NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 75. Verhandlungstag, 16.01.2014
Am 75. Prozesstag sind nur Zeugen im Mordfall Kiesewetter geladen. Michèle Kiesewetter, Polizistin, wurde am 25. April 2007 erschossen, am hellichten Tag, auf einem Parkplatz während einer Einsatzpause, in ihrem Polizeiauto. Erst 2011, viereinhalb Jahre später, wird der Mord an ihr mit den Taten des NSU in Verbindung gebracht.
Der neben Michèle Kiesewetter sitzende Polizeibeamte Martin Arnold sollte ebenfalls ermordet werden. Er überlebt, schwer verletzt, und sagt als einer Zeugen aus. An die entscheidenden zehn Minuten kann er sich aber, wegen seiner schweren Kopfverletzungen, nicht erinnern.
Zeugen
- Kerstin K. (Polizistin, Heilbronn)
- Joachim T. (Polizist, Heilbronn)
- Roland Z. (Kripo Heilbronn)
- Stefan R. (Kripo Heilbronn)
- Peter F. (Polizist, Heilbronn)
- Martin Arnold (Kollege von Michèle Kiesewetter, damals schwer verletzt)
ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal
(Jana Lange, SWR)
Beginn 10.00 Uhr. Angeklagte Zschäpe: auberginefarbener Pullover, helle Hose, Haare zusammen mit Glitzerhaarspange.
Richter Götzl: Erste Zeugin Frau K.
Zeugin Kerstin K., 30 Jahre, Polizeiobermeisterin PD Heilbronn.
Götzl: Es geht um den 25. April 2007, an was erinnern Sie sich?
K.: Wir waren in der Wache, dann kam ein Anruf von einem Taxifahrer, der sagte, auf der Theresienwiese (in Heilbronn) würde ein Streifenwagen stehen mit zwei erschossenen Polizisten. Wir sind gleich hingefahren, Autotüren standen offen, der Kollege ist auf die Seite der Kollegin und hat gesagt, dass sie „Ex“ ist. Ich bin auf die Seite von Herrn Arnold, er hat kurz die Augen auf gemacht, mein Kollege kam dazu, wir haben erste Hilfe geleistet. Einsatz war gegen 14.10 Uhr. Mein Kollege war dabei, Joachim T., wir sind wirklich gerast.
G.: Wie lagen die Opfer?
K.: Die Kollegin lag draußen, der Kollege hatte die Füße noch im Auto, lag auf dem Rücken, seine Zigaretten und seine Sonnenbrille lagen da noch. Der Kollege hat am Kopf geblutet. Beim Kollegen haben wir die Schutzweste und das Hemd aufgemacht, die Kollegin ist später auf die Seite getragen worden.
G.: Hat Kollege A. Reaktionen gezeigt?
K.: Ja, er hat die Augen aufgemacht und wollte sich an den Kopf langen. Ich habe seine Hand festgehalten, damit er sich nicht an sein Ohr langt.
G.: Haben Sie Feststellungen wegen Waffen gemacht?
K.: Ich habe irgendwann später festgestellt, dass die Waffen fehlen.
Frage Rechtsanwältin Frau Wolf (Nebenklage-Anwältin, vertritt die Mutter der ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter): Wo geparkt?
K.: Etwa zwei Meter weg.
Wolf: Wen haben Sie um Unterstützung gerufen und wie?
K.: Normalerweise geht das über eine Sprechanlage, aber ich war so perplex, dass ich so gerufen habe. Wir sind dann fast gleichzeitig rausgefahren
G.: War Ihnen die Theresienwiese ein Begriff?
K.: Ja, wir haben dort selbst immer unser Eis gegessen, sogar am gleichen Ort, weil dort Schatten war und dort keine Passanten sind, hatten wir dort einen Rückzugsort.
G.: Türen und Fenster waren offen?
K.: Ja.
Die Zeugin wird entlassen.
Zeuge Joachim T., 44 Jahre, Polizeihauptkommissar in Heilbronn.
