sei in schwerer See praktisch nicht manövrierfähig.

Das verwüstete Schiffsinnere der "Sandy"

Mit viel Mühe bekommt Salvatores Schlepper die Sandy endlich  an die Leine. Die haben einiges riskiert, sagt Salvatore Lupo, noch ahnt er nicht, wie viel. Ein wahres Wunder, dass die Sandy mit ihrer menschlichen Fracht heil am Kai von Crotone festgemacht werden konnte. Dort ist sie nun in guter Gesellschaft. Überall finden sich traurige Zeugen der Flüchtlingstragödie.

Transporte sind offenes Geheimnis

Wie auch in der Mersin an der türkischen Südküste: Von hier hat die Sandy fünf Tage zuvor ihre Reise nach Crotone in Italien angetreten. Wie viele andere Schiffe lag sie bis zur Abfahrt weit vor der Küste, um nicht aufzufallen. Dennoch sind Flüchtlingstransporte in Mersin ein offenes Geheimnis, sagt Hafenmeister Erol Inahn.

Hafenmeister Erol Ihnan

"Hilfe für diese Menschen, das ist ja wohl mal was ganz anderes. Man hilft ihnen, indem man ihnen zu essen gibt und und ein Bett zum Schlafen.
Diese Menschen in Gefahr zu bringen, indem man sie auf diese Schiffe setzt  - das ist nur ein Riesengeschäft.
Wie das genau funktioniert, das wissen wir auch nicht, wieviel das kostet und so weiter, aber wir bekommen natürlich mit, dass viele Menschen für ein paar Tausend Dollar bereit sind, das Risiko der Reise einzugehen."

Erol Inahn

Mersin, Sitz der türkischen Schleusermafia

"Caj" wie der Tee heisst ein Elendsviertel am Ostrand von Mersin. Ein Ghetto mit Tausenden syrischen Flüchtlingen. Wir haben einen Tipp bekommen, werden heimlich empfangen von einer Familie, die früher mal 60 Personen zählte. Einige wurden im Krieg getötet, 17 sind in Mersin gestrandet und leben nun in zwei Räumen zu einem horrenden Mietpreis.

Mit Schrecken haben sie die Ereignisse in Paris in der letzten Woche verfolgt. Ausgerechnet nach Frankreich wollten sie ursprünglich fliehen, aber damit sei es wohl jetzt nichts mehr, sagen Heidr und sein Onkel Salah. Was sie denn von dem Islamistenterror hielten? "Das sind doch keine Muslime, das sind einfach nur Kopfabschneider, die glauben nicht an Gott."

Nur Flucht nach Europa bleibt

Die Zeit brennt ihnen auf den Nägeln, in Syrien tobt der Krieg, in der Türkei sind sie unerwünscht, es bleibt nur die Flucht nach Europa. Außer: "Wenn Frieden wäre , dann wir würden sofort wieder zurückgehen nach Syrien, wenn es dort eine Zukunft gäbe, wer verlässt schon freiwillig seinen Grund und Boden. Aber dazu müsste uns Europa beim Wiederaufbau helfen."

An den Frieden glauben Heidr und viele seiner Landsleute aber nicht mehr. Deshalb hat die türkische Schleusermafia Hochkonjunktur. Zu ihr gehören Männer wie Youssuf, früher Drogen- heute Menschenhändler, der nur verhüllt vor der Kamera reden will. Er schildert die perfekte Organisation des Flüchtingstranpsorts, unterteilt in verschiedene Phasen, vom Kriegsschaufplatz bis aufs Flüchtlingsschiff. Pauschalreise nach Europa für 6000 Dollar pro Person, gratis für Kinder unter sechs.

