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Ausbeutung mit System

Von: Claudia Gürkov mit Irene Esmann und Michael Kubitza

Stand: 29.07.2015 | Archiv

Rumänische Bauarbeiter in Augsburg | Bild: BR, Annemarie Ruf

Sie kommen nach Deutschland, um auf Baustellen Knochenarbeit zu leisten. Doch wenn der Bau fertig ist, ist kein Geld da und der Auftraggeber verschollen: Ein Arbeiteralbtraum, hinter dem ein System steckt. Auch öffentliche Bauträger profitieren.

"Ich habe nicht einen einzigen Sklaven in Katar gesehen", hatte Franz Beckenbauer nach seiner Besichtigung der Baustellen für die WM 2022 gesagt und sich damit viel Spott zugezogen. Dabei hätte er, um Arbeiter zu sehen, die um ihren Lohn geprellt werden, gar nicht in den Nahen Osten fahren müssen: Berlin und Frankfurt hätten gereicht. Oder auch: Augsburg, München, Wolfratshausen, wo Arbeiter aus Deutschlands nahem Osten - Bulgarien, Rumänien, dem Balkan - immer wieder vergeblich auf Bezahlung warten.

Wenn Grenzfälle zum System werden

Mehrfach hat der BR über entsprechende Fälle berichtet. Recherchen des Magazins "Kontrovers" legen nahe: Es handelt sich nicht um Einzelfälle, sondern um ein seit Jahren wachsendes System, das trickreich bestehende Graubereiche im Ausschreibungs- und Arbeitsrecht in Deutschland und der EU nutzt. Es geht um Ausbeutung, aber auch um Steuerbetrug und Wettbewerbsverzerrung. Oft ist der Wohnungsabau betroffen - und sehr oft öffentliche Aufträge.

Der Auftraggeber zahlt. Doch wo das Geld am Ende hängenbleibt, ist ungewiss.

Das Prinzip: Baukonzerne gewinnen Ausschreibungen mit unrealistisch niedrigen Kostenkalkulationen. Um diese einzuhalten, vergeben sie Aufträge an zumeist osteuropäische Sub- und Subsubunternehmer. Oft sind das reine Scheinfirmen - die angeworbenen Arbeiter bleiben auf ihren Lohnansprüchen sitzen. Ein Drittel der Fälle spielt in Bayern. Und immer wieder taucht als Drehscheibe Slowenien auf.

Slowenien - Drehtür in die EU

Keine Frage: Slowenien zählt zu den Aufsteigern unter den Neumitgliedern der EU. Dennoch erstaunt, wie viele Unternehmen das kleine Land mit seinen gut zwei Millionen Einwohnern hat. Nicht weniger als 4.500 davon entsandten im vergangenen Jahr Arbeiter in die EU - Reinigungsfirmen, Pflegedienstleister und eben Baufirmen. Der zweite Blick gibt Aufschluss: Viele der Unternehmen existieren nur auf dem Papier. Ähnlich wie bei Steuer-Dependancen in Luxemburg teilt sich ein Dutzend Firmen einen Briefkasten.

Wie in allen Staaten der Gemeinschaft (seit 2014 auch Rumänien und Bulgarien) gilt Freizügigkeit für Arbeitnehmer. Was Slowenien besonders macht, sind die Beziehungen zu den wirtschaftlich schwachen Bruderstaaten des früheren Jugoslawien, aus denen viele der geprellten Arbeiter kommen. Mit dem sogenannten A1-Formular gelangen sie in andere EU-Länder - 103.000 allein 2014, rund die Hälfte davon arbeitete in Deutschland. Eigentlich müssten in Slowenien für jeden entsendeten Arbeiter Steuern und Sozialabgaben entrichtet werden. Kontrolliert wird all dies kaum. Die IG Bau geht davon aus, dass Deutschland dadurch hunderte Millionen Euro Steuern und Sozialabgaben entgehen.

"Niemand kontrolliert, ob unter der Firmenadresse auch Räume sind, wo die Firma ihre Geschäfte macht. Und wenn die Behörden kontrollieren wollen, ist da niemand, keine Kontaktperson."