Zeuge T.: Wir hatten Spätdienst auf dem Revier, gegen 14.18 Uhr bin ich von Kollegin K. informiert worden, wir sind cirka vier Minuten später auf der Theresienwiese angekommen, vor dem Strom-Verteilerhaus stand ein Taxifahrer, der dann gegangen ist. Man sah schon, dass die Türen offen standen und die Kollegen teilweise heraushingen. Ich habe die Kollegin Kiesewetter noch herausgezogen und gesehen, dass sie einen Kopfschuss hatte, die Kollegin war verstorben. Bin dann rüber zu meiner Kollegin K., der Kollege lag halb aus dem Fahrzeug raus. Ich habe den Puls gefühlt, er hat die Augen aufgemacht und mich direkt angeschaut, dann kam zufällig ein Kollege, der Rettungssanitäter ist, der sich dann weiter gekümmert hat. Dann kamen weitere Kräfte.
Götzl: Name des Taxifahrers bekannt?
T.: Der Taxifahrer hatte seinen Namen beim Anruf genannt.
G.: Stand des Autos?
T.: Türen, Fenster waren offen, ungewöhnlich heiß für einen Apriltag
G.: Haben Sie noch etwas gefunden, Handy oder so?
T.: Ja, nachdem wir die Kollegin Kiesewetter nochmal verlagert haben, fiel ihr Handy runter, ob sie es aber in der Hand oder im Schoß hatte, kann ich nicht sagen. Beide Dienstwaffen fehlten.
G.: Kannten Sie die Theresienwiese?
T.: Ja, sicher, gehörte zu unserem Zuständigkeitsbereich. Als Pausenplatz kannte ich persönlich den Platz nicht, aber Kollegen haben mir das dann erzählt.
RA Martinek (Nebenklage-Anwalt, vertritt den neben Kiesewetter schwer verletzten Polizeibeamten Martin Arnold): Hatten Sie als Dienstgruppenleiter mit der Einteilung Kiesewetter/Arnold etwas zu tun?
T.: Nein, das PD Heilbronn hat eine Fahndungs- und Ermittlungsgruppe, diese Gruppe teilt die Kollegen ein. Wir haben mit der Bereitschaftspolizei nichts zu tun, die Kollegen sind zwar auf dem Revier, aber wir wissen nicht genau, welche Aufgabe sie haben.
Zeuge wird entlassen.
Zeuge Roland Z., 55 Jahre, Kriminalhauptkommissar, PP Heilbronn, Kriminalpolizei.
Zeuge Z.: Am 25. April hat ein Taxifahrer über Handy das Polizeirevier Heilbronn informiert, dass ein Radfahrer auf ihn zugekommen sei, der ihm sagte, dass auf der Theresienwiese ein Polizeiwagen steht und zwei Beamte raushängen. Durch die Auswertung von Funkzellendaten haben wir die Zeit, 14.12 Uhr, später ermittelt.
Keine Fragen mehr, Zeuge wird entlassen.
Zeuge Stefan R., 44 Jahre, Kriminalbeamter in PP Heilbronn.
Zeuge R.: Die Grundausstattung der Polizeibeamten waren Neun-Millimeter-Pistolen mit Ersatzmagazin, Reizstoffsprühgerät und Handschließe. Herrn Arnold wurde die Waffe abgenommen, Frau Kiesewetter die Waffe, das Ersatzmagazin, die Handschließe und das Reizspray. Die Pistolen wurden zur Sachfahndung ausgeschrieben (anhand von Individualnummer). Taschenmesser mit Individualnummer bisher nicht gefunden, aber man weiß auch nicht, ob Frau Kiesewetter es dabei hatte. Auf Handschließen ist eine vierstellige Nummer eingestanzt, die auf den Personalbogen der Beamten vermerkt wird. Auch auf Reizsprühstoffgeräten steht Individualnummer. Lichtbilder von Mini-Taschenlampe und Hülle von Reizstoffsprühgerät werden vorgelegt.
G.: Gehören die Gegenstände der Frau Kiesewetter?
R.: Die Bilder sind Vergleichsstücke, so hat das Reizstoffsprühgerät von Frau Kiesewetter ausgesehen.
G.: Sie haben auch zur Einsatzplanung ermittelt?