Youssuf beispielsweise holt Flüchtlinge an der syrischen Grenze ab und bringt sie in geheime Wohnungen, eine zweite Schleuserriege bringt sie schließlich zu alten Holzbooten, angemietet für Zubringerdienste von verarmten Fischern. Dieses Boot sollte Flüchtlinge auf ein vor der Küste wartendes Mutterschiff bringen. Die Polizei beschlagnahmte es. Doch das ist ein Einzelfall. Oft drücken die Behörden zwei Augen zu, syrische Flüchtlinge sind längst lästig geworden. Niemanden stört es, wenn die Schleppermafia sie wegbringt. Einfache Fahrt von derTürkei nach Italien. Oder auch in den Tod.

Überreste einer Höllenfahrt

Zurück in Kalabrien. Die Sandy gleicht einem Totenschiff, sie droht zu sinken. Der Bug ragt noch weiter aus dem Wasser. So kann ein Schiff nicht übers Meer fahren sagt Salvatore, der Bug muss mindetens einen Meter unter Wasseroberfläche liegen. Was ist nur los auf der Sandy? Irgendwo dringt Wasser ein. Im Bauch des Schiffes, wo 473 Flüchtlinge hausen mussten, steht es jetzt meterhoch, schwimmen die Überreste einer Höllenfahrt. Salvatore Lupo hat das Schiff inspiziert. Und erschrak zutiefst:

"Wir haben erst mal etwas Wasser abgepumpt und schliesslich gesehen dass um Welle der Schifsschraube die Abdeckung gelöst war. Alle Schrauben gelockert . Deshalb läuft Wasser rein und bringt das Schiff in Schräglage. Die Sandy sollte kentern, so war das geplant."

Salvatore Lupo

Einen Moment lang ist auch Salvatore, zu deutsch der Retter, sprachlos, hier könne von Sicherheit wohl nicht die Rede sein. Flüchtlinge würden behandelt wie Unmenschen, sagt er:

"Die haben ihr Geld bezahlt  und wenn sie auf der Flucht spurlos verschwinden, dann interessiert das niemanden. Je weniger Flüchtlinge bei uns ankommen, umso weniger fällt die Schleuesermafia auf. Wenn die Leute untergehen, wer erfährt bei uns schon davon."

Salvatore Lupo

Große Flüchtlingsschiffe seien sicherer, heißt es. Die Aktion der Küstenwacht am 19. Dezember 2014 belehrt eines Besseren und bedarf keines Kommentars mehr.

Sendungsinfo

Die ganze Geschichte sehen Sie im ARD-Politikmagazin report München am Dienstag, 21.45 Uhr im Ersten.


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Stefan, Dienstag, 13.Januar 2015, 16:59 Uhr

5. Heuchelei

Ich verstehe nicht, warum man nicht gleich eine sichere Flüchtlings-Fährverbindung einrichtet? Ich meine, das wäre nur konsequent, wenn man gegen den Flüchtlingsstrom auf afrikanischer Seite nichts unternimmt. Den Zaun auf europäischer Seite kann man sich eigentlich auch sparen, wenn sie da sind sind sie da. Einerseits zeigt man sich entsetzt über die Machenschaften der Schleuser und wenn dadurch z.B. Menschen ertrinken. Oder ein Aufschrei geht durchs Land, wenn sich die Neuankömmlinge in München an Bäume ketten, weil im 12-Mann-Zimmer die Betten nicht ausreichen. Andererseits, die chaotischen Zustände in den Ursprungsländern, der halsbrecherische Transfer vom Ursprungsland zur afrikanischen Küste, die erfrierenden Flüchtlinge im nahen Osten, die Hungernden vor der türkischen Grenze: Darüber regt sich kaum einer auf und für deren Menschenrechte demonstriert auch kaum einer. Dagegen, so ist der Anschein, unternehmen auch die Eliten nichts. Aber Hauptsache, bei uns sagt man in Zukunft "Winterfest" statt Weihnachten und verspricht "Interessenten" das Paradies auf Erden. Schwamm drüber, wenn anderswo dadurch ganze Länder und Kulturen - und die, die sich keinen Schleuser leisten können - vollends vor die Hunde gehen. Das ist doch alles Heuchelei.