Marjeta Kralj, Journalistin der slowenischen Zeitung Dnevnik, mit BR-Reporterin Claudia Gürkov (r.).

Die Ehrlichen zahlen drauf

Die EU-Kommission geht in einer Stellungnahme davon aus, dass Slowenien die Probleme abstellt. Doch danach sieht es vor Ort nicht aus - und ebensowenig in Deutschland. Hier bleibt die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS), sobald sie ihre Quoten erfüllt hat, im Büro. Ob Papiere echt oder gefälscht sind, wird kaum geprüft. Schließlich, so ein Ermittler, wolle man die Wirtschaft "nicht kriminalisieren."

"Diese edlere Kriminalität, 'white collar crime': da trifft man ja gelegentlich die Kriminellen beim Sektempfang in der Politik. Und das ist vielleicht ein Grund, warum man nicht dagegen angehen will."

Frank Buckenhofer, Gewerkschaft der Polizei, Bezirksgruppe Zoll

Der Chef der Finanzkontrolle Schwarzarbeit ist Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Wir möchten ihn zu der Kritik befragen - doch er hat keine Zeit für ein Interview, statt dessen lässt er ausrichten:

"Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit ist im Rahmen ihrer organisatorischen und fachlichen Ausrichtung in der Lage solche Strukturen zu erkennen und die tatsächlichen Verhältnisse sowie gegebenenfalls Zuwiderhandlungen gegen gesetzliche Bestimmungen aufzudecken."

Auszug aus der Antwort des Bundesfinanzministeriums

Dabei zählen die Ehrlichen in der deutschen Bauwirtschaft mit ihren Angestellten ebenso zu den Geschädigten dieses Systems. Ein Indiz liefern die Zahlen der Bauindustrie: Obwohl der Umsatz nach einem Tiefststand 2005 wieder kräftig steigt, hat sich die Zahl der Beschäftigten kaum verändert.

Das Nachsehen haben mittelständische Unternehmer wie die Münchnerin Elisabeth Renner, die auch schon Angebote für spottbillige Maurer und Ausschaler durchgefaxt bekommen hat.

"Wir müssen mit Subunternehmen arbeiten, um unsere eigenen Arbeitsplätze zu subventionieren. Das ist ein großes Problem, weil's schlecht geregelt ist. Ich habe keine Möglichkeit, mich rückzuversichern, ob wirklich alle Papiere in Ordnung sind. Und wenn der Supergau eintritt und Beiträge nicht abgeführt wurden, dann haften wir."

Elisabeth Renner auf einer ihrer Baustellen

Des Übels Wurzeln: Ausschreibungswesen und "Geiz ist geil"-Mentalität

Die Zwischenbilanz: Ausgebeutete Arbeiter, geprellte Mitbewerber, entgangene Steuern und Sozialabgaben. Aber zumindest die oft staatlichen oder städtischen Bauherren profitieren - könnte man meinen. Doch das Ausschreibungsrecht, das öffentliche Auftraggeber verpflichtet, sich für das (scheinbar) wirtschaftlichste Angebot zu entscheiden, ist eine Milchmädchenrechnung.

Beispiel München: Ein Wohnkomplex der städtischen GWG am Olympiapark. Die Baustelle ist dicht, die wenigen Arbeiter werden von einem Sicherheitsdienst rigide abgeschirmt. Warum das Projekt ins Stocken geraten ist? Es steht Aussage gegen Aussage. Die GWG spricht von Problemen des Bauunternehmens, das den Zuschlag erhalten hatte - zuletzt sei die Baustelle praktisch nicht mehr besetzt gewesen. Das Unternehmen hat inzwischen Insolvenz angemeldet und gibt der GWG die Schuld.

Tatsache ist: Bei der Ausschreibung, deren Unterlagen dem BR vorliegen, variierten die Kalkulationen von 3,6 Millionen bis über sechs Millionen Euro. Die Dumping-Offerten stammen von Unternehmen, die Insidern in der Vergangenheit bereits negativ aufgefallen sind. Dass das billigste Angebot hier nicht das günstigste war, bestreitet auch Hans-Otto Kraus von der GWG nicht.

"Ein Baustopp ist in jedem Fall teuer, denn man verliert Zeit, und wir müssen damit rechnen, dass wir eine Neuvergabe organisieren müssen. Und dann wird's natürlich nochmal teurer."