R.: Ja, wir haben schnell Kontakt mit Bereitschaftspolizei Böblingen aufgenommen (BFE 523). Wenn ich mich richtig erinnere, war es so, dass am 15./16. April Anfrage aus Heilbronn wegen Einsatz am 25. April gemacht wurde. Da viele Kollegen im Urlaub waren, hat Herr H. Plan ausgehängt, um Freiwillige zu finden. Frau Kiesewetter hätte sich dann gemeldet, sie brauchte noch Stunden. Sie hatte auch selbst schon einen Tauschpartner ausfindig gemacht, der mit ihr tauscht. So kam sie auf diesen Dienst. Das war am 19. April
Götzl: Haben Sie die Einsatzzeiten am 25. April noch ermittelt?
R.: Ja, es waren zwei Einsatzzüge im Einsatz, die Einsatzzeiten haben sich für die beiden Einheiten nochmal geändert, die haben die Zeiten getauscht, aber das ist nichts Außergewöhnliches.
Götzl: Was zu Theresienwiese ermittelt?
R.: Die Theresienwiese ist ein Festplatz und innerhalb der Polizei in Heilbronn als auch bei Einheiten von außerhalb ist es bekannt, dass man da ungestört Pause machen kann. Vielen war der Platz als Pausenplatz bekannt, aber es haben nur wenige tatsächlich dort Pause gemacht. Es fanden nicht regelmäßig Pausen dort statt. Herr Arnold war zum ersten Mal dort. Er wird den Platz wahrscheinlich erst kennengelernt haben. Bei Frau Kiesewetter weiß ich es nicht.
RA Martinek (Nebenklage, Vertreter des schwer verletzten Polizisten Martin Arnold): Haben sich Streifen vor der Pause abgemeldet?
R.: Schwierig zu sagen, die wenigstens geben Bescheid über Pause, nur wenn sie das Fahrzeug verlassen. Es gibt die Anweisung, dass man sich abmelden muss, wenn der Funk nicht besetzt ist.
RA Bliwier (Nebenklage): Haben Sie etwas zu speziellen Einsätzen von Frau Kiesewetter ermittelt?
R.: Es gab wohl einen Einsatz in Stuttgart, Demo rechts, es geht weiter mit Ulm und Pforzheim, auch Demo rechts, Göppingen, Göttingen und noch einige andere Demos rechts (alle 2006). Die Einsätze wurden von Bereitschaftspolizei Böblingen koordiniert.
Bliwier: Gibt es Aufzeichnungen von Frau Kiesewetter oder irgendetwas anderes?
R.: Aufzeichnungen nicht bekannt. Ich gehe mal davon aus, dass sie als BFE-Beamtin dort war, was aber ihre genaue Aufgabe dort war, weiß ich nicht
Bli.: Einsatz in Zivil?
R.: Das weiß ich nicht.
Bli.: Hinweis darauf, für was Kiesewetter eingesetzt war?
R.: Das weiß ich nicht mehr genau, ich glaube, wir haben eher ermittelt, wo wie oft Frau Kiesewetter eingesetzt war. Weitergehenden Auftrag gab es bei mir nicht
RA Wolf (Nebenklage Kiesewetter): Ist Ihnen bekannt, dass im März 2007 sowohl Arnold als auch Kiesewetter in Potsdam eingesetzt waren?
R.: Müsste ich in Liste nachschauen, habe ich nicht im Kopf.
Wolf: Wo hing nochmal diese Liste zum Einsatz?
R.: Herr H. sitzt im Geschäftszimmer der BFE 523 in Böblingen, man kann sich dort eintragen, die ist nicht öffentlich zugänglich.
Wolf: Am 19.4. hat sie sich gemeldet, aber wann hat sie sich tatsächlich eingetragen?
R.: Der Einsatz wurde ab dem 20. April sicher gebucht, spätestens dann muss sie drin gestanden haben.
RA Erdal (Nebenklage) fragt nach Polizisten Aufgaben und KKK (Ku-Klux-Klan)?
