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Gotteskrieger Aus Bayern in den "heiligen Krieg"

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) schlägt Alarm: Immer mehr deutsche Jugendliche ziehen nach Irak oder Syrien in den Krieg. Wer sind die neuen "Gotteskrieger", wer wirbt sie an, und was ist zu tun?

Stand: 05.09.2014 | Archiv |Bildnachweis

Junge Dschihadisten | Bild: picture-alliance/dpa

Ende 2001 bekam ein friedliches Wort eine beunruhigende neue Bedeutung: "Schläfer". Der Ägypter Mohammed Atta, einer der Drahtzieher der Anschläge vom 11. September, hatte jahrelang zur Tarnung in Hamburg Städtebau studiert, bevor er mit Komplizen den American Airline Flug 11 entführte und in den Nordturm des World Trade Centers steuerte. Unauffällig sei er gewesen, auffällig unauffällig, befanden die Sicherheitsdienste später - und stellten die Zahl von 100 potentiellen Selbstmordattentätern auf deutschem Boden in den Raum.

Heute ist die Vokabel "Schläfer" durch das martialischere "Gotteskrieger" abgelöst. Denn die Stoßrichtung radikaler Islamisten hat sich geändert. Statt von außen "lebenden Zeitbomben" in westliche Gesellschaft einzuschmuggeln, werben sie mit wachsendem Erfolg junge deutsche Staatsbürger an, die bereit sind, im Namen der Religion zu töten und dabei auch das eigene Leben aufs Spiel zu setzen.

Seit Monaten warnen die deutschen Innenminister vor der Gefahr durch Rückkehrer. Anfang September nahm die bayerische Polizei drei der jungen Männer fest, sieben werden zum Schutz der Allgemeinheit und zu ihrem eigenen Schutz beobachtet.

"Gotteskrieger:
jemand, der kriegerische, terroristische Handlungen begeht, um religiöse, meist islamistische Ziele zu verfolgen, und seinem Glauben nach dafür im Jenseits belohnt wird."

Die Definition des Duden

Bayern im "Heiligen Krieg"

Für David G. kommt diese Maßnahme zu spät. Vor vier Jahren tritt der Junge aus Kempten zum Islam über. Im Juli 2013 kündigt er zum Bedauern seiner Kollegen seine Lehrstelle in einem Elektrobetrieb. Im August übernimmt er eine muslimische Propaganda-Plattform. Obwohl die Polizei ihn auf dem Radar hat und seinen Personalausweis konfisziert, gelingt ihm die Ausreise nach Syrien, wo er Anfang 2014 ums Leben kommt.

Kein Einzelfall, wie das BR-Magazin Report München recherchiert hat. Über 320 Deutsche - 40 aus Bayern - sollen sich allein am syrischen Dschihad beteiligen. Der mit internationalem Haftbefehl gesuchte Solinger Silvio K. ist nach Recherchen der WAZ das deutsche Gesicht der Terrorgruppe ISIS, seine "Mujatweets" genannten Web-Botschaften finden zehntausendfach Gehör. Auch ein Münchner namens Alexander, der sich jetzt Abdulrahim Almani nennt, soll als "Emir" der Führungsebene von ISIS angehören.

Aus dem "faulen" Frieden an die Kriegsschauplätze der Welt

Trotz des terroristischen Hintergrunds vieler Anwerbe-Organisationen fühlen sich die jungen Leute nicht als Terroristen, sondern als Kämpfer für eine gerechte Sache. Für Guido Steinberg, Islam-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, kommt der Propaganda-Erfolg der Salafisten nicht überraschend. Nie zuvor, so Steinberg, waren die Schrecken eines Krieges in der muslimischen Welt in Europa so präsent wie der im Web zigtausendfach bebilderte Syrien-Konflikt. Die offenkundige Hilflosigkeit der Weltgemeinschaft löst bei vielen ein diffuses Gefühl aus, selbst aktiv werden zu wollen. Besonders Jugendliche in krisenhaften Situationen wie Pubertätskonflikten oder Arbeitslosigkeit fühlen sich dann vom Sinn- und Gemeinschaftsangebot salafistischer Gruppen angesprochen.

Überblick: Islamistische Kämpfer weltweit

SYRIEN

Die Terrorgruppe "Islamischer Staat im Irak und in Syrien" (ISIS) nutzt den syrischen Bürgerkrieg, um Kämpfer zu rekrutieren und ihre Macht auszudehnen. Dabei gab es einen Konflikt mit der syrischen Al-Nusra-Front. Al Nusra bekennt sich zu mehreren Hundert Anschlägen. Fernziel der Front ist die Errichtung eines "Islamischen Kalifats Großsyrien". Der Anführer der Al-Kaida, Eiman al-Sawahiri, ordnete an, die beiden Gruppen sollten getrennt voneinander operieren. Die ISIS sagte sich von Al-Kaida los, weil deren Führung sich von den Grundsätzen des "Heiligen Krieges" entfernt und die Bewegung gespalten habe.

Der Krieg, der Terror und die Behörden

Wer das neue Phänomen als "innermuslimisches" Problem abtut, greift zu kurz. Wie unscharf die Grenze zwischen religiösen Söldnerdiensten und terroristischen Aktionen ist, zeigt schon ein Blick auf die 2007 vereitelten Bomben-Attentate der sogenannten Sauerland-Gruppe, die im Umfeld des pakistanischen Dschihad operierte.

Nach dem Anschlag in Brüssel

In der Wohnung des oben erwähnten Silvio K. fanden Fahnder einen Mordaufruf auf Angela Merkel. Und der franko-algerische Dschihadist Mehdi N., der im Mai im Jüdischen Museum von Brüssel mutmaßlich vier Menschen ermordete, war kurz vor seinem Anschlag aus Syrien eingereist.

Die deutschen Sicherheitsbehörden arbeiten noch an einer Strategie, die gewaltbereite islamistische Szene umfassend zu observieren, ohne den Islam unter Generalverdacht zu stellen. Ungenügend, so der Osnabrücker Islamexperte Michael Kiefer, sei oft die Kenntnis der verschiedenen Strömungen. "Wenn man gezielt intervenieren will, muss man mehr wissen."

Nur so sei auch eine sinnvolle Aufklärungsarbeit an Schulen oder durch die Jugendhilfe möglich. Bisher fehle es den lokalen Präventionsprojekten oft an Vernetzung und langem Atem: Wenn ein Projekt an einer Schule oder in einer Kommune nach wenigen Jahre ende, wechselten die Mitarbeiter in ganze andere Bereiche, so Kiefer. Wertvolle Erfahrungen gingen dann wieder verloren.







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