Hans-Otto Kraus, GWG

Bosnien - Bayern - Katar

Am Ende zahlen also - mit Ausnahme einiger cleverer Geschäftemacher - alle drauf. Am schlimmsten trifft es die osteuropäischen Arbeiter, die oft monatelang arbeiten, ohne bezahlt zu werden, und sich am Ende isoliert in ihren Baucontainern mit undurchsichtigen Geschäftskonstruktionen und den Feinheiten paralleler Anwendung unterschiedlicher Sozialgesetzgebung in Herkunfts- und Zielland herumschlagen müssen. Eine paradoxe Situation: Wenn die Bosnier und Mazedonier als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, werden sie zumindest vorübergehend versorgt. Als Arbeitern mit offiziellem EU-Papier droht ihnen und ihren Familien ein Los, das den Verhältnissen in Katar ziemlich nahekommt.


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Kommentieren

David Klemperer, Dienstag, 11.August 2015, 12:19 Uhr

27. Ausbeutung mit System

sehr verdienstvoll, das Thema aufzugreifen, sehr gut recherchiert, spannend und emüörend

Werner Brandl, Montag, 03.August 2015, 13:04 Uhr

26. Funkstreifzug 2.8.15, Ausbeutung mit System

Sehr geehrte Frau Gürkov,
vielen Dank an Sie, Ihr Team und den BR für die Sendung "Ausbeutung mit System". Den letzten beißen immer die Hunde, das sind in diesem Fällen die Bauarbeiter, die um ihren Lohn betrogen werden. Dass mit dem Auschreibungssystem die billigsten Firmen den Zuschlag bekommen, passiert nur den Geizhälsen unter den Auftraggebern. Wenn aber die Baufirma pleite macht, Fristen nicht gehalten werden können und der Auftrag neu vergeben werden muss, ist es gleich vorbei mit billig, dann geht es ins Geld und gespart wurde nichts. (Oder die Arbeiter werden um ihren Lohn betrogen) Einen Auftrag an den Billigsten vergeben, ist also nicht wirtschaftlich. Die Situation erinert mich an an den Spruch meiner Oma, die meinte :"Wir haben kein Geld, drum können wir uns nichts Billiges leisten."
Was hier zu Schwarzarbeit, Steuerhinterziehung, mangelnder Ermittlungstätigkeit von der GdP gesagt wurde, kann ich nur unterstreichen.

Freundliche Grüße
Werner Brandl

Horst, Donnerstag, 30.Juli 2015, 07:28 Uhr

25. Offene Grenzen

jubelnde Mafia!

LiFe, Donnerstag, 30.Juli 2015, 05:25 Uhr

24. Ausbeutung mit System

muss ein Ende haben. Ganz einfach! Wer bitte ist zuständig? Handeln!

K.G., Mittwoch, 29.Juli 2015, 22:05 Uhr

23.

Das System besonders der oeffentlichen Hand dass der Billigstbieters anstatt der Bestbieter zum Zug kommt gehoert umgehend geaendert. Es wird dabei nicht Gleiches mit Gleichem verglichen und schadet im Endeffekt der eigenen Wirtschaft. In Zeiten wie diesen muss in wahrscheinlich jeder Branche extrem knapp kalkuliert werden und es kocht jeder mit Wasser. Wenn es also signifikante Unterschiede im Angebotspreis gibt, kann das nur auf Kosten der Qualitaet, etc. gehen, das im Endeffekt dem Auftraggeber teurer kommt. Mit einem solchen System wird "nachhaltig und solide" arbeitenden Unternehmen die Existenzgrundlage genommen, jene Unternehmen die Arbeitsplaetzte sichern, Beitraege und Abgaben bezahlen (ohne das den "Anderen" absprechen zu wollen) aber auf alle Faelle nachhaltig einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung unseres Wirtschaft- und Solzialsystemes leisten!

  • Antwort von J.W., Samstag, 01.August, 11:17 Uhr

    sehr guter beitrag, denn genau so ist es. es sollte generell immer nur das zweit billigste angebot
    den auftrag bekommen. die schweiz macht es uns vor.