R.: KKK war damals bei uns kein Thema, da weiß ich jetzt nicht, was ich antworten soll, „SoKo Parkplatz“ hat nicht in diese Richtung ermittelt.
(Holger Schmidt, SWR)
RA Erdal (Nebenklage): Wer war der SoKo-Leiter der "SoKo Parkplatz"?
Zeuge R.: Herr H.
Erdal: Wissen Sie, welche Aufgaben die Beamten haben, die beim Ku-Klux-Klan eingetragen waren?
R.: Ich weiß nicht, was ich Ihnen darauf antworten soll.
Erdal: Sie kennen keinen Beamten, der im Ku-Klux-Klan war?
R.: Persönlich nein.
Erdal: Wurde Ku-Klux-Klan nie thematisiert bei der "SoKo Parkplatz"?
R.: Nein.
Erdal: Trotz Medienberichten nicht?
Richter Götzl: Welche meinen Sie? Schauen sie nach, wir machen erst mal weiter.
Erdal: Berliner Morgenpost 31. März 2012.
R.: Da war ich nicht mehr Mitglied der "SoKo Parkplatz".
11.00 Uhr - Pause bis 11.20 Uhr.
(Jana Lange, SWR)
12.45 Uhr.
Zeuge Peter F., 51 Jahre, Kriminalhauptkommissar bei PP Heilbronn, Angehöriger der „SoKo Parkplatz2.
Richter Götzl: Es geht bei Ihnen um Lichtbilder, Luftaufnahmen usw.
F.: Ich war bis Mai 2009 Angehöriger der "SoKo Parkplatz", Spurensicherung undsoweiter. Ich selbst traf am 25. April gegen 14.50 Uhr am Tatort ein, Kollege K. war schon dort und hat begonnen, Fotos zu machen, wir haben dann die Bereiche aufgeteilt und die Spuren gesichert. Wir haben uns befasst mit dem Dienstfahrzeug, dem Opfer Kiesewetter und dem Tatortbereich.
Am Dienstfahrzeug vorne rechts haben wir eine Hülse gefunden, Bereich hinten links (neun Millimeter), im Fahrersitz steckte ein Projektil, das als Kaliber 67 erkannt wurde und in einem Lichtschacht am Trafohäuschen haben wir zwei weitere Munitionsteile aufgefunden, auch neun Millimeter, ein weiteres Geschoss auf der Rückbank auf Höhe der Fahrerseite, das waren die erkennbaren ballistischen Spuren, also Munitionsteile, dann noch Fingerspuren genommen, konnten acht Spuren feststellen, vier waren nicht auswertbar, zwei konnten dem Kollegen Arnold zugeordnet werden, eine Kiesewetter und eine (Dach vom Dienstfahrzeug) war nicht identifizierbar. Einige DNA-Spuren gefunden, manche von den Opfern. u.a. auch Zigarettenkippen gefunden, haben auch noch in den Tagen danach Spuren gefunden (zum Beispiel Zigaretten).
Richter Götzl legt verschiedene Lichtbilder, Luftaufnahmen der Theresienwiese, vor, Zeuge F. zeigt im nordwestlichen Bereich das Trafohäuschen und den Tatort. Polizeihubschrauber-Foto zeigt Trafogebäude am Neckar und Tatort, man sieht unter anderem geöffnete Autotür und Opfer Kiesewetter. Zeigt des weiteren Skizze und zeigt Bereiche, in denen Spuren gesucht worden sind, Skizze Innenbereich Dienstfahrzeug, viel Blut im Mittelkonsolenbereich ist eingezeichnet sowie Zigaretten, Sonnenbrille (Kollege Arnold) und Projektile.
Die ersten Fotos von Auffindesituation werden gezeigt, der schwer verletzte Polizeibeamte Martin Arnold war schon im Krankenhaus, vor dem Auto liegt Schulterklappe eines Polizeimeisters, Blutflecken, Patronenhülsen, Verbandszeug, Kippen, Projektile. Fotos von Trafohäuschen, Lichtschacht etc. Dienstfahrzeug Innenbereich: Im Kofferraum Diensttaschen plus Amokkiste mit Maschinenpistole (alles noch komplett), zeigt Computerbilder mit Schussverlauf und möglicher Kopfposition Opfer Kiesewetter, mit Abprallmarke Trafohäuschen. Tatortnachstellungsfotos werden gezeigt, so wie sich Polizeihauptkommissar T. erinnert hat (Kiesewetter hängt aus dem Auto raus), es ging darum zu schauen, wie gut man an die Dienstwaffen ran kam, Kollege Arnold liegt auf dem Rücken, Füße im Auto (alles nachgestellt).