xaver, Dienstag, 13.Januar 2015, 15:17 Uhr

4. Schleuser mit maroden Schiffen

Bisher wurde alles versucht,Schleuserei und gefährliche Überfahrten zu vermeiden,es hat nichts geholfen und es wird nichts helfen.
Das Übel an der Wurzel im Herkunftsland zu packen ist auch gescheitert.Es wird also so weiter gehen,denn Möglichkeiten gibt es nur deren zwei:
1.Sofort außerhalb der jeweiligen Staatsgrenzen die Flüchtlinge aufgreifen und sofort zurück.-Wenn es sich herumspricht,Europa nimmt niemand auf,auch wenn das zum Schutz der jeweiligen Flüchtlinge ist,könnte der Ansturm gedämmt werden.-Warscheinlich will das keiner bei uns,dann gibt es nur noch eine einzige Möglichkeit,
die Dinge zu ordnen.-Europa stellt Schiffe zur Verfügung,die Flüchtinge werden geordnet,vorallem sicher,nach Europa gebracht.Über dem,,das dürfte billiger sein
als alle zur Zeit existierenden Überwachungsprogramme.
In Europa rum sitzen,jammern ,daß Asylanten ums Leben kommen,nix tun ,das ist auch keine Lösung.Organisiert man den Transport nicht,werden die Todesfälle
rapide ansteigen.-Ich meine so weit ist meine Meinung nicht praxisfremd.

Beibl, Dienstag, 13.Januar 2015, 13:31 Uhr

3. Schleuser

Hallo,
ich verstehe nur nicht, warum man die Schleuser einfach in den eigenen Ländern und Häfen nicht das Handwerk legt.
Spielt da schon wieder Bestechung mit. Dann gäbe es das Ganze doch gar nicht.

12, Dienstag, 13.Januar 2015, 11:56 Uhr

2. "Je suis Flüchtling"

"Je suis Flüchtling"! Als verantwortungsvolle europäische Gesellschaft gehen wir doch wohl in diesen Tagen auch dafür auf die Strassen!
Menschen aus ihrer Heimat zu vertreiben und zu verfolgen ist TERROR!
Ich warte schon lange auf das politische Entsetzen von Merkel u. Co., Gauck, Seehofer, Maaß, Junker und allen europ. Staatschefs.

Richard Hofmann, Dienstag, 13.Januar 2015, 08:53 Uhr

1. Demonstration am falschen Platz?

Ja ich bin entsetzt über das was in Paris passiert ist. Ja, ich finde nicht gut, dass Angst verbreitet wird vor Überfremdung. Aber was da passiert in der Welt wo Unrecht herscht, wo Leute vertrieben, verfolgt und getötet werden, dort braucht es auch unsere Solidarität. Ja, je suis Charlie aber auch "Je suis Flüchtling" !?

  • Antwort von ceterum censeo, Dienstag, 13.Januar, 12:43 Uhr

    Solidarität hat ihre Grenzen.
    Ich will mein Land zurück ! Genauso wie es die Journalistin Ingrid Carlqvist für Schweden
    formuliert hat.
    Wir haben zuviele Flüchtlinge, weil Gutmenschen unser Land fluten.
    Wir, die Mittelschicht buckeln jeden Tag für die Steuern, nur weil Gutmenschen
    jedes Augenmaß verloren haben.
    Heute sagte mir eine ältere Dame, gut daß sie auch selber gearbeitet hat. Von
    der Witwenrente allein könnte sie nicht mehr überleben. Es ist eine Schande,
    wie unser Staat die eigene Bevölkerung zugunsten von Flüchtlingen im Stich lässt.
    Ich will mein München zurück, und die Bewahrung meiner Heimat Bayern.
    Es reicht !

  • Antwort von K, Dienstag, 13.Januar, 14:37 Uhr

    Sie haben völlig recht !!