CT-Aufnahmen mit 3D-Bildern Schusskanal Opfer Kieswetter werden gezeigt, CT Aufnahmen Kollege Arnold, Einschuss und Austritt, Diensthemd Kiesewetter: großflächig Blut, teilweise mit Gewebe. Sämtliche DNA-Spuren, die dateifähig waren, haben keine Treffer ergeben.
Götzl: Hatten Sie noch mit Asservaten zu tun, die in Frühlingsstraße gefunden wurden?
F.: Nein.
RA Wolf (Nebenklage Kiesewetter):Sie haben gesagt, dass im näheren Fahrzeugbereich eine Schulterklappe und ein Diensthemdknopf gefunden wurden?
F.: Dienstknopf konnten wir nicht zuordnen, Schulterklappe gehörte dem Polizisten Arnold, weil diese an seinem Hemd fehlte. Ich denke, der Knopf stammt vom Hemd des Kollegen Arnold.
RA Daimagüler (Nebenklage): Sie haben uns Asservate Pfandmarke oder Schlüsselanhänger gezeigt. Wissen Sie woher?
F.: Nein, das kann ich nicht sagen. Müssten nachfragen, ob Herkunft ermittelt wurde
Daimagüler: Blutverschmierte Taschentücher gefunden?
F.: Ja, vier oder fünf wurden in der Nähe gefunden.
Daimagüler: Ist Ihnen Ergebnis der Auswertung bekannt und wann ausgewertet wurde?
F.: Weiß ich nicht, müsste ich nachschauen.
Daimagüler: Kann es sein, dass Auswertung erst 2009 erfolgte?
F.: Kann ich nicht sagen.
RA Bliwier (Nebenklage): Was ist denn die "EG Umfeld"?
F.: Ich kann nur sagen, was ich aus Medien weiß, dass die "EG Umfeld" beim LKA dafür zuständig ist, die Verbindungen des NSU nach Baden-Württemberg zu überprüfen.
Andere Nebenklge-Rechtsanwältin: Wie gut war der Radweg vom Dienstfahrzeug zu erreichen?
F.: Innerhalb weniger Sekunden.
Nebenklage-Rechtsanwältin: Ist das derselbe Radweg, den auch der Zeuge S. befahren hat?
F.: Ja.
Verteidigerin Sturm (Verteidigung Zschäpe): Sie haben Fotos des nachgestellten Tatortes gezeigt, wissen Sie, ob man da die Tageszeit und Sichtverhältnisse (Sicht auf Radweg) berücksichtigt hat?
F.: Weiß ich nicht.
(Jana Lange, SWR)
15.30 Uhr.
Zeuge Martin Arnold, 31 Jahre, Polizeibeamter, zu laden über das Landeskriminalamt Baden-Württemberg.
Richter Götzl: Woran erinnern Sie sich an diesem Tag, dem 25. April 2007?
Arnold: Gegen acht aufgestanden und gefrühstückt, dann bin ich zur Dienststelle (Böblingen) gefahren, mit dem Auto, sonst mit Fahrrad, auf Dienststelle umgezogen, wir haben die Einsatzfahrzeuge vorgefahren, die Streifenteams waren schon gebildet, wir sind mit drei Autos nach Heilbronn gefahren. Dort hatten wir eine Einsatzbesprechung. Wir haben uns angemeldet, vorher noch eine geraucht, wir waren nur unterstützend in Heilbronn, ich war das erste Mal in Heilbronn, meine Streifenpartnerin Michèle Kiesewetter war schon öfter dort, deshalb ist sie gefahren, sie hat mir alles gezeigt. Dann hatten wir eine Einsatzbesprechung, Anlass war "Sichere City Heilbronn", weil die Stadt ein Drogenproblem hatte. Wir waren morgens schon mal auf der Theresienwiese, hatten dort kurz Pause gemacht und eine geraucht. Ich weiß nicht mehr genau, wann wir beim Bäcker waren. Wir hatten noch eine kleine interne Schulung, danach sind wir direkt zur Theresienwiese gefahren und haben uns in den Schatten des Verteilerhäuschens gestellt. Dann hört es auch schon langsam auf. Zuvor hatten wir noch Personenkontrollen gemacht, beim alten Friedhof haben wir noch einen ehemaligen Heroindrücker kontrolliert, er hat uns seine alten Einstiche gezeigt, und dass er keine neuen hat.
G.: An was erinnern Sie sich genau, Trafohäuschen?
A.: Eigentlich hört es noch davor auf, es geht nur bis zum Schotterparkplatz, alles andere, wie wir geparkt haben und dass wir da geparkt haben, weiß ich nur noch aus den Tatortbildern.
G.: Wann setzt Ihre Erinnerung wieder ein?
A.: Von dem Tag weiß ich nichts mehr, ich dachte, ich lag sieben Wochen im Koma, aber eigentlich waren es nur vier Wochen, ich hatte Transfusionen und Schläuche im Arm, ich habe sie mir rausgerissen, weil ich dachte, es sei ein böser Scherz von meinen Polizeikollegen. Meine Verwandten waren da, sie haben mir erzählt, dass ich einen Unfall hatte. Ich wusste nicht, was für einen Unfall, dachte es wäre ein Motorradunfall, dabei habe ich gar keinen Motorradführerschein. Später kamen dann Kollegen von der "SoKo Parkplatz", die haben mir dann gesagt, dass die Michèle nicht mehr da ist. Ich war völlig isoliert, es gab keine Spiegel, ich hatte keinen Zugang zu Medien. Nachdem ich vom Tod Michèles erfahren habe, habe ich den Kollegen in den Bauch geboxt und geweint, ich konnte es nicht glauben, ich dachte, es sei alles ein schlimmer Scherz. Ich war total abgemagert, konnte mit meiner Hand den Oberschenkel umfassen, ich bin sofort umgekippt, als ich aufgestanden bin, hatte Schmerzen und abends Muskelkater, rechte Hand war lange gelähmt, hat lange gedauert.
(Holger Schmidt, SWR)
Arnold: Am Anfang war die rechte Seite bei mir gelähmt, wie bei einem Herzinfarkt oder Schlaganfall. Ich konnte sie nicht spüren, hat sich angefühlt, als ob es nicht meine wäre. War Rechtshänder. Heute bin ich es wieder.
(Jana Lange, SWR)
Arnold: War in Hirnklinik, dann in Rehaklinik, da musste ich Muskeltraining, Gedächtnistraining machen. Ich konnte schon längst nicht mehr, hatte genug von den ganzen Krankenhausaufenthalten, habe Ärzte gefragt, ob ich Urlaub haben kann. Ich wollte schnell wieder raus auf die Straße, wieder in Polizeidienst. Anfang September war ich dann wieder im Polizeidienst und wurde dann langsam darauf vorbereitet, dass nichts mehr so ist wie es mal war. Heilbronn war einer meiner ersten Einsätze nach der Ausbildung, ich war seit diesem Tag nicht mehr auf der Straße, habe auch keine Waffe mehr getragen, will das auch nicht mehr.
Götzl: Wie ist Ihr heutiges Leben, wie wirkt sich die Tat aus?
Arnold: Viele Folgen. Ich habe eine Behinderung, psychische Folgen, ich habe die Bilder dauernd im Kopf. Mein Kindertraum, Polizist zu werden, wurde zerstört. Die Kollegin, die neben mir saß, ist nicht mehr da, die Bilder habe ich ständig im Kopf, ich höre auf dem rechten Ohr nicht mehr gut, durch den Schusskanal, der Gleichgewichtssinn ist zerstört, nachts habe ich Probleme zu laufen, Narben ohne Ende, die Ärzte sagen, ich soll zu meinen Gesundheitsproblemen stehen, ich sei ein Tiefstapler, ich habe eine größere Epilepsiegefahr.
Götzl: Haben Sie Schmerzen?
Arnold: Nein, nicht mehr.
G.: Stehen noch weitere OPs an?
A.: Könnte sein, ein Teil der Munition ist noch im Kopf, aber die Ärzte trauen sich da nicht ran. Sie könnten mein Gehör operieren, aber das will ich nicht, ich lasse niemanden an meinen Kopf ran, wenn es nicht unbedingt nötig ist. Ich bekomme bald ein Hörgerät. Ich habe noch ein gesundes Ohr, aber das reicht. Das gehört zu meinem Leben dazu, ob es gut ist oder nicht, ich habe damit noch nicht abgeschlossen, die letzten sechs, sieben Jahre waren schlimm, ich habe das noch nicht verarbeitet, traumatherapeutisch bin ich in Behandlung.
G.: Welche Behandlungen waren nötig?
A.: Verschiedene Reha-Maßnahmen, Urlaub, Traumatherapie, viele Gespräche mit Ärzten innerhalb und außerhalb der Polizei, November 2007 bin ich nochmal operiert worden, weil ich eine riesige Weichmasse hinter dem Kopf hatte, mir wurde Knochen vom Oberschenkel in den Kopf gepflanzt, das bleibt aber eine weiche Stelle, auch ein Grund, warum ich nicht mehr raus gehen will, der Kopf ist nicht mehr so geschützt. 2008 hatte ich Gespräche mit dem Polizeipsychologen, danach habe ich endlich mein Studium zum gehobenen Dienst gemacht, während Studium war ich bei verschiedenen Ärzten, habe ich mich aufs Studium konzentriert, nach dem Studium hat mich aber alles eingeholt.
Ich war ein dreiviertel Jahr zu Hause, ich hatte Ängste, konnte Polizei nicht mehr sehen, hatte Angst um die Kollegen, habe die Einsatzfahrzeuge gezählt, um zu wissen, ob abends auch alle nach Hause kommen.
Ärzte haben sich um mich gekümmert, jetzt geht es mir soweit wieder gut.
G.: Wie sind Sie mit fehlenden Ermittlungsergebnissen umgegangen?
A.: Unzufrieden. Bis zum heutigen Tag. Ich bin unzufrieden, weil ich nicht weiß, was das Motiv ist. Das Motiv fehlt. Ich hatte aber ein Bauchgefühl, dass die Tat nicht mehr aufgeklärt werden kann. Ich wollte helfen, alles aus mir herausholen, was geht. Aber da kam nichts mehr. Ich habe gehofft, dass Kommissar Zufall hilft, aber auch der hat nichts rausbekommen, vor allem das Motiv nicht.
G.: Demos mit Rechts?
A.: Nein, gar nicht.
G.: Vernehmung mit Hypnose? Aber wenn ich Sie richtig verstanden habe, ziehen Sie Rückschlüsse wegen nachlesen, aber nicht wegen Hypnose?
A.: Richtig. Kann vieles rekonstruieren, Ersthelfer, Krankenhäuser.
Pause bis 14.45 Uhr.
(Holger Schmidt, SWR)
Götzl: Alle Vernehmungen ohne Ergebnis, sie haben nur rekonstruieren können, aber keine Erinnerung, richtig?
Arnold: Ja. Zehn Minuten schwarzes Loch. Erst ab den Ersthelfern kann ich es rekonstruieren, aber erinnere nicht.
(Jana Lange, SWR)
Weiter um 14.50 Uhr mit Zeuge Martin Arnold.
Götzl: Welcher Behinderungsgrad?
Arnold: 70 Prozent, Hirnschaden ist 30 Prozent, Trauma, Gehörschädigung.
G.: Wann waren Sie wieder im Dienst?
A.: Noch im gleichen Jahr, wollte sofort wieder arbeiten. Studium von 2008 bis April 2011. Dann habe ich zwei Monate gearbeitet und war dann nochmal zu Hause.
G.: Wie hat Ihre Familie Ihre Verletzungen erlebt?
A.: Das hat die Familie gespalten, es war traumatisch. Der einzige Sohn, der fast über den Jordan gegangen wäre. Das spaltet die Familie bis heute. Ich habe sogar mein erstes Informatikstudium abgebrochen, weil ich zur Polizei wollte, Lebenstraum, war früher ein lebenslustiger Mensch, mein Traum war die Polizei, wollte eine schöne Arbeit haben, das hat auch meine Familie gemerkt, daran haben sie sehr zu knuspern gehabt, weil ich das nicht mehr hatte. Ich war zwar Polizist, aber im Innendienst, der Lebenstraum war zerplatzt, langsam kommt es wieder
G.: Nehmen Sie Medikamente?
A.: Im Krankenhaus, heute nicht mehr, möchte ich auch nicht mehr.
G.: Seit wann kannten Sie Frau Kiesewetter?
A.: Ja, als ich im März 2007 in Böblingen angefangen habe, habe ich Michèle Kiesewetter kennen gelernt, aber ich habe nur ein paar Worte mit ihr gewechselt. Richtigen Kontakt hatte ich nicht.
G.: Könnten Sie sie trotzdem beschreiben?
A.: Ein flippiges Mädchen, ein tolles Mädchen, sie kam auf mich zu und hat mich angesprochen, dazu war ich viel zu schüchtern, sie war immer nett, engagiert und lebensfroh.
(Holger Schmidt, SWR)
A.: Sie war eine der Ausbilderinnen, weil sie schon länger dabei war, aber richtig gut kannte ich sie nicht. Sehr aufgeschlossenes und freundliches Mädchen, sie kam auf mich zu. Ist immer locker flockig rumgesprungen, hat keinen traurigen Moment gehabt. Habe mal mitbekommen, dass sie die Fachhochschulreife nachgemacht hat. Sehr engagiert, lebensfroh, zielstrebig.
(Jana Lange, SWR)
RA Scharmer (Nebenklage):Wissen Sie, wie Frau Kiesewetter zum Einsatz kam?
Arnold: Wie Kiesewetter auf die Liste kam, weiß ich nicht mehr, die Liste hing vor dem Geschäftszimmer.
Scharmer: Wissen Sie, ab wann das auf der Liste ersichtlich war?
A.: Die Liste hing Freitags aus. Mittwoch die Woche drauf war der Einsatz. Michèle hat mich sonntags per SMS gefragt, ob wir zusammen fahren wollten. Ab dem Moment, wo die Liste voll war und der Einsatz geplant war, wurde die Liste unter Verschluss gehalten.
Scharmer: Sie haben an dem Tag auf dem Platz vorher schon mal eine geraucht. Wissen Sie, ob Frau Kiesewetter den Platz erwähnt hat oder warum sind Sie dorthin?
A.: Sie wusste, dass der Platz ruhig ist, ich weiß aber nicht, ob wir darüber gesprochen haben.
Scharmer: Haben Sie bei dieser Pause die Türen offen gelassen?
A.: Wir sind ausgestiegen, standen neben dem Fahrzeug, hatten Handfunkgeräte dabei.
Anderer Nebenklage-Anwalt: Können Sie sich erinnern, ob der Dienst zeitlich so war, wie er ursprünglich auf der Liste stand?
A.: Es gab noch Änderungen, weil die Liste erst voll war, weil ich meinen Namen ja erst später dazu geschrieben habe. Wir hatten feste Zeiten, wann unser Dienst in Heilbronn beginnt.
Haben Sie im PKW geraucht?
A.: Bis wir beim Stromverteilerhäuschen waren, nein.
Frage: Standen Sie in der ersten Pause an derselben Stelle?
A.: Nein, da standen wir an einer anderen Stelle.
Frage: Haben Sie mit Kiesewetter bilateral geklärt, dass sie zusammen fahren?
A.: Haben wir bilateral ausgemacht, Frau Kiesewetter wollte mich kennen lernen, sie war ja schon länger in der Einheit, Einsatzleitung war es bekannt.
Zeuge wird entlassen.
Hinweis
Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.